Grundeinkommen: Bedingungslos auf direktem Weg ins Paradies

Nr. 40 –

Am 4. Oktober 2013 wird die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen eingereicht. Sie hat wichtige Debatten ausgelöst. Doch vieles an der Initiative bleibt problematisch, denn: Was heisst eigentlich freiwillige Arbeit?

Der Traum ist alt. Es gab ihn schon, bevor die Begriffe «links» und «rechts» politische Bedeutung hatten: den Traum von einem guten Leben für alle. Von einem Leben ohne Mangel, in dem alle beitragen, was sie können, und bekommen, was sie brauchen. Über diesen Traum können sich viele einig werden. Doch gleich danach beginnt der Streit: Wie kommen wir dorthin?

Manche glauben, den Weg gefunden zu haben: ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Andere, die den Traum durchaus teilen, halten das Grundeinkommen für eine gefährliche Falle. Es sind schon Freundschaften zerbrochen an diesem Konflikt. Kein Wunder: Wer den BefürworterInnen zuhört, hat oft den Eindruck, es gehe um nichts weniger als um den Weg ins Paradies. Entsprechend grandios ist der Titel des Büchleins der beiden Grundeinkommensinitianten Christian Müller und Daniel Straub: «Die Befreiung der Schweiz».

Fast alles bleibt offen

Am 4. Oktober wird nun die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen eingereicht. Der Initiativtext ist sehr schlicht gehalten: «Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.» Fast alles bleibt also offen: wie hoch das BGE wäre, wie es finanziert würde und was mit den heutigen Sozialversicherungen geschähe. Die InitiantInnen haben allerdings klare Vorstellungen: Sie schlagen ein Grundeinkommen von 2500 Franken pro ErwachseneN und die Finanzierung über eine Konsumsteuer vor. Renten und Sozialhilfe sollen mit BGE gleich hoch bleiben wie heute ohne.

«Die Befreiung der Schweiz» kommt betont patriotisch daher. Es beginnt mit Wilhelm Tell und endet mit der Bundesverfassung. Dazwischen ist es ziemlich widersprüchlich. Die Autoren geben sich einmal wachstumskritisch à la Décroissance-Bewegung, dann klingen sie wieder wie Standortförderer: «Wirtschaftliches Handeln im Allgemeinen würde stimuliert durch ein selbstverantwortliches und selbstbewusstes Unternehmertum, das sich mit neuem Schwung und frischen Ideen an die Herausforderungen von morgen macht.» Einerseits scheinen sie zu glauben, der Spielraum zur Gestaltung der Gesellschaft sei unendlich gross, gleichzeitig schreiben sie über «die Wirtschaft» wie über ein autonomes Wesen, das «mehr Flexibilität fordert».

Und die Realpolitik?

Straub und Müller prognostizieren, die Löhne würden gerade so weit sinken, dass die Erwerbstätigen mit Grundeinkommen gleich viel verdienen würden wie heute. Wer 6000 Franken verdient, würde also noch 3500 Franken Lohn bekommen, ergänzt durch 2500 Franken BGE. Das gleiche Prinzip gilt bei den Sozialversicherungen. «Politische Naivität ist auch eine Tugend», sagte Initiantin Ina Praetorius an einer Veranstaltung zum Grundeinkommen. Beim Entwickeln von Utopien mag das stimmen. Aber wer Realpolitik machen will, kommt um taktische Fragen nicht herum. «Was wird im Nationalrat aus diesen Forderungen?», fragte die feministische Ökonomin Mascha Madörin an der gleichen Veranstaltung. Ja, was passiert bei den heutigen politischen Kräfteverhältnissen mit Forderungen nach tieferen Löhnen und Sozialleistungen? Oder nach einer Erhöhung der Konsum-, sprich Mehrwertsteuer, der bekanntlich unsozialsten Steuer überhaupt? «In unserem Modell bleiben die Preise im Durchschnitt auf heutigem Niveau, obwohl darin eine höhere Konsumsteuer enthalten ist», so Müller und Straub – als würden sich Preise nach dem Modell eines Initiativkomitees richten.

Viele BefürworterInnen hoffen, dass ein Grundeinkommen den Menschen mehr Zeit gäbe für Kinderbetreuung oder die Pflege von alten und kranken Angehörigen – für sogenannte Care-Arbeit. Es ist nicht sicher, ob diese Hoffnung sich erfüllen würde. Wer in der Schweiz zum Beispiel Langzeitpflege benötigt, muss im westeuropäischen Vergleich einen sehr hohen Anteil davon selbst bezahlen – oder Familienangehörige, meistens Partnerinnen oder Töchter, müssen die Pflege übernehmen. Auch die öffentliche Kinderbetreuung ist völlig ungenügend. Ein Teil der unbezahlten Arbeit in diesen Bereichen sollte dringend zu bezahlter Arbeit werden, um Frauen zu entlasten. Die Einführung eines BGE birgt die Gefahr, dass solche Forderungen auf Jahre hinaus vom Tisch sind – für beides reicht das Geld nicht, und frau hat ja jetzt das Grundeinkommen und kann diese Arbeit «freiwillig» machen. «Die Care-Arbeit ist aber nur ein Bereich von vielen, wo freiwillig gearbeitet wird», schreiben Müller und Straub. Eine grosse Fehleinschätzung: Die Care-Arbeit ist kein weiteres Hobby neben Pfadi und Kirchenchor, sie macht den Alltag erst möglich. Und es geht nicht um ein paar Stunden pro Woche – die Hälfte der in der Schweiz geleisteten Arbeit ist unbezahlt!

Die Chance der Debatte

Antje Schrupp, eine deutsche Publizistin und BGE-Befürworterin, schreibt in ihrem Blog: «Ich finde es grundfalsch, das Grundeinkommen als Lösung für die Frage anzupreisen, wer künftig die Sorgearbeit verrichten soll. (…) Sorgearbeiten sind ein Teil der Ökonomie, sie verdienen eigene Betrachtung, Diskussion und Aufmerksamkeit. Sie erledigen sich nicht ‹von selbst›, weil ‹irgendwelche Leute› sich schon dafür verantwortlich fühlen werden.»

Doch die Diskussionen über das Grundeinkommen sind eine grosse Chance. Das Echo auf die Initiative zeigt: Viele Leute haben genug vom Sozialdarwinismus, der allen, die sich nicht gewinnbringend verwerten lassen, das Existenzrecht abspricht. Sie haben auch genug von der traditionell linken Verherrlichung der Arbeit und von den Gewerkschaften, die die Löhne, aber kaum je die Zeit oder die Frage des guten Lebens thematisieren (mit Ausnahme des VPOD, was an seiner Nähe zum Care-Sektor liegt). Wie gross diese Entfremdung ist, zeigt etwa eine Aussage von Rolf Zimmermann, dem inzwischen pensionierten Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (siehe WOZ Nr. 16/12): «Ich gehe davon aus, dass die Erwerbsarbeit ein optimales, um nicht zu sagen maximales Instrument darstellt, um zu einem würdigen und erfüllten Leben zu kommen.» Immer mehr Menschen erleben in ihrem Alltag das Gegenteil – und das betrifft längst nicht mehr nur Kassiererinnen und Fabrikarbeiter, sondern auch Lehrerinnen, Universitätsdozenten, Bankerinnen und Pfleger.

Dem Kapitalismus kanns egal sein

In diesem Aufstand gegen die Verwertung steckt durchaus ein riesiges Potenzial. Aber die Frage bleibt, ob das bedingungslose Grundeinkommen – zumindest in der vorgeschlagenen Form – für einen solchen Aufstand die richtige Strategie ist. Denn diese Initiative kratzt nicht an den Prinzipien der kapitalistischen Ökonomie. Diese läuft in der Idee der InitiantInnen einfach neben dem individuell befreiten Leben weiter – sie soll ja das BGE finanzieren. Läuft weiter mit all ihren Zumutungen, Ausbeutungsjobs und noch tieferen Löhnen. Wer nicht mitmachen will und bereit ist, sehr bescheiden zu leben, kann zwar aussteigen, darf aber nicht krank werden, sonst reichen 2500 Franken nie und nimmer aus. Ist das eine befreiende Perspektive?