Kommentar: Die harmlosen Mafiosi von Frauenfeld

Nr. 35 –

Was man in der Schweiz schon lange hätte wissen können, aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte, ist jetzt Gewissheit: In Frauenfeld hat sich seit Jahrzehnten eine ‘Ndrina, eine Zelle der kalabresischen Mafia, eingenistet. Das belegt ein Video, das die italienischen Carabinieri veröffentlicht haben. Dem Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber ist dies nicht recht – wohl nicht bloss aus ermittlungstaktischen Gründen. Er hält an seiner Verharmlosungsstrategie fest. Diese Woche sagte er laut «Tages-Anzeiger», die Schweiz sei «kein mafiöses Land». Die Mafiosi würden sich hüten, «in der Schweiz kriminell zu werden». Und ein Grund für die hiesigen Mafiaumtriebe könne auch die Nähe zu Süddeutschland sein. Sind die Mafiosi in Frauenfeld also harmlos, weil es um Geschäfte in Deutschland geht?

Auch in der Bundesrepublik tat man jahrzehntelang so, als existierte dort keine Mafia. Auch dort halten sich Cosa Nostra, ‘Ndrangheta und Camorra bedeckt, sind kaum in der Art aktiv, wie wir uns naiverweise Mafiakriminalität vorstellen: in Autobahnpfeiler einbetonierte Verräter oder in die Luft gesprengte Staatsanwälte. Werner Raith, inzwischen verstorbener Italienkenner und Autor, veröffentlichte ab den achtziger Jahren eine Reihe von Büchern über das, was man hätte wissen können. Doch in Deutschland dauerte es weitere Jahrzehnte, bis sich deutsche Ermittler mit den italienischen KollegInnen kurzschlossen – und 2007 ein Hinrichtungsmassaker in Duisburg der Öffentlichkeit die Präsenz der Mafia drastisch vor Augen führte.

In der Schweiz gibt es seit einigen Jahren Ansätze dieser Zusammenarbeit (siehe WOZ Nr. 3/13 ). Wie die Bundesanwaltschaft die Realität dennoch schönreden kann, bleibt rätselhaft. Die Schweiz ist nicht zufällig seit Jahrzehnten ein Mafiaruheraum. Das liegt auch an der Finanzindustrie. Sie erleichtert es den Mafiosi, ihre illegalen Gewinne zu reinvestieren. Eine Bedrohung, die weit schwerer wiegt als jene brachiale Kriminalität – weil sie legale Strukturen infiltriert, was letztlich alle betrifft. Nicht bloss die Bundesanwaltschaft muss über die Bücher, sondern vor allem die Politik. Mafia in der Schweiz? Die gibts nicht wirklich – ausser in Frauenfeld.