Stadtentwicklung Bern: Und noch pennt die Reitschule

Nr. 36 –

Parkplatz, Besammlungsort für Demos und «Unort»: Berns Schützenmatte soll neu genutzt werden. Droht damit die Schliessung des Kulturzentrums Reitschule durch die Hintertür?

Höchstes Hochhaus? Ein Platz für alle? Der Parkplatz der Begehrlichkeiten (links der Gleise) und die Reitschule (rechts der Gleise). Foto: Stadtplanungsamt Bern, Sabine Gresch

Meine Damen und Herren, wir treffen in Bern ein: Rechts sehen Sie die Reitschule, Berns legendären «Schandfleck» (Bürgerliche), links die Schützenmatte, den «Unort der Stadt» (Rot-Grüne).

Diese Schützenmatte dient als überdimensionierter Verkehrskreisel, sieht im vorderen Teil wie eine Baubrache aus, die provisorisch als Parkplatz und manchmal als Rummelplatz und Besammlungsort für Demonstrationen genutzt wird, und ist im hinteren Teil – dem Reitschulareal – seit mehr als einem Vierteljahrhundert umstrittener Freiraum und beliebte Kultur- und Ausgangsmeile zugleich.

Als letztes bebaubares Areal in Bahnhofsnähe weckt es Begehrlichkeiten: Die FDP forderte etwa vor zwei Jahren, hier sei das höchste Gebäude der Schweiz zu errichten.

Nun wird tatsächlich der Planungsprozess für eine Neunutzung dieses Areals aufgenommen, ein «Begleitgremium» hat sich bereits zweimal getroffen. Vom 5. bis zum 7. September ist die Bevölkerung eingeladen, sich vor Ort in einem «Planungslabor Schützenmatte» einzubringen. Am Erscheinungstag dieser WOZ findet in der Grossen Halle der Reitschule zudem ein öffentliches Forum zum Thema statt.

Apropos Reitschule: Was will das Kulturzentrum selbst?


WOZ: Herr Böhner, Sie sind langjähriger Reitschulaktivist und haben als Vertreter der Alternativen Linken Bern an den Treffen des Begleitforums teilgenommen. Was ist die Position der Reitschule zur Nutzung der Schützenmatte?
David Böhner: Es gibt keine. Bis jetzt hat es in der Reitschule zwar informelle Gespräche, aber noch keine formelle Diskussion zu diesem Thema gegeben. Zudem dreht sich die Reitschule zurzeit wieder stark um sich selbst.

Der Vorstand des Vereins Grosse Halle ist eben mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit getreten, nachdem anonyme Personen aus dem Reitschulumfeld die Grosse Halle massiv versprayt haben. Im «Bund» hiess es, in der Reitschule herrsche das «Gesetz der Omertà»: Eine gewaltbereite Minderheit bringe die basisdemokratische Mehrheit zum Kuschen.
Im sogenannten Umfeld der Reitschule bewegen sich ganz viele Gruppen und Personen mit unterschiedlichsten Anliegen und Interessen. Nicht alle fühlen sich der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) zugehörig, und nicht alle agieren im Interesse der IKuR. Zum Teil wird auch mit Gewalt und Drohungen vorgegangen. Es ist aber nicht so, dass das nicht thematisiert werden darf. Und das ist keine völlig neue Entwicklung. In der nun über 25-jährigen Geschichte des autonomen Kulturzentrums gab es immer wieder solche Auseinandersetzungen. Wir versuchen, die Konflikte im Gespräch zu lösen. Schade ist, wenn über die Medien kommuniziert wird, bevor solche Gespräche stattgefunden haben.

Sie haben an den beiden Arbeitstreffen des Begleitforums teilgenommen. Ihr Eindruck?
Ich bin positiv überrascht. Die Treffen stiessen auf grosses Interesse – es kamen jeweils an die achtzig Leute. Bloss die Gewerbe- und Wirtschaftslobby fehlte weitgehend. Tonangebend waren Leute der Kulturlobby. Dass man eine kommerzielle Nutzung der Schützenmatte nicht will, weil sie das Projekt Reitschule gefährden würde, war bei den Treffen nicht gerade Konsens, aber doch überwiegende Meinung. Mag sein, der Prozess steckt zurzeit noch in der Friede-Freude-Eierkuchen-Phase.

Es fragt sich ja, was Berns Bürgerliche wollen.
Ja. Der einzige Bürgerliche, der bisher mitdiskutiert hat, ist BDP-Stadtrat Martin Mäder. Er schlug den Bau eines Verwaltungsgebäudes auf der Schützenmatte vor, blieb aber damit allein. Die anderen bürgerlichen Parteien haben bisher keine Vorschläge gemacht.

Für die Bürgerlichen gilt wohl, spät zu lobbyieren, sei effizienter, als früh mitzuwirken. Und für die Reitschule offenbar: Die Schützenmatte brennt, die Reitschule pennt.
Wenn die Diskussion im Begleitgremium in eine andere Richtung ginge, würde die Reitschule sicher schnell reagieren … Trotzdem denke ich, dass sie in nächster Zeit eine offizielle Stellungnahme erarbeiten muss. Ich hoffe, dass dank des Schützenmattlabors die Information ankommt, dass es bei dieser Planung auch um die eigene Zukunft geht.

Schaute man bisher weg, weil eine Neunutzung bedrohlich sein könnte?
Klar könnte eine neue Nutzung auch eine Gefahr sein, weil man je nachdem nicht mehr in gleichem Mass machen könnte, was man will. Wohl auch dank des Parkplatzes konnte sich die Reitschule zu dem entwickeln, was sie heute ist: Sie störte nicht. Umgekehrt ist die Planung auch eine Chance. Wenn man diesen Parkplatz heute wegkriegt, wenn auf der Schützenmatte eine öffentlichere Nutzung möglich wird, könnte das für die heutige Reitschule spannend werden.

Was ist Ihre Vision?
Die Schützenmatte soll nicht weiter überbaut werden. Sie ist es ja schon durch die dominierende Eisenbahnbrücke, die die SBB sogar noch verbreitern möchten. Das Areal soll als multifunktionaler Raum genutzt werden für Zirkusse, Flohmärkte, Feste, Kundgebungen. Gelöst werden muss das Problem mit dem Verkehr: Heute ist das Areal eine Insel und von der Stadt abgeschnitten. Eine Möglichkeit wäre, entlang des Aarehangs die Schützenmattstrasse aufzuheben. Sie könnte dann mit Räumen für das Gewerbe, für Lokale oder für eine «Maison des Associations» – ein Haus der Vereine, wie es in Genf existiert – überbaut werden.

Und was wäre ein schlechtes Ergebnis?
Eine Überbauung mit teurem Wohnraum zum Beispiel. So hat man 2007 in Luzern das Kulturzentrum Boa kaputt gemacht. Mit den neuen Nachbarn entstanden schnell so viele Konflikte, dass das Zentrum geschlossen wurde.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Berner Onlinemedium «Journal B ».