Kunst: Hallo Welt, hier kommt das Psychobuch

Nr. 23 –

Beni Bischof schickt mehr als 2000 Bilder in die Umlaufbahn. Das überbordende Sehspektakel wirkt ungemein beruhigend. Ein Besuch beim Künstler.

  • Alle Bilder aus dem besprochenen «Psychobuch»
  • Alle Bilder aus dem besprochenen «Psychobuch»

Dachten Sie in letzter Zeit auch, dass die Welt spinnt? Und dass es mit all den Bildern zu tun haben könnte, die übers Internet auf uns als BetrachterInnen einprasseln? Unvermittelt, ungefiltert, ungewichtet? Der Mann Ende dreissig, der locker in roten Shorts und einem T-Shirt in seinem Künstleratelier steht, sieht das ähnlich. Er sagt: «Ich bin überzeugt, dass die Überschüttung mit News die Menschen sozial verändert.»

Dabei ist Beni Bischof der Letzte, der sich vor Bildern fürchten würde: Sein Atelier in einem St. Galler Aussenquartier ist vollgestellt mit Farbkübeln, Spraydosen, Holzlatten, Gipssäcken, Computer und Laptop. Und mit seinen neusten Gemälden: Ein Esel grinst hinter einem «Fuck you»-Schild hervor, und ein Tanzclub lädt Schwarz auf Gelb zum «Disco-Massaker». Auch wenn Bischof unterwegs ist, bleibt nichts vor ihm sicher. Er trägt immer einen Filzstift im Hosensack. Die Toilette seines Stammcafés ist vollgekritzelt mit Sprüchen, darunter einer der lustigsten, den man sich an diesem stillen, klaustrophobischen Ort vorstellen kann: Die Türangel ist beschriftet mit «NSA-Mikrofon».

Nun hat Bischof eine Auswahl seiner Bilder – Skizzen, Gemälde, Collagen, Montagen, Skulpturen – in einem Buch versammelt. Es sieht aus wie ein Telefonbuch und trägt den Titel «Psychobuch». Auf 640 Seiten finden sich darin, so schätzt es Bischof selbst, 2100 Bilder. Und dabei habe er am Schluss «etwas kürzen» müssen. Wenige Wochen vor Drucklegung war das Buch noch doppelt so dick. Es sollte ein Kunstbuch werden, wie es noch keines gibt: überbordend, ohne gescheite Kommentare. Nur mit dem Titel, der an eine Heavy-Metal-Band erinnert.

Blöde gute Witze

Muskelmänner, Wurstmenschen, Pilzskulpturen finden sich darin. Muammar al-Gaddafi hält ein Bild von Bischof unterm Arm und der Dalai Lama auch. Katzen mit vielen Augen und Ohren blicken einem entgegen. Fast noch furchteinflössender wirken auf den zweiten Blick die Autos ohne Räder und die Burgen ohne Fenster. Und es gibt sehr viele blöde, sehr gute Witze. Zum Beispiel die Zeichnung vom Kreis, über dem steht: «Extrem ungenaues Quadrat.»

Alle Bilder aus dem besprochenen «Psychobuch»

Sie denken jetzt vielleicht: Bitte nicht noch mehr Bilder! Doch das ist eben das Verrückte an diesem Psychobuch: Es beruhigt ungemein, lässt staunen, erschaudern und vor allem lachen. Dieses Buch bündelt den medialen Wahnsinn und stiftet an, sich Bilder anzueignen und zurückzuschlagen. Wobei das Bischof keinesfalls pädagogisch verstanden haben will. «Es muss einfach Punk sein», erklärt er seine Herangehensweise. «Ich drücke in den Bildern meine Wut aus über Ungerechtigkeiten oder meine Freude, dass etwas gelingt.»

Der 1976 geborene Bischof gehört zu den bekanntesten jüngeren KünstlerInnen in der Schweiz. Derzeit kann er jeden Monat an einer Einzel- oder Gruppenausstellung teilnehmen. Zürich, Leipzig, Los Angeles, São Paolo sind die nächsten Stationen. Wobei sich Bischof selbst nicht viel darauf einbildet. Er lebt mit Frau und Kind im St. Galler Rheintal, wo er heute die Ruhe geniesst. Im Rheintal, am östlichen Rand der Schweiz, ist Bischof auch aufgewachsen; politisch ist die Stimmung dort reaktionär, meteorologisch föhnverweht. «In einer solchen Gegend lernt man zu rebellieren.» Er besuchte die Kantonsschule, war daneben leidenschaftlicher Skater, ging nach St. Gallen in die Grafikfachklasse; eine Kunstschule hat er nie besucht. Seine ersten Arbeiten brachte er im eigenen «Lasermagazin», das noch heute erscheint, unter die Leute.

Verwenden und verändern

In der Kompromisslosigkeit, der Formenvielfalt und im Humor orientiert sich Beni Bischof an Künstlern wie Martin Kippenberger oder Dieter Roth. Sein Fundus sind der Alltag und die Popkultur. Als Inspiration nennt er auch Nasa-Aufnahmen oder Verpackungsgrafiken. «Ich arbeite wie ein Musiker, der aus dem Bauch heraus experimentiert, und nicht wie ein Künstler, der einem Konzept folgt.» Das «Psychobuch» verzichtet weitgehend auf eine Ordnung. Es gibt nur acht Gruppen, denen Bischof seine Bilder zugeordnet hat: «ruhig», «laut», «lustig», «ernst», «ruhig lustig», «laut lustig», «laut ernst» und «ruhig ernst». Zwei Jahre lang hat er am Buch gearbeitet, gemeinsam mit den GestalterInnen des Büros Maison Standard in Bern.

Alle Bilder aus dem besprochenen «Psychobuch»

Die grösste Entdeckung für Beni-Bischof-Fans sind im «Psychobuch» aber nicht die Bilder, sondern alphabetische Listen mit Wörtern, die schon für sich wie ein Kunstwerk wirken. Es sind mögliche Bild- und Ausstellungstitel, die er gesammelt hat. «Wörter sind ein wichtiger Impuls für mich, sie eröffnen eine Welt. Manche gefallen mir so gut, dass ich sie sofort in mein Werk einbauen muss, zum Beispiel ‹Ritalin›», sagt Bischof. Aneinandergereiht klingen die Wörter wie ein Gedicht: «Hallo Welt, Henry Rollins wartet ab, Here it comes, Himmel, Hirschberg, Holidays, Homeboy, Hypnose».

Seine Bilder fotografiert Bischof auf der Strasse, er lädt sie aus dem Internet, zeichnet sie selbst. Er verwendet sie, indem er sie verändert. Da stellt sich die Frage nach dem Copyright. Bischof findet, was man sich durch eine Veränderung aneigne, dürfe man auch gebrauchen. Manchmal weiss er selbst nicht mehr, woher seine Vorlagen stammen. Wie beim Bild vom dicken, schlafenden Mann auf dem Cover des «Psychobuchs». Erst kürzlich hat sich geklärt, dass es aus einer Werbung gegen Schlafapnoe stammt. Das Syndrom wird durch Atemstillstand verursacht.

Bischofs Arbeiten entstehen oft durch Zufälle, wie die Fingergesichter. Da sass er im Flugzeug und blätterte durch ein Klatschheftli, für einmal ohne Filzstift. So bohrte er halt mit dem Finger eine lange Nase durchs Gesicht des Models. Manchmal höre er Bemerkungen, das sei frauenfeindlich. Doch er hält das für eine «irdische Kritik», schliesslich werte er das Modelbild auf, mache daraus ein Maskenspiel: «Wer meine Bilder nicht mit Humor lesen kann, der kann es sowieso gleich vergessen.»

Seine Produktivität erklärt Beni Bischof mit der Reduktion: «Ich will mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel ausdrücken.» Nur einmal wird er im Gespräch nachdenklich, bei der Frage nämlich, ob so ein Buch mit gesammelten Werken nicht einen Abschluss bedeute. «Ich sehe es eher als Kiste, in die ich vieles versorgt habe. Es kann auch ein ‹Psychobuch 2› oder ein ‹Psychobuch 3› folgen.» In der Ostschweiz will er bleiben, auf Distanz zur Kunstszene. «Das ist gut wegen der Reibung.»

Auf der Rückfahrt vom Atelier springt im Stadtbus plötzlich ein Muskelmann auf den Werbebildschirm, darauf folgt die Schlagzeile «Beni Bischof Buchvernissage». Die Bilder führen schon wieder ihr subversives Eigenleben.

Beni Bischof: Psychobuch. Edition Patrick Frey. Zürich 2014. 640 Seiten. 88 Franken