Personenrätsel: Der geniale Schneider

Nr. 17 –

Dass er sich einmal mit der Firma Singer um das Patent einer Knopflochnähmaschine streiten würde, hätte er wohl nicht gedacht. Und es hätte ihn auch erstaunt, dass man ihn so schnell vergass. Schliesslich wurde der Anhänger des Gemeineigentums einst als erster Theoretiker des deutschen Proletariats gefeiert, sein Konterfei hing in jedem sozialistischen Vereinsheim.

Der uneheliche Sohn einer Dienstmagd kam 1808 in Magdeburg zur Welt. Er besuchte die Schule, machte eine Schneiderlehre und begab sich mit achtzehn auf seine Gesellenwanderung, die ihn über Leipzig, Dresden und Wien nach Paris führte. Dort sorgte die arrogant-korrupte Herrschaft des Bürgerkönigs Louis-Philippe gerade für Hungerrevolten und republikanische Empörung. Er trat einem Geheimbund deutscher ExilantInnen bei, kam in Kontakt mit frühsozialistischen Ideen, gründete den Bund der Gerechten und verfasste für diesen 1838 «Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte» – das erste deutschsprachige Kommunismusmanifest.

1841 ging er als Beauftragter des Gerechten-Bundes in die Schweiz, um die dortigen deutschen Handwerksgesellen für die soziale Revolution zu gewinnen. Er baute Bildungsvereine und Genossenschaftskantinen auf und gab das Blatt «Die junge Generation» heraus. 1843 verurteilte ihn die Zürcher Justiz wegen Gotteslästerung zu zehn Monaten Gefängnis und wies ihn aus. Die deutschen Behörden wollten den Unruhestifter aber auch nicht haben und schoben ihn nach England ab. Dort firmierte er mit Karl Marx und Friedrich Engels den Bund der Gerechten zum Bund der Kommunisten um, überwarf sich anschliessend mit den beiden Denkern und emigrierte in die USA, wo er weiter agitierte, organisierte, publizierte.

1852 übernahm er die Verwaltung der sozialistischen Siedlung Communia in Iowa, deren Scheitern ihn drei Jahre später ruinierte. Er hielt seine Familie mit einem Job bei der Einwanderungsbehörde über Wasser, machte kostspielige nähtechnische Erfindungen und verfasste naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Wer war der 1871 in New York verstorbene Handwerkerkommunist, den Rosa Luxemburg «genial» nannte?

Wir fragten nach dem deutschen Arbeiterführer, Sozialismustheoretiker und Publizisten Wilhelm Weitling (1808–1871). In Paris war er zunächst in der Geheimgesellschaft Bund der Geächteten engagiert, aus der heraus er den Bund der Gerechten gründete; dessen Programmschrift inspirierte zehn Jahre später das «Kommunistische Manifest» von Karl Marx und Friedrich Engels. Weitlings Hauptwerk, «Garantien der Harmonie und Freiheit», wurde 1842 in Genf veröffentlicht; ein Jahr später schrieb er das «Evangelium der armen Sünder», jene «gotteslästerliche» Schrift, derentwegen er im Zürcher Kommunistenprozess 1843 verurteilt und ausgewiesen wurde.