Arabisches Filmfestival: Wenig Spielraum, viel Widerstandskraft

Nr. 15 –

Das zweite arabische Filmfestival im Zürcher Filmpodium beschäftigt sich mit sozialen Strukturen im Alltag. Einen Schwerpunkt bilden Filme von Frauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

Zwei Männer buhlen in einem Dorf um die hübsche Tochter eines politisch einflussreichen Ladenbesitzers. Es ist scheinbar die alte Geschichte. Doch der Alltag ist chaotisch, denn niemand lebt mehr von der Subsistenzwirtschaft, das Dorf ist von staatlicher Wirtschaftshilfe abhängig. Lastwagen schaffen Lebensmittel, Wasser und Gasflaschen herbei. Die jungen Männer hocken untätig herum, kiffen und sniffen, machen ein bisschen Krafttraining, klauen oder hantieren mit Gewehren herum, während die Frauen beständig an der Arbeit sind und die schweren Gasflaschen auf dem Kopf durchs Dorf balancieren. Man fragt sich, wer hier die sozialen Fäden in den Händen hält. Mit der Komödie «Chaos, Disorder» (2012) knüpft die Filmemacherin Nadine Khan an eines der beliebtesten Genres der ägyptischen Filmindustrie an. Ihr arabisches Dorf ist wie eine Theaterkulisse rekonstruiert, die ProtagonistInnen treten auf und ab.

Khans ist einer von 22 AutorInnenfilmen, die vom 11. April bis zum 5. Mai im Zürcher Filmpodium gezeigt werden. Zum zweiten Mal findet dort das Arab Film Festival statt, mit Filmen aus dem Libanon, aus Palästina und Saudi-Arabien, Marokko, Tunesien und Ägypten. Der Arabische Frühling hat thematisch keine Priorität mehr, zeigt sich jedoch im spielerischen Umgang mit tief verwurzelten sozialen Strukturen. Zum Auftakt des Festivals am kommenden Wochenende werden mehrere RegisseurInnen anwesend sein und über ihre Arbeit sprechen, darunter auch Nadine Khan.

Hochzeit und Scheidung

Ein Schwerpunkt des Programms liegt auf Filmen von Frauen, die sich thematisch mit ihrer Selbstbestimmung auseinandersetzen. Die junge saudi-arabische Regisseurin Ahd widmet «Sanctity» (2013) ihrer geliebten Geburtsstadt Dschidda. Dabei merken wir, dass wir das Leben in archaisch anmutenden Verhältnissen nur schwer nachvollziehen können. Nach dem plötzlichen Tod ihres Gatten darf die junge Witwe Arij, gespielt von der Regisseurin, keine Männer sehen. In eine tiefschwarze Burka gehüllt, trifft sie auf der Strasse einen verletzten Jungen und nimmt ihn bei sich auf. Das sinnliche Spiel zwischen dem Adoleszenten, der sich seiner Gastgeberin ungebührlich annähert, und deren dezidierte, aber äusserst charmante Abgrenzung kontrastieren mit den rigiden Gesetzen der Scharia, mit denen der Bruder ihres verstorbenen Ehemanns seine Schwägerin bedroht. Die schlichte Licht- und Farbästhetik verleiht dieser faszinierenden Fiktion zusätzlich spielerische Leichtigkeit.

Wenig Spielraum, aber viel Widerstandskraft hat die Protagonistin von Karima Zoubirs «Camera/Woman» (2004), einem marokkanischen Dokumentarfilm über die geschiedene Kamerafrau Khadija, die nach der Scheidung mit ihrem elfjährigen Sohn ins Haus ihrer Mutter zurückkehrt und dort mit ihren Hochzeitsreportagen zum Unterhalt ihrer Mutter und ihres arbeitslosen Bruders beiträgt. Dennoch halten die beiden ebenso wie die Nachbarinnen der geschiedenen Frau vor, ihr ausserhäuslicher Broterwerb sei eine Schande für die Familie, und setzen sie schliesslich vor die Tür. Faszinierend ist die Gegenüberstellung von bombastischen Brautritualen und dem Alltag der Geschiedenen – in Marokko ist die Ehescheidung seit 2004 gesetzlich erlaubt –, die trotz des familiären Drucks keinesfalls wieder heiraten möchte. Ein vielschichtiges Werk.

Subtile Vergangenheitsbewältigung

Eigenartig verhalten wirkt der in Tunesien äusserst erfolgreiche Spielfilm «Hidden Beauties / Millefeuille» (2012) des tunesischen Regisseurs Nouri Bouzid, eines bekennenden Anhängers der Trennung von Religion und Staat, über das Tragen des Kopftuchs. Aicha trägt es mit Leichtigkeit, ihre Freundin Zaineb weigert sich, obwohl sie von ihrer Mutter, ihrem aus dem Gefängnis zurückgekehrten fundamentalistisch beeinflussten Bruder und ihrem in Frankreich lebenden Verlobten dazu angehalten wird. Der untertitelten Version geht die Unmittelbarkeit des Geschehens auch deshalb etwas verloren, weil es viele Dialoge gibt.

Vor einem Jahr wurde in Algerien der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit gefeiert. In «Fidaï» hat Damien Ounouri, Franzose mit algerischem Vater, ein Gegenstück zum heroischen öffentlichen Gedächtnis an den Befreiungskrieg geschaffen. Sein Grossonkel Mohamed al-Hadi Benadouda wurde mit neunzehn Jahren ein Fidaï, ein Kämpfer im Auftrag der algerischen Nationalen Befreiungsfront FLN, und auf französischem Territorium einen «Verräter» umbrachte. Wie lebt er mit seiner ganz persönlichen Vergangenheit? Der Regisseur rekonstruiert mit Hadi am Ort des Geschehens im französischen Clermont-Ferrand dessen Tat und betreibt mit ihm ein Stück Erinnerungsarbeit. Diese subtile Rekonstruktion über die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Ereignisse ist eine Hommage an einen Kämpfer, der seine Erlebnisse bisher kaum mit jemandem geteilt hat und nicht frei ist von Gewissensbissen.

Noch weiter in die Geschichte zurück kehrt Nacer Khemir mit seinem fiktionalen Dokumentarfilm «Looking for Muhyiddin» (2012). Der Tunesier inszeniert sich als reisenden Sohn, der von seinem verstorbenen Vater beauftragt worden ist, über den sufistischen Mystiker Muhyiddin Ibn Arabi (1165–1240), einen frühen Vertreter der religiösen Toleranz, Erkundungen einzuholen. In Oxford und New York trifft er bedeutende IslamforscherInnen, bevor er solche in Tunis, im Jemen und in Damaskus aufsucht. Ein schöner, witziger und versöhnlicher Beitrag zu einem brandaktuellen Thema.

Weitere Informationen zum zweiten 
internationalen arabischen Filmfestival unter 
www.filmpodium.ch.