Militärpolizei: Spontane SoldatInnen in den Gassen

Nr. 37 –

Die Militärpolizei soll künftig überforderten Kantonspolizeien zur Seite springen. Das stellt das Prinzip der Trennung zwischen ziviler und militärischer Sicherheit infrage.

Wenn in Zeitungen das Stichwort «Militärpolizei» fällt, so meist in Berichten über Länder, in denen gerade ein Konflikt im Gang ist, zum Beispiel in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Brasilien während der Demonstrationen gegen die Fussballweltmeisterschaft. Zivile Einsätze durch die Militärpolizei bedeuten in vielen Fällen: Ausnahmezustand.

Nicht so in der Schweiz. Hier wünscht sich Bundesrat Ueli Maurer im Rahmen der Reform mit dem Namen Weiterentwicklung der Armee (WEA), dass die Militärpolizei – die militärische Sicherheit, wie sie offiziell seit der Armee-XXI-Reform heisst – künftig den zivilen Polizeien spontanen Beistand leisten kann, wenn diese es wünschen. Linke Kreise sind empört: Die Armee werde zur «Hilfspolizei mit Sturmgewehr», wettert die GSoA, sie dürfe nicht zur «mit Bundesgeldern finanzierten Hilfstruppe der Kantone werden», kritisiert die SP. Und die Grünen pochen auf die «strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Sicherheit».

Einsätze gegen DemonstrantInnen …

Stein des Anstosses sind einerseits die zivilen «Assistenzdienste» durch Soldaten, die ihre Wehrpflicht bei der Militärpolizei absolvieren. Diese sollen allerdings nur erfolgen, wenn die Polizei mit ihrer Kapazität an Grenzen stösst. Solche Einsätze finden bereits statt, bekanntestes Beispiel sind die Soldaten, die jedes Jahr beim Wef in Davos stationiert sind.

Etwas anderes sind die sogenannten «Spontaneinsätze»: Hier soll die militärische Sicherheit, also die Hauspolizei der Armee, der Polizei auf deren Gesuch hin Spontanhilfe leisten können. Dabei hätte sie faktisch dieselben Kompetenzen wie die Polizei. Rechte PolitikerInnen fordern eine solche Zusammenarbeit schon länger. Begründung: Die «oft ungenutzten Synergien zwischen Militärpolizei, Grenzwachtkorps und Polizei» sollten endlich besser genutzt werden. Entsprechende Vorstösse im Parlament hat der Bundesrat bisher zurückgewiesen, eine Motion etwa des SVP-Nationalrats Oskar Freysinger im letzten Jahr. Das neue Militärgesetz übernimmt nun die Forderung – und bezieht sich dabei auf eben jene Motion Freysingers.

Könnte die Gesetzesänderung zum Beispiel dazu führen, dass die Stadtpolizei Bern spontan die Militärpolizei aufbietet, wenn sie bei einer Demonstration mit mehr TeilnehmerInnen als erwartet konfrontiert ist und es zu Ausschreitungen kommt? Alles halb so wild, beruhigt das Verteidigungsdepartement (VBS). Sogenannte «Spontaneinsätze» durch die Militärpolizei sollen nur dann möglich sein, wenn es sich um «schwere Delikte» handelt, wie das VBS auf Anfrage mitteilt. Zum Beispiel wenn ein Täter nach einem Raubüberfall auf der Flucht an einem Posten der Militärpolizei vorbeikommt. Es sei «tragisch, wenn ein voll ausgerüstetes Polizeielement einen Täter aus Zuständigkeitsgründen flüchten lassen muss», so Sprecher Renato Kalbermatten. Es gehe dabei um zwei, drei Fälle pro Jahr – keine Hilfspolizei, kein Grund zur Sorge.

… oder gegen Fussballfans?

Oder vielleicht doch. Problematisch ist zunächst die Frage, nach welchem Recht die Armeepolizei bei zivilen Einsätzen handelt. Im Paralleluniversum Armee hat die Militärpolizei dieselbe Aufgabe, die die zivile Polizei für die BürgerInnen eines Staats hat. Sie büsst Fahrer von Armeefahrzeugen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, kontrolliert Rekruten auf Cannabiskonsum (wobei sie jüngst 30 von 32 Rekruten in einer Walliser Rekrutenschule bekifft vorfand) und kann Soldaten bei Verstössen ins Militärgefängnis stecken. Justiz übt sie aufgrund des Militärrechts – und nicht aufgrund des kantonalen Polizeirechts. Gegenüber Zivilpersonen jedoch kann sie nicht nach dem Militärstrafrecht agieren. Die Kantone können die Hilfe Dritter in den Polizeigesetzen zwar vorsehen, doch die Militärpolizei würde nach dem Zwangsanwendungsgesetz und der zugehörigen Verordnung des Bundes vorgehen. «Das Zwangsanwendungsgesetz ist für Ausnahmesituationen wie Ausschaffungsflüge geschaffen worden», sagt Rolf Müller, Lehrbeauftragter für Sicherheits- und Polizeirecht an der Universität Basel. Als Rechtsrahmen für einen zivilen Polizeieinsatz sei es wenig geeignet und strafrechtlich problematisch. Denn sollte es bei Spontanhilfe zur Anwendung kommen, würde es in die kantonale Polizeihoheit eingreifen.

Hinzu kommt, dass der entsprechende Gesetzesartikel im neuen Militärgesetz nichts darüber sagt, wann ein solcher Einsatz legitim sei. Er definiert lediglich, dass die Militärpolizei nur «auf Gesuch hin den zivilen Polizeiorganen und den Grenzwachtkorps Spontanhilfe leisten» könne. Eine Beschränkung, in welchen Situationen eine solche Hilfe begründbar ist, fehlt jedoch. Für Müller wäre ein spontaner Hilfseinsatz durch die Militärpolizei bei einer Demonstration dem Gesetzesentwurf nach zumindest denkbar – auch wenn das VBS dies vehement dementiert.

Dass militärische Einheiten immer mehr zivile Aufgaben übernehmen, ist bekannt. VBS-Chef Ueli Maurer selbst sagte 2013 gegenüber dem «Bulletin zur Schweizerischen Sicherheitspolitik» der ETH Zürich, er sehe die «Aufgaben zur Unterstützung ziviler Behörden klar im Aufwind». Einen wichtigen Schritt in diese Richtung tat die Armee bereits mit der Zusammenlegung der Festwachtkorps und der Militärpolizei zur militärischen Sicherheit. Im Zuge der Reform Armee XXI schuf sie eine Art Kompetenzzentrum für subsidiäre Armeeeinsätze. Das manifestiert sich nun im neuen Militärgesetz. Die Armee soll die zivilen Behörden nicht nur bei «schwerwiegender Bedrohungen für die innere Sicherheit» unterstützen dürfen, sondern auch «bei der Bewältigung von Spitzenbelastungen» oder bei «Erfüllung anderer Aufgaben von nationaler Bedeutung». Beispielsweise bei einem Fussballspiel des FC Zürich gegen den FC Basel?

Die Erinnerung an den Generalstreik

Auf Polizeiseite stand man der Einmischung der Armee lange skeptisch gegenüber. 2004 empörte sich Jörg Schild, der damalige Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, gegenüber der NZZ, dass sich die Armee der Polizei mit Gratisleistungen anzubiedern versuche.

Doch mittlerweile scheint die Umorientierung der Armee Begehrlichkeiten aufseiten der notorisch unterbesetzten Kantonspolizeien geweckt zu haben. In manchen Kantonen gehen heute bereits regelmässig Rekruten der Militärpolizei mit zivilen Polizisten auf Streife – «zu Ausbildungszwecken» (VBS). Beispielsweise im Kanton Basel-Landschaft, wo zivile und Militärpolizei letztes Jahr geeint gegen KriminaltouristInnen vorgingen. Und auch die Spontaneinsätze der Militärpolizei erfahren wenig Gegenwind. Max Hofmann vom Verband Schweizerischer Polizeibeamter findet dies «absolut in Ordnung», schliesslich handle es sich um ausgebildete Polizisten.

Für jene aber, die das Prinzip der Trennung zwischen militärischer und ziviler Gewalt hochhalten, sind solche Vorschläge ein rotes Tuch. Schliesslich gibt es auch in der Geschichte der Schweiz Beispiele, in denen die Armee auf DemonstrantInnen schoss: etwa beim Generalstreik 1918, als der Bundesrat das Militär losschickte. Oder 1932 in Genf, als Armeerekruten auf DemonstrantInnen feuerten und dabei dreizehn Menschen erschossen. Auch wenn es sich im heutigen Fall um Einsätze durch die Militärpolizei handelt, so ist es doch zumindest eine Aufweichung der strikten Trennung zwischen ziviler und militärischer Sicherheit.

Unter diesem Aspekt sollte sich die Armee vielleicht doch auf ihr Kerngebiet konzentrieren: beispielsweise, die Rekruten auf Cannabis zu kontrollieren.