Regierungsrat: Hans-Jürg Käser kegelt weiter

Nr. 13 –

Während sich der bernische Polizeidirektor Hans-Jürg Käser auf der nationalen Bühne profiliert, geht es in seiner Direktion drunter und drüber. Am Sonntag wird er wohl dennoch wiedergewählt.

Er wollte es nicht sagen, obwohl er es versprochen hatte. Aber dann wurde der Druck letzte Woche im Berner Rathaus zu gross. ParlamentarierInnen von links bis rechts forderten vom bernischen Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP), nun endlich bekannt zu geben, wie viel Geld in seinem Migrationsdienst verloren gegangen ist. Schliesslich nannte er die Zahl: Der Migrationsdienst hat in den letzten Jahren wohl über zwanzig Millionen Franken an «vermeidbaren Aufwendungen» getätigt – weil er die Betreiber der Asylunterkünfte pro Platz statt pro BewohnerIn entschädigte und die Senkung der Bundesbeiträge nicht an sie überwälzte, weil er auf Vorschüsse keine Zinsen erhob und Ansprüche bei Krankenkassen nicht rechtzeitig geltend machte.

Ein knappes Jahr zuvor hatte Hans-Jürg Käser, 64 Jahre alt, einst Sekundarlehrer, dann Präsident des Städtchens Langenthal und seit 2006 bernischer Regierungsrat, zum ersten Mal zum angeblichen Chaos in seinem Migrationsdienst Stellung genommen. Jetzt eröffnete er die Medienorientierung, indem er einen Satz aus einem NZZ-Meinungsartikel zitierte: «Wer sich gerade zum Skandal eignet, den triffts.» Käser hatte sich zur Einberufung der neuen Pressekonferenz genötigt gesehen, nachdem ein interner Bericht öffentlich geworden war, der dem Migrationsdienst ein vernichtendes Zeugnis ausstellte: Er sei nicht in der Lage aufzuzeigen, wie er die Bundesgelder verwendet, die er für die Unterbringung von Asylsuchenden erhält. Die Jahresabschlüsse seien unbrauchbar oder fehlten gänzlich, Prozesse seien kaum dokumentiert.

Happige Vorwürfe. Käser aber fühlte sich und seinen Migrationsdienst zu Unrecht an den Pranger gestellt. Es könne «keine Rede davon sein», dass sie den Überblick über die Finanzen verloren hätten, sagte er. Von sich selbst zeichnete er das Bild eines vorausschauenden Kapitäns: Bereits vor einem Jahr habe er eine Überprüfung der Finanzflüsse im Asylwesen durch eine private Firma veranlasst. Die Oberaufsichtskommission des Parlaments hatte das nicht überzeugt. Sie hatte eigene Abklärungen an die Hand genommen und kam zum Schluss, Gelder in Millionenhöhe seien verloren gegangen, eine eigentliche Asylstrategie sei nicht zu erkennen. Und was tat Käser? Er teilte mit, seine Direktion habe «entgegen der Ansicht der Oberaufsichtskommission ihre Führungsverantwortung stets wahrgenommen» – und sprach der Amtsleitung sein Vertrauen aus.

Wenn er nicht mehr anders kann

Zurück blieb der Eindruck: Käser, der von sich sagt, er habe sich als Kommandant im Militär die «Gabe» angeeignet, «schnell einschätzen zu können, was man rasch anpacken muss und was warten kann», reagiert erst dann, wenn er nicht mehr anders kann. Ähnlich schien es im Fall des Thorberg-Direktors Georges Caccivio. Letzten August war Käser über Missstände in der Strafanstalt Thorberg informiert worden. Die gravierendsten: Dem Direktor fehle es an Distanz zu Insassen, und er habe eine Seite aus einem Dossier entfernt, die belegte, dass er mit Drogenprostituierten verkehrt hatte. Käser verfügte einige Änderungen, dann tat sich nichts mehr. Erst als Anfang 2014 Journalisten zu recherchieren begannen, ordnete Käser eine externe Untersuchung an, im Februar schliesslich entliess er Caccivio. Er funktioniere nicht nach dem Prinzip «Hire and Fire», rechtfertigte er sich. Seine Führungsverantwortung habe er «rasch, klar und sauber wahrgenommen», als er über die nötigen Fakten verfügt habe.

Vor den kantonalen Wahlen vom Sonntag, bei denen Hans-Jürg Käser für eine dritte Amtszeit antritt, fragt man sich im Kanton Bern: Haben die Negativschlagzeilen dem Polizeidirektor geschadet? Oder war es ihm vielleicht sogar dienlich, dass ihm eine Publizität wie keinem seiner Konkurrenten beschert war? Nein, die Turbulenzen hätten Käser «sicher nicht genützt», sagt Adrian Vatter, Politologe an der Universität Bern. «Aber dass sie ihm so stark geschadet haben, dass er die Wiederwahl verpasst, würde ich bezweifeln.» Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass Käser «mit einem schlechten Resultat wiedergewählt wird». Trete dies ein, sei es allerdings gut möglich, dass andere Regierungsmitglieder Ansprüche auf seine Polizei- und Militärdirektion anmeldeten, glaubt Vatter.

Der grösste Erfolg: nicht mitgespart

Dass Käser auch arge Missstände in seiner Direktion erst dann entschieden angeht, wenn sie öffentlich werden, könnte daran liegen, dass er manch anderes zu tun hat, als sich um seine Direktion und das oft mühselige kantonale Tagesgeschäft zu kümmern. Seit er vor zwei Jahren als Nachfolger von Karin Keller-Sutter zum Präsidenten der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) gewählt worden war, trat er gerne und oft in den überregionalen Medien auf. Er forderte Lager für sogenannte renitente Asylsuchende oder eine Abschaffung der Asylnothilfe. Und er propagierte die von der KKJPD ausgearbeitete Verschärfung des sogenannten Hooligan-Konkordats, einem Bündel an repressiven Massnahmen, die Ausschreitungen rund um Sportveranstaltungen verhindern sollen. Eine interessante Übersicht über seine Prioritäten bot Käser kürzlich, als er vom Schweizer Radio gebeten wurde, die Erfolge seiner zu Ende gehenden Amtsperiode aufzuzählen. Käser nannte: die Umsetzung der Einheitspolizei im Kanton Bern, seine Wahl zum Präsidenten der KKJPD, die Realisierung des Hooligan-Konkordats, die Restrukturierung des nationalen Asylwesens, an der er mitarbeitet. Nur gerade die Einheitspolizei ist ein kantonales Geschäft.

Den grössten Erfolg freilich, den er für seine Direktion erzielt hat, den erwähnte Käser nicht. Letzten Sommer hat er es geschafft, dass sich die Polizei- und Militärdirektion kaum am fast eine halbe Milliarde schweren Sparpaket des Kantons beteiligen musste. Käser machte einfach nur einen einzigen Vorschlag, wie seine Abteilung sparen könnte: indem sie hundert Polizeistellen streicht. Ein rein taktisches Manöver, wie er jüngst freimütig zugab: «Ich wollte vom Parlament hören, dass man bei der Polizei nicht sparen will», sagte er im «Bund». Sparen, schien sich Käser zu sagen, sollen die andern. Käser stiess damit seine RegierungskollegInnen vor den Kopf, es war eine Totalabsage an die gouvernale Kollegialität. Für seine Belegschaft aber, für die 4600 MitarbeiterInnen seiner Direktion, hatte er das Optimum herausgeholt.

Käser kegelt, die Dummen zählen

Hans-Jürg Käser ist keiner, der Sätze sagt, die in Erinnerung bleiben – aber er zitiert sie gern. Einen Aphorismus, den er oft benutzt, ist der: «Wer in der Öffentlichkeit kegelt, muss sich gefallen lassen, dass seine Treffer gezählt werden.» Nur: Wenn jemand seine Treffer anders zählt als er, reagiert Käser unwirsch. Wer ihm Versäumnisse vorwirft und sein Tun hinterfragt, den behandelt er von oben herab. Er scheint es dann eher mit der Aussage des Cellisten Pau Casals zu halten, die auf seiner Website prangt: «Die Fehler zu zählen, können Sie den Dummen überlassen.» Wenn Käser der Meinung ist, er werde zu Unrecht kritisiert – und das ist er meistens, wenn er kritisiert wird –, dann nehmen seine Aussagen schnell eine Schärfe an, die verletzend sein kann. Das erfuhr etwa Matthias Aebischer, Berner SP-Nationalrat, der als Gegner des Hooligan-Konkordats mehrmals mit Käser auf einem Podium sass. Er habe Käser in der Diskussion meist als fair erlebt, sagt Aebischer. Hie und da aber sei dessen «reaktionäre Seite» zum Vorschein gekommen. Als er, Aebischer, infrage gestellt habe, dass das Konkordat mit Grundrecht vereinbar sei, habe ihn Käser gefragt, was ihm einfalle, an einem Konkordat zu zweifeln, das von den Polizeidirektoren sämtlicher Kantone abgesegnet worden sei. «Er hat mich abgeputzt wie einen Schuljungen», sagt Aebischer. Ein paar Tage später stellte das Bundesgericht fest, dass das Konkordat in zwei Punkten gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstösst.

Einer, der weiss, wie es ist, Käsers Schuljunge zu sein, ist der Langenthaler Schriftsteller Pedro Lenz. In der fünften und sechsten Klasse war Käser sein Lehrer. Er sei ein «junger, dynamischer, beliebter» Lehrer gewesen, habe keinen Schüler bevorzugt, «ein grundanständiger Typ». Wenn er mitbekomme, wie Käser nun unter Beschuss sei, «dann tut mir das leid», sagt Lenz. Und das, obwohl Käser als Politiker «voll auf der Linie Law and Order» sei, womit er, Lenz, wenig anfangen könne. Als Lehrer sei Käser «nie ein Scharfer» gewesen, sagt Pedro Lenz. «Aber ich denke, dass so ein Amt halt auch etwas mit einem macht.»

Wahlen im Kanton Bern : Die Kohabitation hat wohl Bestand

Der Tag, an dem Hans-Jürg Käser als FDP-Vertreter in die bernische Regierung gewählt wurde, war für die Bürgerlichen ein schmerzvoller: Rot-Grün errang am 9. April 2006 in der siebenköpfigen Regierung vier Sitze und damit nach sechzehn Jahren erstmals wieder die Mehrheit. Seither herrscht im Kanton Bern eine Kohabitation – ein klar bürgerliches Parlament steht einer mehrheitlich rot-grünen Exekutive gegenüber. Wenig spricht dafür, dass sich dies am nächsten Sonntag ändert. Einen Linksrutsch im 160-köpfigen Parlament erwartet niemand. Interessant wird sein, ob die Wahlsiegerin von 2010, die BDP, ihre 25 Sitze verteidigen kann – und ob die FDP-Fraktion, die vor vier Jahren mit neun Sitzverlusten die Verliererin war, noch einmal kleiner wird.

Bei den Regierungsratswahlen treten sämtliche sieben Amtsinhaber erneut an. Die Berner Politologen Adrian Vatter und Thomas Milic haben errechnet, dass bei kantonalen Wahlen in den letzten zwölf Jahren 93 Prozent aller amtierenden Regierungsräte, die erneut kandidierten, wiedergewählt wurden. Am wahrscheinlichsten scheint deshalb, dass die bernische Exekutive auch nach den Wahlen von Barbara Egger-Jenzer, Philippe Perrenoud, Andreas Rickenbacher (alle SP), Bernhard Pulver (Grüne), Hans-Jürg Käser (FDP), Christoph Neuhaus (SVP) und Beatrice Simon (BDP) gebildet wird. Den KandidatInnen der Mitteparteien, Barbara Mühlheim (GLP) und Marc Jost (EVP), werden keine Wahlchancen beschieden.

Die einzige Möglichkeit, die Regierungsmehrheit zurückzugewinnen, bietet sich dem bürgerlichen Lager im Berner Jura, der einen Sitz in der Regierung garantiert hat. Schlägt der auch nach dem Wahlkampf eher unbekannte SVP-Kandidat Manfred Bühler im Berner Jura den SP-Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud, zieht er in die Regierung ein. Sehr wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Adrian Vatter erwartet, dass alle sieben wiedergewählt werden. Jedes andere Resultat wäre aus seiner Sicht «eine aussergewöhnliche Überraschung».

Timo Kollbrunner