Untersuchungshaft: Illegale Telefonmitschnitte in Luzerner Gefängnis

Nr. 33 –

Das Band läuft immer mit, selbst wenn im Krienser Gefängnis Grosshof Untersuchungshäftlinge mit ihren AnwältInnen telefonieren. Die illegale Praxis löst unter StrafverteidigerInnen eine Grundrechtsdiskussion aus, die über Luzern hinausweist.

Die Praxis flog in einem Gespräch zwischen Vertretern der amtlichen Verteidiger Luzerns und der Direktion des Krienser Gefängnisses Grosshof auf, als Strafverteidiger Heinz Ottiger gegen eine restriktivere telefonische Kontaktregelung zwischen AnwältInnen und Häftlingen protestierte. Zwar verweist die Hausordnung des Gefängnisses auf den automatischen Mitschnitt der Telefonate. Dass darunter auch solche mit AnwältInnen fallen, wird nicht explizit erwähnt.

Wie auch? Es ist illegal. Das müssten die Luzerner Justizprofis eigentlich wissen. Wer in Untersuchungshaft sitzt, muss laut der Schweizerischen Strafprozessordnung ohne inhaltliche Kontrolle mit seinem Anwalt verkehren und seine Verteidigungsrechte wahrnehmen können.

Stefan Weiss, Leiter des Luzerner Justizvollzugs, räumt die automatischen Mitschnitte ein. Er verspricht, dass die Behörde in Zukunft gewährleisten werde, dass die Anwaltsgespräche nicht mehr aufgezeichnet werden – «damit die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt». Geprüft werde die Einrichtung einer separaten Telefonlinie. Mit Blick auf die aktuelle Praxis sagt er: «Diese Aufzeichnungen wurden nie weiterverwendet oder abgehört. Sie werden zudem nach einem Jahr automatisch gelöscht.»

Weiss spricht zudem allgemein von einem «Ressourcenproblem». Was er mit diesem Wort verschleiert, spricht Heinz Ottiger klar aus: Seit Einführung der neuen Strafprozessordnung beantragten die Luzerner StaatsanwältInnen bei U-Haft standardmässig eine dreimonatige Dauer und kämen damit beim Zwangsmassnahmengericht in der Regel problemlos durch. Bereits kursiere das geflügelte Wort vom Luzerner «Haftomat». Jedenfalls erhöhe diese Entwicklung den Kostendruck, führe zu überfüllten Gefängnissen; im Untersuchungsgefängnis Grosshof sei die durchschnittliche Haftdauer seither um dreissig Tage gestiegen.

Die Demokratischen JuristInnen der Schweiz wollen den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen. Sie verlangen eine Aufarbeitung. Sollten die Behörden in «fundamentale, rechtsstaatlich gewährleistete Rechte und das Anwaltsgeheimnis» eingegriffen haben, seien disziplinar- und strafrechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten, so Geschäftsführerin Melanie Aebli.

Nur eine Panne?

Strafverteidiger Heinz Ottiger hält zwar die Mitschnitte für bedenklich, beurteilt sie aber letztlich als «administrativ-technische» Panne. Für ihn wiegt schwerer, dass nun auch in Luzern der (telefonische) Verkehr zwischen U-Häftlingen und ihren VerteidigerInnen erschwert wird. Das erhöhe den Aufwand sowie die Kosten und verstärke die Isolation der Häftlinge. Bislang durften diese einmal wöchentlich mit ihren AnwältInnen telefonieren. Neuerdings dürfen sie das nur noch in «begründeten Fällen», alles andere muss schriftlich oder durch Besuche der AnwältInnen erledigt werden. Mit der alten Regelung hatte Luzern eine der liberalsten in der Schweiz. Die Praxis in den Kantonen ist zwar uneinheitlich, aber meist restriktiver als im Innerschweizer Kanton.

Beispiel Kanton Zürich: Untersuchungshäftlinge dürfen hier überhaupt nicht telefonieren. Der Kontakt mit AnwältInnen ist ausschliesslich per Briefverkehr oder Besuch möglich. Da der Kontakt mit den RechtsvertreterInnen nicht überwacht werden dürfe, könne nicht sichergestellt werden, dass der Untersuchungshäftling nur mit seinem Verteidiger telefoniere und nicht mit Drittpersonen. «Damit würde Kollusionsgefahr bestehen (Gefahr, dass Dritte beeinflusst oder Beweismittel vernichtet werden)», heisst es in einer Mitteilung des Amts für Justizvollzug. Als ob es nicht möglich wäre, auch im Telefonfall die Verdunklungsgefahr auf ein verantwortbares Minimum zu reduzieren, indem beispielsweise ein Gefängnisangestellter die Nummer des Anwalts wählt!

Wie stark die plötzliche Isolation Verhaftete psychisch belastet, belegen die regelmässigen Suizide in Schweizer Untersuchungsgefängnissen. Eben meldeten die Medien zwei Selbsttötungen: eine aus dem Kanton Thurgau (der Rega-Mitarbeiter, der den Medien die Schumacher-Krankenakte angeboten haben soll), eine andere aus Stans. Die behördlichen Floskeln lauten dann: Das Gefängnispersonal habe keine Hinweise auf Suizidabsichten gehabt. Ob die offensichtlich inhumanen Haftbedingungen von Menschen, die bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten haben, eine Ursache seien und ob AnwältInnen, die einzigen Vertrauenspersonen in dieser Phase, bei weniger restriktiven Kontaktbedingungen womöglich ein menschliches Drama verhindern könnten, das sind Fragen, die sich die Justizbehörden offenbar nicht stellen.

AnwältInnen unter Generalverdacht

Ein erfahrener Zürcher Strafverteidiger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: «Das grundsätzliche Telefonverbot mit Kollusionsgefahr zu begründen, ist fadenscheinig. Tatsächlich geht es um den damit verbundenen Personalaufwand.» Er sagt: «Es wäre lohnenswert, das Telefonverbot notfalls bis nach Strassburg anzufechten und dessen Verhältnismässigkeit auf den Prüfstand zu stellen.»

Auch der Zürcher Strafverteidiger Marcel Bosonnet bedauert, dass Telefonate nicht oder kaum möglich sind. «Es würde unsere Arbeit enorm erleichtern und die Rechte der Häftlinge stärken.» Zudem wüssten erfahrene Staatsanwälte und Polizistinnen, dass bei diesen Telefonaten nur in Ausnahmefällen Verdunkelungsgefahr bestehe. Ein Generalverdacht gegenüber AnwältInnen sei «dummes Zeug».

Nachtrag vom 21. August 2014 : Luzerner Justizbehörden wehren sich

Das Amt für Justizvollzug kündigte nach Erscheinen des obenstehenden Textes an, den Missstand zu beheben. Der Strafverteidiger Heinz Ottiger kritisierte im WOZ-Artikel ausserdem die durchschnittlich gestiegene Haftdauer: Die Luzerner StaatsanwältInnen würden bei U-Haft standardmässig eine dreimonatige Dauer beantragen und beim Zwangsmassnahmengericht meist problemlos durchkommen.

Mit diesem Vorwurf konfrontierte die WOZ die Justizbehörden. Ihre Stellungnahme ging letzte Woche nach Redaktionsschluss ein. Sie schreiben, die Haftdauer werde «der Situation angemessen und je nach Fall unterschiedlich beantragt. Mitunter auch unter drei Monaten». Von «standardmässigen» Anträgen (im Sinn von «unbesehen») könne keine Rede sein. Ausserdem würden Beschuldigte in nicht besonders schweren Fällen rasch entlassen, sobald die Haftgründe wegfielen oder die Untersuchung mit einem Strafbefehl abgeschlossen werde. Auch das Zwangsmassnahmengericht wehrt sich: «Eine andere Einschätzung (als die der Staatsanwaltschaft, Anm. d. Red.) der Sachlage durch das Zwangsmassnahmengericht kommt durchaus auch vor.» Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Haftdauer werde oft bestätigt, da sie «auch sorgfältig mit dem Instrument der U-Haft umgeht».