Wohnungsnot: Hausbesetzungen schmälern den Profit

Nr. 32 –

Drei Jungunternehmer vermitteln in Zürich Zwischennutzungen leer stehender Räumlichkeiten. Sie sehen eine Erfolgsgeschichte im Dienst der Allgemeinheit. Wieso wollen sie dann nicht übers Geld sprechen?

Lukas Amacher (links) und Lorenzo Kettmeir, die Jungunternehmer mit der cleveren Idee: Geld gibts sowohl vom Hausbesitzer als auch von der Bewohnerin. Foto: Dieter Seeger

Wenn Lukas Amacher über sein Projekt Interim spricht, klingt das idealistisch: «Wir wollen alle leer stehenden Liegenschaften in der Stadt Zürich zur Zwischennutzung vermitteln.» Dafür versuche man, LiegenschaftsbesitzerInnen zum «Umdenken» zu bewegen, damit diese dem Projekt in Zeiten der herrschenden Wohnungsnot ihre Häuser zur Gebrauchsleihe überlassen.

Die profitorientierte GmbH Projekt Interim ist jedoch längst mehr als bloss ein Verein, der jungen KünstlerInnen Ateliers zum Spottpreis ermöglicht, wie sie sich gerne in den Medien darstellt. Lorenzo Kettmeir (28, «verfügt als Architekt über das technische Know-how») und Lukas Amacher (26, «gut vernetzt in der Kreativszene») verwalten aktuell acht Objekte in Zürich, Küsnacht, Urdorf und Basel. Damit bieten sie fast achtzig Wohnungen, zwei Dutzend Büro- und sieben Industrie- und Gewerberäume an. Diese vergeben sie je nach Liegenschaft für rund 200 Franken pro WG-Zimmer oder um die 150 Franken pro Büro- oder Bandraum.

Das Geschäftsmodell: Nicht nur streichen die Jungunternehmer die Zahlungen der kreativen NutzerInnen ein, sie verlangen auch von den LiegenschaftsbesitzerInnen Dienstleistungsgebühren. Um ImmobilieneigentümerInnen anzuwerben, brauchen Kettmeir und Amacher den 42-jährigen Rechtsanwalt Raffael Büchi. Er ist der Initiant des Projekts, das vor drei Jahren an der Badenerstrasse 595 entstand. Das Gebäude in Zürich Altstetten wurde einst von der UBS genutzt. Als diese keine Verwendung mehr dafür fand, stand es leer, und eine Gruppe von BesetzerInnen beanspruchte es für sich. Büchi wurde als Rechtsanwalt beauftragt, die unliebsamen BewohnerInnen loszuwerden.

Werbung mit dem Stadtpolizisten

Weil in Zürich nicht einfach bedingungslos geräumt wird, musste Büchi zunächst andere ZwischennutzerInnen präsentieren: Er fand rund hundert Architekten, Filmemacherinnen und andere Kulturschaffende, die in das Haus einzogen. Darunter waren auch Lorenzo Kettmeir und Lukas Amacher. Sie merkten, wie leicht man an grosse leer stehende Liegenschaften kommt. Seither wird Büchi nicht müde, den grossen Immobilienfirmen der Stadt zu erzählen, wie sie sich vor BesetzerInnen schützen und das Mietrecht umgehen können.

Dazu organisierten Büchi und Co. beispielsweise im Sommer 2013 eine Informationsveranstaltung für eine Gruppe von ausgewählten LiegenschaftsbesitzerInnen, an der auch Andreas Widmer auftrat. Er ist bei der Stadtpolizei in der Fachgruppe Extremismus zuständig für Personen- und Objektschutz und gilt als der beste Kenner der HausbesetzerInnenszene. Widmer präsentierte eine Reihe von Negativbeispielen von Hausbesetzungen. Die Begrüssung übernahm Michael Müller, CEO der Ledermann Immobilien AG, der schon seit Beginn mit Büchi zusammenarbeitet. Ihm sei vor allem wichtig, dass sich ZwischennutzerInnen an die vertraglichen Vereinbarungen hielten. Projekt Interim vertraue er diesbezüglich. Was er für die Dienstleistung der GmbH zahlt, wollen weder er noch die Vertreter von Projekt Interim sagen. Den HausbesitzerInnen rechnet Büchi stattdessen vor, was es koste, eine Liegenschaft von der Securitas rund um die Uhr bewachen zu lassen: jährlich rund 450 000 Franken.

Im Gespräch mit der WOZ sagt Raffael Büchi, Projekt Interim sehe sich nicht in Konkurrenz mit den BesetzerInnen. Eine Liegenschaft, wie man sie beispielsweise in Urdorf verwalte, sei für diese gar nicht interessant. «Zudem haben wir sogar kürzlich ein Projekt abgelehnt, weil wir dazu eingesetzt worden wären, Hausbesetzer zu vertreiben», ergänzt Lukas Amacher.

Klar bleibt dennoch: Potenzielle Hausbesetzungen sind das beste Verkaufsargument der Jungunternehmer. LiegenschaftsbesitzerInnen sind daran interessiert, dass es zu keinen Verzögerungen kommt, wenn sie einen Neubau planen und eine Liegenschaft abreissen möchten. Um das sicherzustellen, gibt Projekt Interim den sogenannten «Entlehnern» klare Regeln vor. Sie dürfen das Leihobjekt beispielsweise nicht Dritten überlassen. Halten sich die «Entlehner» nicht an diese Regeln oder verstossen sie gegen einen Punkt der Hausordnung – die unter anderem das Verbot von Partys mit mehr als zehn TeilnehmerInnen enthält –, kann ihnen Projekt Interim «jederzeit künden». Mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen. Ein solcher Fall sei aber in den letzten drei Jahren erst einmal eingetreten, sagt Amacher.

Zweifel an Seriosität

Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich findet diese Verträge «in höchstem Masse unklar und wenig vertrauenserweckend». Für Angst handelt es sich um «normale Mietverhältnisse». 800 Franken für eine Dreizimmerwohnung etwa, das sei weit über dem Betrag, bei dem man bei einer Wohnung von einer Gebrauchsleihe reden könne. Er ist davon überzeugt, dass die «Entlehner» de facto MieterInnen und im Fall eines Rechtsstreits in einer starken Position seien. Angst warnt deshalb: «Ich empfehle Vermietern, diese GmbH zu meiden.» Für VermieterInnen, die nicht selbst Zwischennutzungsverträge abschliessen wollten, gebe es auf jeden Fall seriösere PartnerInnen.

Projekt Interim lässt sich von solchen Aussagen nicht beirren. Selbstbewusst sagt Lukas Amacher: «Unser Ziel ist es, im Bereich der Zwischennutzung in der Schweiz die Nummer eins zu werden.» So, wie sie gegenüber der WOZ und den ImmobilienbesitzerInnen auftreten, wird schnell klar: Das sind keine Idealisten, sondern clevere Businessmänner.

Korrigendum

Die Information, dass das Projekt Interim GmbH in einem Gebrauchsleihvertrag 800 Franken pro Monat für eine Drei-Zimmer-Wohnung verlangte, hat sich als falsch erwiesen. Der betreffende Vertrag war ein befristeter Mietvertrag. Die Empfehlung des Mieterverbands, das Projekt Interim zu meiden, fusst auf falschen Informationen.