Dada-Masilo-Ballett: Ein strahlend schwuler Schwan

Nr. 16 –

Die junge, engagierte Choreografin Dada Masilo aus Südafrika begeistert mit ihrer eigenwilligen Version des Ballettklassikers «Schwanensee». Die Produktion ist im Rahmen des Tanzfestivals Steps in der Schweiz zu sehen.

Mit neckischer Feder die Grenzen ausloten: «Schwanensee» von Dada Masilo. Foto: John Hogg

Die 28-jährige Dada Masilo ist nicht die typische Balletttänzerin. Und doch beherrscht sie das Vokabular perfekt – mehr noch: Sie liebt es und hat es in ihrer Heimat Südafrika von der Pike auf studiert.

In Masilos Version von Tschaikowskys Klassiker «Schwanensee» finden sich alle bekannten Ingredienzen wie der Spitzentanz, die weissen Tutus, klassische Musik und eine packende, sentimentale Geschichte. Und doch ist in Masilos Choreografie alles etwas anders. «Pushing the boundaries», wie sie es nennt.

Bei Masilo vermischen sich Ballett, zeitgenössischer und afrikanischer Tanz. Eigentlich eine Unmöglichkeit, da Ersteres die schwerelose Eleganz anstrebt, Letzterer, ganz im Gegensatz dazu, seine Kraft aus der Erdenschwere zieht. Indem die Choreografin den Plot des Originals humorvoll aufbricht und mit realistischen Szenen versetzt, gelingt die Fusion wie selbstverständlich und ganz organisch. Vor allem: Auch bei ihr geht die Geschichte von Odette und Prinz Siegfried zu Herzen. Der sollte auf Wunsch seiner Mutter endlich heiraten, um die Thronfolge zu sichern, will aber nicht und leidet daran. Denn seine Liebe gehört einem Mann – ein Skandal, nicht nur in der homophoben afrikanischen Gesellschaft.

«Wenn ich Fragen habe, dann versuche ich, Antworten zu finden oder das Problem zumindest zu verstehen», sagt die Choreografin im Gespräch. Sie sei jemand, der die Dinge hinterfragen müsse. Da spricht nicht nur eine temperamentvolle Tänzerinnenpersönlichkeit, sondern auch eine gesellschaftskritische junge Frau, der verschiedene Themen unter den Nägeln brennen. «Ich war schon als Kind nicht angepasst; immer habe ich meine eigene Meinung formuliert», sagt Masilo.

Ein Mann im Tutu

Explizit tut sie das in «Swan Lake», ihrem jüngsten Werk, das 2010 Premiere hatte und seither weltweit tourt. «Ich sagte mir, wenn tanzende Männer von vielen automatisch als schwul abgestempelt werden, dann nehmen wir diese Leute beim Wort und zeigen genau das.» In Masilos Version ist Siegfried gay, und sein erotischer Traum ist nicht Odette, sondern der schwarze Schwan Odile: ein dunkelhäutiger Mann in weissem Tutu und auf Spitze. Das ist technisch schlicht sensationell und sinnvoll. Denn die Schwäne werden von Frauen wie Männern verkörpert. Am ungestümsten bebt das Tutu von Masilo, die Odette selber tanzt. Sexy wippt sie mit den Hüften, stampft barfüssig wild auf den Boden und dreht ihre klassischen Pirouetten ebenso grazil wie rasend schnellfüssig, mit ihren typisch harten Bewegungen. Auf ihrem rasierten Kopf klebt, wie bei allen Schwänen, eine neckische Feder.

Mit zwölf Jahren sah Masilo zum ersten Mal «Schwanensee», Inbegriff der weissen Hochkultur, und war von dieser Märchenwelt aufs Tiefste verzaubert. In dieser Zeit begann sie auch mit dem zeitgenössischen Tanz und Balletttraining an der Dance Factory in Johannesburg. «Ich habe die Struktur und die Disziplin des Balletts sehr gemocht», sagt sie. Mit dem Älterwerden merkte sie schnell, dass die Realität nichts mit dieser Glitzerwelt zu tun hatte, gerade für eine Frau in der südafrikanischen Gesellschaft. Geschichten aber haben bis heute ihren Reiz für sie behalten. Als Tänzerin liebt sie es, andere Charaktere darzustellen. Als Choreografin setzt sie in ihren Arbeiten die realen, wenig märchenhaften Geschichten des Lebens um. Ihre Odette wird zwangsverheiratet – da erübrigt sich in ihrem «Swan Lake» ein böser Zauberer wie Rothbart.

Dada Masilo wurde 1985 in eine schwarze Familie hineingeboren und ist in der Township von Soweto aufgewachsen. Als kleines Kind hatte sie noch keinen Zutritt zu den Opernhäusern unter der damals herrschenden Apartheid. Das änderte sich, als das System der Rassendiskriminierung 1990 zu bröckeln begann und 1994 die ersten allgemeinen Parlamentswahlen stattfanden; Nelson Mandela wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Anders als beim älteren Landsmann und Tänzer/Choreografen Gregory Maqoma, mit dem Masilo vor zwei Jahren am Festival d’Avignon ein Duo kreierte, ist das Thema der Apartheid bei der Choreografin weniger vordergründig. Sie selber konnte bereits eine gemischte «Anti-racial»-Schule besuchen.

Tänzerin voll und ganz

Früh wusste Masilo, dass sie das Tanzen zu ihrem Beruf machen wollte. Nach ihrer tänzerischen Grundausbildung kam die junge Frau an die von Anne Teresa De Keersmaeker gegründeten P.A.R.T.S. (Performing Arts Research and Training Studios) in Brüssel und lernte dort die unterschiedlichsten LehrerInnen und Techniken kennen – «ein Minenfeld an Informationen», wie sie sagt. Und sie kreierte hier ihre erste Choreografie, gegen eigene Widerstände. «Ich wollte bis dahin nie selber Stücke machen», erzählt Masilo, «weil ich voll und ganz Tänzerin bin.» So wurde sie zu ihrer zweiten grossen Begabung sozusagen gezwungen. Damals war gerade eine ihrer Tanten an Aids gestorben. Es entstand ein Solo über Trauer und Schmerz.

Masilo hat mit dem Choreografieren ein Instrument gefunden, um persönliche Fragen und soziale Missstände zu formulieren. Ein Glück für TanzliebhaberInnen, dass Masilo nicht nur klug argumentieren, sondern auch sinnlich aufregend choreografieren kann.

Das Tanzfestival Steps findet in zahlreichen Städten statt und dauert vom 24. April bis zum 17. Mai 2014. «Swan Lake» von Dada Masilo wird zwischen dem 27. April und dem 17. Mai 2014 in Zürich, Schaffhausen, Lörrach, Vevey, Meyrin, Baden, Lugano und Chur aufgeführt. www.steps.ch