Kommentar von Jens Renner: Selbstbewusster Meister der Selbstdarstellung

Nr. 27 –

Matteo Renzi inszeniert sich als dynamischer Macher, der nicht nur Italien, sondern auch die EU auf neuen Kurs bringt. Doch wirtschaftspolitisch lässt sich vorerst nur ein anderer Ton ausmachen.

Italiens Premier Matteo Renzi weiss, wie man Angela Merkel Zugeständnisse abtrotzen kann: Man muss nur selbstbewusst auftreten. «Wir haben zu verstehen gegeben, dass wir ein starkes Land sind, das nicht mit dem Hut in der Hand herumläuft, sondern sich Respekt verschafft», sagte er letzte Woche nach dem EU-Gipfel von Ypern. Seine AnhängerInnen und die regierungsfreundliche Presse feiern denn auch Renzis Sieg, der auch ein Sieg für Europa sei. Er bedeute einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU: Weg von der einseitigen Orientierung an Stabilität hin zu mehr finanzpolitischer Flexibilität, um Wachstum und Beschäftigung voranzubringen. Wenige Tage vor Beginn des «italienischen Semesters», der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft, sei dieser Kurswechsel ein Zeichen für die wichtige Rolle Italiens und seines jungen Premiers, dessen Demokratische Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai mit knapp 41 Prozent der Stimmen einen unerwarteten Triumph feiern konnte.

Allerdings lässt sich aus der in Ypern beschlossenen «Strategischen Agenda für die Gemeinschaft in Zeiten des Wandels» bestenfalls ein neuer Ton herauslesen. Wachstum, Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit stehen als Ziele gleichberechtigt neben Stabilität. Statt konkreter Festlegungen enthält das Papier indessen vor allem vage Absichtserklärungen. Ein Kurswechsel ist das nicht, wie Merkel feststellte: «Der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt gilt. Und er enthält ausreichend Flexibilität, um die Fragen von Stabilität und Wachstum gleichermassen adressieren zu können.» Zugleich hob sie die Selbstverpflichtung aller nationalen Volkswirtschaften hervor, «strukturelle Reformen» umzusetzen.

Davon spricht auch Renzi täglich. Die Mahnungen aus Berlin und Brüssel nutzt er als zusätzliche Argumente, um diese Reformen zu Hause durchzusetzen. So folgte in seiner Erklärung nach dem EU-Gipfel unmittelbar auf den selbstbewussten Satz mit dem «Hut in der Hand» die Einschränkung: «Nun ist der Ball in unserer Hälfte. Wir in Italien sind gefordert, die Reformen durchzuziehen, wenn wir von Europa Flexibilität wollen.» Genau genommen hat die EU den von Italien immer wieder geforderten flexiblen Umgang mit den strikten Sparvorschriften nur in Aussicht gestellt. Einzige Ausnahme: Bestimmte, als strategisch wichtig gewertete Investitionen werden nicht auf die nationalen Schuldenstände angerechnet. So steht es allerdings schon im Stabilitäts- und Wachstumspakt (Fiscal Compact) von 2012.

Gescheitert ist Renzi mit seinem Versuch, die von der EU geforderte Verabschiedung eines ausgeglichenen Haushalts um ein Jahr zu verschieben. Stattdessen soll Italien schon 2015 ohne Neuverschuldung auskommen, so die «Empfehlung» der EU-Kommission. Das erfordert bereits in diesem Herbst Sparmassnahmen von mindestens zwölf Milliarden Euro. Wahrscheinlich werden zu diesem Zweck wieder einmal die Etats für Soziales, Bildung und Kultur gekürzt. Dem steht bislang eine einzige Massnahme gegenüber, die vielen zugutekommt: Die Steuern auf Jahreseinkommen bis 25 000 Euro werden um 80 Euro monatlich gesenkt. Bislang nicht erfüllt hat sich die Hoffnung, damit den privaten Konsum zu stimulieren und die Wirtschaft anzukurbeln.

Auch das «Jobs Act» genannte Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen wird erst einmal vertagt. Von der Ankündigung, «jeden Monat eine Reform» durchzupeitschen, ist Renzi stillschweigend abgerückt. Nun hat er ein Programm für «tausend Tage» präsentiert, dessen Umsetzung im September beginnen soll. Fünf Bereiche stehen im Zentrum. Reformiert werden sollen die staatlichen Institutionen, der Arbeitsmarkt, die Bildung, das Gesundheitswesen und die Justiz. Offen ist, woher das dafür benötigte Geld kommen soll.

Das drängendste innenpolitische Problem ist die stetig wachsende Arbeitslosigkeit. Sie liegt bei 14, die Jugendarbeitslosigkeit bei 46 Prozent. Bislang setzt die Regierung auf die Ausweitung prekärer Beschäftigung durch immer mehr befristete Arbeitsverträge. Das schönt die Statistik, ändert aber nichts an der Verarmung grosser Bevölkerungsteile, vor allem im Süden des Lands.

Vergleichsweise erfolgreich ist Renzi bei der Reform der Institutionen. Mit Silvio Berlusconi hat er sich auf die Einführung eines neuen Wahlrechts geeinigt, das kleinere Parteien krass benachteiligt. In seiner bisherigen Form abgeschafft werden soll der Senat, die zweite Kammer des Parlaments. Das schwächt die parlamentarische Kontrolle der Exekutive, nützt aber der Regierbarkeit – ganz im Sinn der von Renzi beschworenen neuen Grundwerte Effizienz und Tempo. Damit soll Italien zum Modell auch für andere Länder und zum Motor für ein besseres Europa werden.

Sichtbar sind davon bislang nicht einmal Ansätze. Auch im nun begonnenen italienischen Semester geht es in der EU weiter wie bisher, nicht zuletzt an deren Aussengrenzen: Das Frontex-Regime zur Flüchtlingsabwehr soll, wie von Renzi in Ypern gefordert, noch verstärkt werden. Dagegen hatte auch die deutsche Kanzlerin nichts einzuwenden.