Freihandelsabkommen mit China: Das Geschäft und die Menschenrechte

Nr. 45 –

Die Schweiz hat mit China einen Freihandelsvertrag unterzeichnet, dem der Nationalrat in der bevorstehenden Session zustimmen soll. Die Bürgerlichen sind dafür, innerhalb der Linken ist Feuer im Dach. Und die GegnerInnen des Abkommens haben einen kolossalen Fehler gemacht.

Wer wird zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern gehören? Das war lange Zeit die grosse Frage, die sich mit Blick auf das Freihandelsabkommen stellte, das der Bundesrat seit 2011 mit China am Aushandeln war. Werden etwa die Schweizer ArbeiterInnen unter Druck geraten, wenn der hiesige Markt mit Billigprodukten chinesischer Firmen überflutet wird, die auf ein Heer günstiger Arbeitskräfte zurückgreifen können?

Seit Juli liegt das Abkommen auf dem Tisch. Die Gewerkschaften sind überzeugt, dass die Schweizer ArbeiterInnen nichts zu befürchten haben. Der Vorstand des Gewerkschaftsbunds (SGB) unterstützt den Freihandelsvertrag, wie er in einem internen Positionspapier festhält, das der WOZ vorliegt. Damit folgt er der Empfehlung von Vasco Pedrina, ehemaliger Unia-Präsident und heute so etwas wie der Mann für internationale Angelegenheiten der Gewerkschaft. Die beiden Volkswirtschaften würden sich ergänzen, wie auch eine Studie des Bunds zeige, so Pedrina auf Nachfrage. Vereinfacht: Die Schweiz exportiert Qualitätsware und importiert Billigprodukte, die sie selbst nicht produziert.

Seit Grossbritannien im Jahr 1846 die Korngesetze abschaffte, die Importzölle auf Getreide vorschrieben, haben Freihandelsverträge in der Geschichte stets zu erbitterten innerstaatlichen Machtkämpfen geführt; damals plädierten die Grossgrundbesitzer für den Status quo, um nicht durch billige Lebensmittel konkurrenziert zu werden, während die Fabrikanten für die Abschaffung kämpften in der Hoffnung, ihren ArbeiterInnen weniger Lohn für deren Lebensunterhalt bezahlen zu müssen. Doch die Schweizer Firmen folgen geschlossen der Einschätzung des SGB, sie stehen hinter dem Deal. Selbst der Bauernverband, der die Verhandlungen kritisch beäugt hatte, gibt sich zufrieden.

Ein gigantischer Absatzmarkt

Insbesondere die Exportwirtschaft sieht im Freihandelsabkommen eine historische Chance. China ist ein gigantischer Markt mit 1,3 Milliarden Menschen, die dank der imposanten Wachstumsraten, die die inzwischen zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt seit Ende der siebziger Jahre erzielt, zu kaufhungrigen KonsumentInnen heranwachsen. Die Volksrepublik ist bereits heute hinter der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz. 2012 betrugen die Exporte nach China 7,8 Milliarden Franken – allerdings sind das erst 3,7 Prozent der Schweizer Ausfuhren. Zu den wichtigsten Exportgütern zählen Uhren und Präzisionsinstrumente, Maschinen und Elektrogeräte sowie Chemie- und Pharmaprodukte.

Handel Schweiz–China 2012: Import aus China Grafik: WOZ

Auch die Gewerkschaften versprechen sich vom Abkommen mit China zusätzliches Wirtschaftswachstum, das zu neuen Arbeitsplätzen führt. Der SGB schreibt in seinem Positionspapier: «Das Abkommen mit China dürfte für die Maschinerie der Schweizer Exportwirtschaft und der Schweizer Wirtschaft insgesamt Öl bedeuten.» Und weiter: «Wirtschaftlich, daher hinsichtlich Erhalt und Neuschaffung von Stellen, betrachtet, bietet das Freihandelsabkommen mit China mehr Vorteile als Risiken.»

Von welchen Risiken spricht der SGB? Von der Gefahr, dass Güter in die Schweiz gelangen, die unter krassen Menschenrechtsverletzungen hergestellt werden. In der internationalistisch beseelten Linken ist man sich einig, dass – zumindest in der Theorie – die chinesischen ArbeiterInnen dieselben Rechte haben sollen wie die hiesigen. Die Gefahr liegt auf der Hand: Laut Menschenrechtsorganisationen gibt es in China 3 bis 5 Millionen ZwangsarbeiterInnen sowie über 200 Millionen WanderarbeiterInnen, die kaum Rechte besitzen; ethnische Minderheiten wie TibeterInnen werden beruflich diskriminiert, und Kinderarbeit ist weitverbreitet.

Handel Schweiz–China 2012: Export nach China Grafik: WOZ

Die Schlussfolgerung, die die Linke daraus zieht: Wenn das Sagen der Schweiz kurz hinter St. Moritz endet, gleichzeitig der Markt mit dem Freihandelsvertrag jedoch bis nach Schanghai ausgedehnt wird, so soll der Bundesrat mit dem Abkommen China zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten. Die Menschenrechte kommen darin allerdings mit keinem Wort vor. Dies stösst bei Vasco Pedrina auf Kritik. Allerdings lobt er das Zusatzabkommen, in dem sich China verpflichtet, die von ihm anerkannten Grundnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu achten. Zwar räumt Pedrina ein, dass China von den acht Normen vier nicht anerkenne – jene, die Gewerkschaftsfreiheit und die Abschaffung von Zwangsarbeit verlangen. «Doch zusammen mit dem Bekenntnis zu zwei ILO-Erklärungen, die die Einhaltung sämtlicher acht Normen fordern, ist das das Maximum, das herauszuholen war.»

Pedrinas Fazit: Die Menschenrechte in China seien mit dem Abkommen besser geschützt als ohne. «Mit dem Vertrag erhalten wir eine Grundlage, um China zur Einhaltung von Arbeitsrechten zu bewegen.»

NGOs sind erzürnt

Die Haltung des SGB sorgt unter den nichtstaatlichen Organisationen, die sich zur «China-Plattform» zusammengetan haben, für hochrote Köpfe. Seit Beginn der Verhandlungen mit China sind sie daran, für möglichst griffige Menschenrechtsvorschriften zu lobbyieren. Thomas Braunschweig, Handelspolitikexperte bei der Erklärung von Bern (EvB), wirft dem SGB vor, sich für ein paar Arbeitsplätze hinter das Freihandelsabkommen zu stellen, obwohl es weit hinter den Erwartungen zurückliege, die die Gewerkschaften einst formuliert hatten. Braunschweig: «Die fehlende Erwähnung der Menschenrechte in der Präambel des Vertrags bedeutet einen krassen Rückschritt gegenüber früheren Abkommen mit anderen Ländern wie etwa Japan oder Kolumbien.» Die NGOs bestehen zudem auf verbindliche Menschenrechtsvereinbarungen mit klaren Zielen, die überwacht und falls nötig mit Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden können.

Für Braunschweig sind diese Mängel noch gravierender, wenn man sich die Bedeutung des Freihandelsabkommens für China vor Augen führt. Diese liegt nicht im winzigen Schweizer Absatzmarkt. Sie liegt darin, dass der Freihandelsvertrag der erste ist, den China mit einem kontinentaleuropäischen Staat abschliesst: Er soll als Blaupause für weitere Abkommen dienen. Braunschweig bezeichnet den Bundesrat als verantwortungslos. «Das Abkommen ist ein Präjudiz. China wird es vor der Brust hertragen und den anderen Staaten sagen: Seht, nicht einmal die humanitäre Schweiz hat auf Menschenrechte gepocht – ihr wollt doch nicht etwa mehr verlangen?!»

Ein politisches Fiasko

Noch braucht das Freihandelsabkommen den Segen des Parlaments, in der bevorstehenden Wintersession kommt es in den Nationalrat. Viel Opposition wird es nicht geben. Die Bürgerlichen stehen hinter dem Deal, die vorberatende Kommission hat kürzlich einen Antrag mit dreizehn zu sechs Stimmen abgelehnt, mit dem die SP das Abkommen an den Bundesrat zurückweisen wollte, damit dieser ein Zusatzprotokoll mit verbindlichen Menschenrechts- und Umweltbestimmungen aushandelt. Der wirtschaftsliberale und der Gewerkschaftsflügel der SP stellen sich parteiintern wohl ohnehin nur deshalb nicht quer, weil das Begehren chancenlos ist. Denn eine entsprechende Forderung der Schweiz würde für den Vertrag das Aus bedeuten: China wäre kaum bereit, ihn neu zu verhandeln.

Diese Mehrheitsverhältnisse vor Augen, hatten die NGOs Mitte 2012 erstmals mit dem Referendum gedroht: In einer Medienmitteilung wurde Hans-Jürg Fehr, Präsident des Hilfswerks Solidar und damals noch SP-Nationalrat, mit einer entsprechenden Aussage zitiert. Kurz zuvor hatte auch die Geschäftsleitung der SPS eine Warnung ausgesprochen. Seither haben Exponenten des linken SP-Flügels und der NGOs die Drohkulisse des Referendums schrittweise aufgebaut. Anfangs war der SGB noch nicht ausgeschert, und eine Allianz mit dem Bauernverband schien möglich. Einerseits wollte man den Bundesrat unter Druck setzen, andererseits gab es laut verschiedenen Quellen sogar erste Gespräche über eine mögliche Unterschriftensammlung. Seit Sommer ist es jedoch verdächtig ruhig geworden. Der Grund: Der Freihandelsvertrag untersteht nicht dem Referendum – ein Fiasko! Hinter vorgehaltener Hand gestehen NGO-VertreterInnen ein, es habe sich schlicht niemand darum gekümmert, die nötigen Abklärungen zu treffen.

Ein Teil der NGOs hat inzwischen Plan B ergriffen: Der Bundesrat soll dazu gebracht werden, ein Gremium zu installieren, das die Menschenrechte in Ländern überwacht, mit denen die Schweiz ein Freihandelsabkommen unterzeichnet hat. In der Aussenpolitischen Kommission wurde bereits ein entsprechender Antrag gestellt.

Ganz vom Tisch ist das Referendum jedoch nicht: Das Parlament hat die Möglichkeit, den Vertrag diesem dennoch zu unterstellen – unter Verletzung der Verfassung. Die bürgerliche Mehrheit hat einen entsprechenden Antrag der SP in der Aussenpolitischen Kommission jedoch bereits verworfen. Aufhorchen lässt die Position der SVP, die sonst gern die Volksrechte über die Verfassung stellt und vor Jahresfrist die Initiative «Staatsverträge vors Volk» unterstützt hatte, die sämtliche staatlichen Verträge der Stimmbevölkerung unterbreiten wollte. Was gilt nun? Eine berechtigte Frage, meint SVP-Generalsekretär Martin Baltisser auf Anfrage der WOZ. Nach Rücksprache mit Parteiexponenten liefert er die Antwort kurze Zeit später: «Nach der verlorenen Abstimmung haben sich die Kommissionsmitglieder der SVP auf den Standpunkt gestellt, dass der Volkswille zu respektieren sei.»

Allerdings, meint Baltisser, könnte die Frage in der bevorstehenden Session parteiintern noch für Diskussionen sorgen. Man kann gespannt sein.