Sprachenstreit : Fuck that damn early French!

Nr. 35 –

Wie heisst der Thurgau auf Französisch? Thurgovie. Und wie heisst der Thurgau auf Englisch? Die Thurgauer Schulkinder wissen es bestimmt. Denn genau hierfür hat der Grosse Rat des Kantons Thurgau am 13. August mit deutlicher Mehrheit beschlossen, Primarschülerinnen und Primarschüler künftig vom Frühfranzösisch zu befreien. Damit sie unbelastet Frühenglisch büffeln können.

Das sei ein Detail, hören wir von denen, die uns ermahnen, wegen ein bisschen weniger Französischunterricht im Thurgau cool zu bleiben. «Easy!», versuchen sie uns zu beruhigen. «Franz ist kompliziert. Die Schulkinder haben sonst schon viel zu viel um die kleinen Ohren. Nehmen wir doch den Kleinsten diese Last weg, um sie mit anderen Dingen belasten zu können.»

Selbstverständlich bricht das politische Gefüge, das unter den Eigennamen Schweiz, Suisse, Svizzera, Svizra bekannt ist, nicht gleich auseinander, nur weil im Osten ein paar Kinder erst ab der Sekundarschulstufe an die Feinheiten der Sprache Voltaires herangeführt werden. Wenn wir uns allerdings vor Augen halten, dass Kantone wie Nidwalden, St. Gallen und Luzern dem Thurgau bald folgen wollen, ist es vielleicht doch etwas mehr als ein Detail (Detail ist übrigens ein französisches Lehnwort, aber auch das ist letztlich ein Detail).

The trend goes to English. Besonders aus dem wirtschaftsnahen Milieu ist zu vernehmen, Englisch sei nun mal viel wichtiger als das ohnehin komplizierte Französisch. Und wenn alle Englisch können, braucht es irgendwann überhaupt kein Französisch mehr. Dann werden wir den Handshake über den Röstigraben einsprachig vollziehen. Was das wirtschaftsnahe Milieu nicht bedenkt oder nicht checkt, ist der Umstand, dass gerade die Arbeitswelt qualifizierte Leute braucht. Und eine Sprache wie Englisch, die von fast allen fast überall gesprochen wird, ist als besondere Qualifikation einen warmen Bullshit wert. In der Deutschschweiz zum Beispiel ist Französisch schon eher eine Qualifikation. Warum das? Weil es bald niemand mehr richtig kann. Da sind manche Firmen oder Bundesämter froh um diejenigen, die noch zu ahnen glauben, was ein Subjonctif ist.

Einst machten die Welschen ihre Sprachaufenthalte in der Deutschschweiz und die DeutschweizerInnen in der Romandie. Jetzt fliegen die jungen Leute vermehrt nach Übersee, wenn sie eine Sprache lernen wollen. Das ist verständlich. Sydney verspricht nun mal mehr als Morges, und Los Angeles tönt viel spannender als Yverdon. Aber was wollen unsere Kids in Übersee noch lernen, wenn sie schon die ganze Primarschulzeit französischbefreit Englisch pauken durften? Irgendwann muss doch dieses Englisch irgendwo in den Köpfen festhaken. Wer zwölf Jahre Schulenglisch lernt, danach einen längeren Sprachaufenthalt in einer angelsächsischen Sprachregion anhängt und nachher an einer Hochschule jahrelang englische Fachliteratur verwendet, sollte doch hoffentlich ein bisschen klarkommen mit dieser Weltsprache, ganz unabhängig davon, ob er oder sie in der Unterstufe auch noch «Bonjour madame» und «Bonjour monsieur» lernen musste.

Das Frühfranzösisch abzuschaffen, sei kein Verbrechen, rechtfertigen sich diejenigen, die es als Erste abgeschafft haben. Das ist wahr, es ist kein Verbrechen. Aber es ist eine Dummheit. Französisch sei schwierig, erklären jetzt nicht bloss die Mitglieder des Grossen Rats im Thurgau. Unsere französischsprachigen Landsleute sind manchmal auch schwierig. Vor allem dann, wenn sie den Eindruck haben, der Rest der Schweiz foutiere sich um ihre Sprache.

Möglicherweise geht es in der Debatte um das Frühfranzösisch an Deutschschweizer Schulen gar nicht um die Kinder, sondern vielmehr um eine Bestrafung der Romandie. Schliesslich waren die Welschen am Morgarten nicht dabei. Später waren sie sogar für einen Beitritt zur EU. Manche von ihnen sollen bis heute ans Völkerrecht glauben. Der Gründer des Roten Kreuzes war ein Welscher. Und Jean Ziegler hat das Französische zu seiner Sprache gemacht. Solchen Leuten noch sprachpolitisch entgegenzukommen, ist wohl für manche MiteidgenossInnen zu viel verlangt.

Honni soit qui mal y pense. Et puis voilà.