Arbeitsmarktpolitik: Wenn die Wirtschaft plötzlich progressiv tut

Nr. 36 –

Betreuungsgutscheine und Zivis in die Kinderkrippen, damit die Frauen mehr arbeiten? Und aus welcher Motivation heraus? Stimmen zu Bundesrat Schneider-Ammanns Vorschlägen.

Es ist eine alte Forderung: Die Schweiz braucht bessere Angebote der Kinderbetreuung, um – namentlich für Mütter – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Nun scheint sie auf Gehör zu stossen. Noch diesen Monat, berichtet die «NZZ am Sonntag», wolle Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann dem Gesamtbundesrat einen Massnahmenplan präsentieren: Ziel soll sein, mehr Frauen in die Erwerbsarbeit einzubinden, um so dem befürchteten Mangel an Fachkräften zu begegnen. Das Ja zur «Initiative gegen Masseneinwanderung» scheint der Arbeitsgruppe, die die Massnahmen erarbeitete, Beine gemacht zu haben.

Vorgesehen sei unter anderem, vermehrt Zivildienstleistende in Kindertagesstätten einzusetzen sowie «eventuell» Betreuungsgutscheine abzugeben. Frauen an die Arbeit, Zivis in die Krippen – das tönt ein bisschen nach doppelter Mobilmachung. Was ist davon zu halten?

Relativiertes Lob

«Super» findet es Matthias Aebischer, der Präsident der nationalrätlichen Bildungskommission (SP), wenn Zivis in Kindertagesstätten arbeiten. «Nicht die schlechteste Idee, die Herr Schneider-Ammann je hatte», sagt Aebischers grüne Ratskollegin Aline Trede. Und auch Christine Flitner, Gleichstellungssekretärin der Gewerkschaft VPOD, findet gegen Zivildienstleistende in Kitas nichts einzuwenden.

Aber alle drei relativieren ihr Lob. Er habe lachen müssen, sagt Aebischer, den Vorschlag als Idee Schneider-Ammanns präsentiert zu bekommen: «In der Krippe meiner Kinder gibt es seit zehn Jahren Zivis.» Tatsächlich leisten Zivildienstler schon heute jährlich 80 000 Diensttage in Kindertagesstätten. Flitner sagt, der Vorschlag ändere nichts an der Tatsache, dass es zu wenige ausgebildete BetreuerInnen gebe: Dafür müssten Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert werden – was natürlich mehr kosten würde, während Schneider-Ammann mit seiner Idee die Kosten der Betreuung senken wolle. Aline Trede zweifelt daran, ob die Vorschläge etwas bringen, wenn die Motivation eine wirtschafts- und keine gesellschaftspolitische ist. Um Familien ihr Berufsleben zu erleichtern, bedürfe es anderer Ansätze, beispielsweise eines grosszügigen Elternschaftsurlaubs. Eigentlich brauche es aber ein Umdenken. «In Schweden ist es normal, dass sich selbst CEOs für ihre Kinder eine Auszeit nehmen. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass niemand unersetzbar ist – oder sich so fühlt –, was zu einem entspannteren Arbeitsklima führt.»

Auch für Matthias Aebischer, der sich auf seiner Website als «Hausmann» bezeichnet, darf sich «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» nicht in der – richtigen – Forderung nach mehr Krippenplätzen erschöpfen. Den Vätern würde es nach wie vor nicht leicht gemacht, der Elternrolle gerecht zu werden. Er stosse noch immer auf wenig Verständnis, wenn er eine Einladung zu einem «wichtigen» Termin mit der Begründung absage, er müsse an dem Tag die Kinder betreuen.

Dass man die Frauen jetzt in das Erwerbsleben holen wolle, um befürchtete Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu stopfen, bereitet auch Christine Flitner «Unbehagen». Aber das Ziel sei richtig, und man habe grosse gesellschaftspolitische Veränderungen immer nur mit den Bürgerlichen erzielen können, weshalb sie nicht von einer unheiligen Koalition sprechen wolle.

Es geht um die Beschäftigungsquote

Dem Argument, es brauche bessere Möglichkeiten, Teilzeit zu arbeiten – und zwar gerade auch für Väter –, begegnet Flitner mit Skepsis: «Das hiesse, dass man weiterhin auf einen Teil seines Berufslebens verzichten muss, wenn man Kinder haben will.» Die Gewerkschafterin findet, es sollte möglich sein, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, auch wenn sie kleine Kinder haben. Sie fordert deshalb, die Arbeitszeit von Vollzeitstellen sei auf 36 Stunden in der Woche zu reduzieren.

Und da wird die Koalition zwischen gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch motivierten KrippenbefürworterInnen prekär. Denn Letztere wollen in erster Linie die Beschäftigungsquote erhöhen. Sie haben weder an kürzeren Arbeitszeiten ein Interesse noch daran, dass sich Mütter am Herd und in der Kinderstube durch Teilzeit arbeitende Väter ersetzen lassen.

Tagesschule light

In der Stadt Zürich wird inzwischen rund die Hälfte der 27 000 Kinder fremdbetreut, Nachfrage steigend. Damit gehört die grösste Schweizer Stadt wahrscheinlich zu den Orten mit dem besten Kinderbetreuungsangebot.

Doch der Wildwuchs an Betreuungsangeboten ist nicht nur in der Schweiz enorm, sondern auch in der Stadt Zürich. Das will die Stadtregierung bis 2025 ändern, indem flächendeckend Tagesschulen eingeführt werden sollen. Vorerst lanciert der Stadtrat Tagesschulen light: verkürzte Mittagspause mit obligatorischem Essen. Getestet wird dies ab 2016 in sieben Schulen. Für einen grossen Wurf fehlt offenbar der politische Wille. Und die Bereitschaft, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Wird die obligatorische Tagesschule 2025 tatsächlich eingeführt, rechnet die Stadt mit jährlich wiederkehrenden Kosten von 270 Millionen Franken, siebzig Millionen steuern die Eltern dazu bei.