Miklós Klaus Rózsa: Fotografieren als politischer Akt

Nr. 7 –

Überwachungsakten der Polizei und Aufnahmen eines bewegten Fotografen: Zwei junge Zürcher Künstler lassen in einem Buch zwei entgegengesetzte Perspektiven aufeinanderprallen.

Collage aus Fiche und Fotos: Aktion gegen das AKW Gösgen im Sommer 1977, dokumentiert von der Zürcher Stadtpolizei und Klaus Rózsa. Bild: Aus dem besprochenen Band

«Hält Übergriffe der Polizei in allen Einzelheiten fest und behindert dadurch die Arbeit der Polizei»: So steht es in einem Bericht der Kantonspolizei Zürich zu den Zürcher Jugendunruhen 1980.

Gemeint ist Klaus Rózsa. Rund 3200 maschinengeschriebene Fichenblätter haben die Stadt- und die Kantonspolizei Zürich zwischen 1971 und 1989 zu Rózsa unter der Nummer 31/553 angefertigt. Sie zeugen von der Doppelrolle, die Rózsa als fotografischer Dokumentarist und politischer Aktivist auf den Strassen Zürichs ausgeübt hat. Seine exzessive Fichierung hat auch damit zu tun, dass für Rózsa allein schon der Moment des Fotografierens ein politischer Akt ist: Er schoss mit der Kamera zurück – und hielt darüber hinaus über Jahre Momente der polizeilichen Gewalt gegenüber DemonstrantInnen fest.

Bereits als Achtzehnjähriger arbeitete Rózsa als freier Journalist – «neuerdings mit Presseausweis!», wie ein Ermittler am 9. August 1972 erschüttert vermerkt. Die Tätigkeit blieb nicht ungeahndet: Aufgrund seiner Fichen wurde Rózsa, der 1956 im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern aus Ungarn in die Schweiz gekommen war, nicht eingebürgert.

Filmischer Charakter

3200 Fichen und 1800 Fotos: Das ist das dokumentarische Konvolut, das sich in Rózsas Archiv zwischen 1971 und 1989 angesammelt hat. Christof Nüssli und Christoph Oeschger, zwei Zürcher Künstler, haben nun ein Buch fertiggestellt, das die jeweiligen Akten mit den Fotografien erstmals zusammenbringt. Sie beliessen es jedoch nicht bei einer Gegenüberstellung; vielmehr collagierten sie die beiden Quellen – und eröffnen so eine Doppelperspektive, bei der beide Seiten jeweils völlig unterschiedlich von ein und denselben Ereignissen berichten.

Der Medienkünstler Oeschger (29) lernte Rózsa während eines Studienaufenthalts in Budapest kennen, wo Rózsa seit seinem Rücktritt als Präsident der Journalistengewerkschaft Comedia im Jahre 2005 zeitweise wieder lebt. So begann sich Oeschger, zusammen mit dem Typografen Christof Nüssli (27), für Rózsas Fotos zu interessieren. Rózsa öffnete den beiden sein Archiv, worauf sie anfingen, die Sammlung chronologisch zu ordnen und das komplette Fotomaterial und auch alle Fichen zu digitalisieren.

Die chronologische Aufbereitung verleiht dem 600-seitigen Buch einen filmischen Charakter. Der Historiker Peter Kamber zitiert im Nachwort den französischen Kulturtheoretiker Roland Barthes, wonach es keine Wahrheit gibt, «die nicht an den Augenblick gebunden wäre». Augenblicksbilder dieser Art, so Kamber, finden sich bei Rózsa. Das Besondere am Buch von Oeschger/Nüssli sei, dass sie nicht für sich allein stehen: «Die Akten, welche die Polizei herstellte, werden zu Sprechblasen jener Bilder, die Rózsa machte. Dadurch entsteht gleichsam ein Fotoroman.»

Indem Oeschger und Nüssli die Fotos über die Akten legen, stellen sie Rózsas Bilder, die die polizeiliche Repression zeigen, über die Fichen, durch die die Repression legitimiert werden sollte. Die beiden spielen damit subversiv mit der Tatsache, dass die Polizeiakten, die nach dem Fichenskandal im Jahr 1989 den Betroffenen auf Anfrage zugeschickt wurden, geschwärzte oder schraffierte Stellen enthielten. Dort aber, wo die beiden Buchmacher nun selbst etwas verdecken, öffnen sich Bildfenster mit den Fotos von Rózsa. Durch diese Gegenüberstellung von Bildern und Akten, so Kamber, «tritt das Buch schon rein formal in eine Debatte ein über das Verhältnis von Schrift und Bild».

Zurückschiessen auch heute

Die doppelperspektivische Zeitreise beginnt im Jahr 1971, als der sechzehnjährige Rózsa im damaligen AJZ verkehrte, das der Zürcher Stadtrat wenige Wochen später schliessen liess. Erstmals erwähnt wird Rózsa in den Akten im Zusammenhang mit einer spektakulären Störaktion der «Aktion Heimkampagne» in der Arbeitserziehungsanstalt Uitikon im September 1971, bei der siebzehn Zöglinge «befreit» wurden.

Das Buch dokumentiert die Entwicklung von der Jugendbewegung der frühen siebziger Jahre über die Anti-AKW- und die Achtziger-Bewegung bis zum Ende des Kalten Kriegs im Jahr 1989, in dem auch der letzte Ficheneintrag zu Rózsa gemacht wurde – wenige Monate, bevor im November 1989 eine parlamentarische Untersuchungskommission in ihrem Bericht zum Fichenskandal die Staatsschutzaktivitäten in der Schweiz erstmals in ihrem ganzen Ausmass aufdeckte.

Die Abruptheit, mit der das Buch mit dem letzten Ficheneintrag zu Rózsa endet, zeigt, dass es sich keineswegs um eine abgeschlossene Geschichte handelt, sondern vielmehr um ein Fragment aus einer Zeit der vordigitalen Überwachung. Rózsa schiesst bis heute zurück. Erst vor wenigen Monaten hat er vor dem Bundesgericht erfolgreich erstritten, dass FotografInnen bei Demonstrationen wieder ungehindert arbeiten dürfen. Die vom Zürcher Obergericht bestätigte Einstellung eines von Rózsa angestrengten Strafverfahrens gegen zwei Zürcher Polizisten, die ihn im Juli 2008 im besetzten Zürcher Hardturmstadion in seiner Arbeit als Pressefotograf gehindert hatten, wurde aufgehoben.

«MKR_3» im Corner College, Kochstrasse 1, Zürich: Buchvernissage Freitag, 14. Februar 2014, 19 Uhr, Ausstellung Freitag, 15., bis Donnerstag, 21. Februar 2014. Begleitveranstaltungen siehe cpress.ch .

Christof Nüssli und Christoph Oeschger: Miklós Klaus Rózsa. cpress. Zürich 2014. 624 Seiten, 450 Schwarz-Weiss-Abbildungen. Fr. 54.60