Lego im Kino: Anarchie im Kinderzimmer

Nr. 15 –

Schon der US-amerikanische Autor Norman Mailer protestierte mit Lego gegen das Big Business. Jetzt haben zwei erwachsene Buben einen ganzen Blockbuster aus Lego gebastelt.

Die Stadt seiner Träume stand in seinem Wohnzimmer: ein buntes Luftschloss, das in pittoresken Wucherungen nach allen Richtungen strebte, vor allem aber himmelwärts, fast zwei Meter hoch. So sah sie aus, die Stadt der Zukunft, wie sie der Schriftsteller Norman Mailer sich erträumte. Errichtet hatte er sein Modell im Januar 1965 zusammen mit einem befreundeten Architekten, daheim in Brooklyn. Als Baumaterial hatte er Elemente aus Plastik benutzt, wie man sie gewöhnlich nur im Kinderzimmer findet. Mailers Stadt der Zukunft, sie war gebaut aus Lego.

Gebt ihm Legosteine zum Stapeln, und es verwandelt sich selbst ein egomanischer Berserker wie Norman Mailer in ein spielendes Kind. Seither sind immer wieder Künstler dem Reiz der farbigen Steine erlegen. So auch Michel Gondry, als er zu «Fell in Love with a Girl» (2002) von den White Stripes ein Musikvideo komplett aus Legosteinen animierte. Der Effekt war frappant: Die Band war abstrahiert bis zur Unkenntlichkeit, wirkte wie grob verpixelt – was wiederum eine perfekte visuelle Entsprechung war für die reduktionistische Ästhetik der White Stripes.

Sie befinden sich also in bester Gesellschaft, die beiden erwachsenen Buben, die jetzt einen ganzen Blockbuster aus Lego gebastelt haben, digital aufgerüstet und natürlich in 3D. Sie heissen Phil Lord und Chris Miller, und ihr Film nennt sich lapidar «The Lego Movie». Er ist ungeniert infantil, dabei extrem raffiniert, also in jeder Hinsicht auf Augenhöhe mit seinem Material. Und in Zeiten, wo alles auf Fotorealismus in «high definition» zielt, sollte man den Rückgriff auf die klobige Abstraktion von Lego nicht bloss als kindliche Regression abtun. Das ist auch schönster, dreister Trotz.

Freie Kombinatorik

Was aber ist Lego? Zum Beispiel eine Zeitmaschine, die uns auf blosse Berührung hin verkleinert. Marcel Proust hatte seine Madeleines, wir haben diese bunten Klötzchen aus Plastik: Nimm einen Legostein in deine Finger, und er katapultiert dich zurück in die Kindheit. Aber Lego ist mehr als die kindliche Nostalgie, die es auslöst. Ein total standardisiertes Produkt der industriellen Massenkultur, das aber schier grenzenlose Kombinationsmöglichkeiten verheisst: Das ist die kulturelle Ökonomie von Lego. Jeder Legostein ist ein stereotyp genormtes Ding, aber in der Masse verleitet er zu anarchisch wuchernden Fantasiegebilden. Und wo solche gebaut werden, keimt immer auch die kindliche Lust, sie wieder zu zertrümmern. (Diese Zerstörungslust unterscheidet das echte Kind denn auch von erwachsenen Buben wie Norman Mailer. Dem war seine Stadt der Träume so teuer, dass er sie zeitlebens in seinem Wohnzimmer stehen liess.)

Und die Sache mit der kreativen Entfaltung ist bei Legosteinen kein leeres Versprechen. Wer nur schon drei gleichfarbige identische Steine mit acht Noppen zur Hand nimmt, hat theoretisch 1560 Varianten zur Auswahl, wie sich diese zusammenstecken lassen. Bei fünf Steinen gehen die Möglichkeiten bereits in die Millionen. Bloss: Die freie Kombinatorik der patentierten Bausteine ist dem dänischen Familienkonzern schon längst nicht mehr attraktiv genug. Wer sich heute in den Regalen mit den aktuellen Legobaukästen umschaut, findet dort vor allem auch die üblichen Verdächtigen aus Hollywoods Merchandising-Abteilungen. Da gibt es einen Themenpark zu «The Hobbit», auch die HeldInnen aus «Star Wars» wurden längst vom Legouniversum aufgesogen. Seit 1974, als die ersten Legofiguren in die Welt gesetzt wurden, hat Lego die radikale Offenheit seines alten Baukastensystems thematisch immer enger kolonisiert.

Die Klage darüber ist nicht neu. Sie ist auch schon in die Literatur eingegangen, in «Mikrosklaven» (1995), Douglas Couplands prophetischer Satire über die digitale Arbeitswelt. Da findet es ein Computernerd schlicht deprimierend, dass die Kinder unserer Tage gar keine Fantasie mehr bräuchten, wenn sie mit Lego spielen – weil zum Beispiel die Legoautos, die sie sich heute kaufen können, oft schon vorgefertigt aus der Schachtel purzeln. Ganz ähnlich ergeht es Anthony Lane vom «New Yorker», als er einmal ein brandneues Set für ein Ufo zusammensetzt, getreu nach Anleitung. Das Basteln habe ihm nicht wirklich Freude gemacht, schreibt Lane in seinem Essay über Lego: «Der Weg von den Einzelteilen zum Endprodukt war so glatt und so feindlich gegen jede Improvisation, dass ich mich weniger wie ein Kind beim Spielen fühlte als wie der letzte Mann an einem Fliessband.»

Apartheid im Legoland

Wenn jetzt «The Lego Movie» in die Kinos kommt, lässt sich der Film wie ein abendfüllender Werbespot lesen, der genau diese Klage entkräften soll: dass Lego in seiner heutigen Form die Fantasie kanalisiere, statt sie zu beflügeln. Der Plot entzündet sich am finsteren Lord Business und seinen Plänen, die Legogesellschaft strikt nach Milieus zu trennen: Apartheid im Legoland. Es kommt zum Aufstand gegen den Despoten, um das multikulturelle Miteinander zu retten. So mündet «The Lego Movie» in ein Plädoyer für eine entfesselte Gesellschaft – und für die Personenfreizügigkeit: Keine Grenzen zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen!

Wenn der Despot in «The Lego Movie» sein Reich nach sozialen Ghettos ordnen will, offenbart sich eben auch die Kehrseite des Baukastendenkens: Die quaderförmige Welt von Lego lädt auch zu totalitären Träumen ein. Was das heisst, hat einst der polnische Künstler Zbigniew Libera in einer bitterbösen Arbeit gezeigt. Libera baute ein Konzentrationslager aus Lego und schuf gleich auch die passende Verpackung, absolut stilecht samt offiziellem Legologo. Der Konzern war nicht amüsiert, sah aber von einer Klage ab. Ein KZ als Legobaukasten? Das war mehr als ein Spiel mit der Provokation, es war eine makabre Lektion in materialistischer Dialektik: Der organisierte Massenmord und die Fabrikation von Lego folgen derselben industriellen Logik. (Lego wurde 1932 erfunden, im Jahr vor der Machtergreifung der Nazis.)

Norman Mailer übrigens hat auf seine Weise auch schon gegen den bösen Lord Business gekämpft, wie er in «The Lego Movie» sein Unwesen treibt. Schliesslich wollte Mailer sein Luftschloss aus Lego als zumindest halb ernst gemeinte städtebauliche Vision verstanden wissen, wie er 1965 einer Journalistin der «Village Voice» erzählte: nämlich als fantastischen Gegenentwurf zum World Trade Center mit seinen Zwillingstürmen, zu dem im Jahr davor die Pläne präsentiert worden waren. Die Stadt aus Lego war demnach Mailers kindlicher Protest gegen diesen Tempelbau des Big Business, der in seinen Augen die Skyline von New York verschandeln würde. Ironie der Geschichte: Die Zwillingstürme hatten dann weniger lang Bestand als Mailers Gegenentwurf aus Lego.

The Lego Movie. Phil Lord und Chris Miller. USA 2014

«The Lego Movie» : Männchen ohne Eigenschaften

Dieser Film ist nicht zum Aushalten. «The Lego Movie» fährt ein wie das Gegenteil von Ritalin: Das ist ein Film, so nervtötend anarchisch wie ein hyperaktives Kind. Das ist als Warnung zu verstehen, aber wer ohne Furcht ist, darf es getrost als Empfehlung lesen. Denn «The Lego Movie» ist auch ein weiterer Beleg dafür, dass die smartesten Blockbuster oft aus der infantilsten Ecke kommen.

Zu verdanken ist das den beiden Autoren und Regisseuren Phil Lord und Chris Miller («Cloudy with a Chance of Meatballs»), die das Legouniversum in ihrem Film als Schauplatz für einen politischen Aufstand bespielen. Da ist der böse Präsident Business, der sein Reich wie eine Feelgood-Diktatur organisiert hat. Zu seinem Gegenspieler avanciert der Bauarbeiter Emmet, ein angepasster Nobody, der sichs eigentlich ganz gut eingerichtet hat in dieser totalitären Zerstreuungsgesellschaft. Und ausgerechnet er soll jetzt als Auserwählter den politischen Umsturz anführen, ein Männchen ohne Eigenschaften und ohne jeden Ehrgeiz zum Heldentum.

Natürlich steckt darin auch der übliche Widerspruch eines Blockbusters, der den Klassenkampf predigt: Hollywood (Business!) verbündet sich mit dem Legokonzern (Business!) für einen Film, in dem ein paar unerschrockene Legomännchen dem bösen Business (!) den Garaus machen. Und am Ende wird das ganze ideologiekritische Potenzial, das der Film in seiner galoppierenden Unvernunft entfesselt hat, dann doch wieder brav entschärft: Da löst sich der ganze revolutionäre Geist im reinsten Kitsch einer Vater-Sohn-Beziehung auf. Aber der kindische Overdrive, mit dem «The Lego Movie» davor das Lob der Nutzlosigkeit feiert, samt einem Nonsensabstecher ins leere Hirn eines Legomännchens: Das hat eine anarchische Wucht, wie man sie im Kino kaum je sieht.

Florian Keller

Ab 10. April 2014 in den Kinos.