Porträt: «Hier gibts höchstens Salonkommunisten»

Nr. 37 –

Trudi Gauss (93) war 1944 am Gründungskongress der Partei der Arbeit Zürich. Sie wünscht der PdA zum 70. Geburtstag mehr Mut.

Trudi Gauss: «Meine Mutter war gegen die Intellektuellen. Sie sagte: ‹Die sollen lernen zu arbeiten.›»

Trudi Gauss war 23, als sie am 14. Oktober 1944 im Zürcher Volkshaus die Gründung der «Partei der Arbeit Zürich» (PdA) miterlebte. Ihr Freund und späterer Mann Eugen Gauss rief sie vorher an, um eine Verabredung für den Abend abzusagen. Es sei was Dringendes dazwischengekommen. «Was ist denn los?», fragte sie. Als er sagte, er müsse ins Volkshaus, staunte sie nicht schlecht. Eigentlich hatte sie dasselbe vor. «Da komm ich gleich mit!» Bald standen die beiden im gefüllten Saal. «Dann wurden alle in kleinere Quartiersektionen aufgeteilt. Meine Mutter wurde für die Kasse von Kreis 3 verantwortlich, die ich später übernahm.»

Politisch solidarisierte sich Gauss schon im Alter von siebzehn Jahren mit den heimgekehrten SpanienkämpferInnen. «Wir haben daheim Walter Aschwanden aufgenommen. Er musste dann aber wegen Eintritt in fremden Kriegsdienst ins Gefängnis. Ich ging ihn besuchen und gab mich als seine Schwester aus. Der Gefängnisdirektor schaute kritisch und nahm mich mit ins Büro. Es stellte sich heraus, dass Walti gerade das Motorrad des Direktors reparierte und gar nicht da war. Der Direktor rechtfertigte sich, Walti sei ja kein Verbrecher!»

Häkeln für die Weltrevolution

Als Trudi Gauss in die PdA eintrat, löste das zu Hause keine Empörung aus. Im Gegenteil. Trotz Berufsverbotsrisikos und einer möglichen Kündigung der Wohnung war die Familie stolz. Ihre Mutter Mina war aktive Gewerkschafterin, die miserablen Löhne der Herrengiletmacherinnen hatten sie politisiert. Sie arbeitete auch in der Schulpflege und auf dem Fürsorgeamt. Der Vater Karl, Buchbinder, stellte in seiner Verpackungsfabrik auch ungelernte ArbeiterInnen und Menschen mit Behinderung ein. «Es war ein schwerer Job. Viele Taubstumme brauchten auch am Wochenende Begleitung. So ging er am Samstagnachmittag mit ihnen einkaufen», erinnert sich Gauss.

Schon als sie vier Jahre alt war, nahmen die Eltern sie zu Demonstrationen mit. Da das Frauenstimmrecht noch in weiter Ferne lag, öffnete die Mutter am Abstimmungssamstag jeweils das Couvert und legte es auf den Tisch. Dann wurde diskutiert, bis die ganze Familie sich einig war.

Trudi Gauss arbeitete später 25 Jahre lang in einem Bijouteriegeschäft. «Ich wäre gerne Kindergärtnerin geworden, aber mein Lehrer sagte, ich könne nicht zeichnen.» Bis 1956 engagierte sich Trudi Gauss in der PdA. «Wir waren immer dabei, Geld zu sammeln, in Wiedikon gingen wir von Tür zu Tür. Früher konnte man das noch, heute haben sich ja alle eingebunkert.» Für den PdA-Basar hat sie jahrelang gestrickt und gehäkelt. «Mit den Intellektuellen der PdA hatten wir selten Kontakt, meine Mutter war gegen die Intellektuellen. Sie sagte: ‹Die sollen lernen zu arbeiten.›»

1956 schlitterte die Partei der Arbeit Schweiz in eine Krise. Viele führende Mitglieder verliessen die Partei, weil sie sich nur zögerlich von der sowjetischen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands distanzierte. Alles, was in der Sowjetunion passierte, habe die Partei zu kopieren probiert, so Gauss. Damit waren sie und ihr Mann nicht einverstanden. Auch ihre Mutter zeigte sich von den Entwicklungen enttäuscht. «Als sie von einer Russlandreise heimkam, sagte sie, dort würden nur die Frauen arbeiten», sagt Trudi Gauss.

Betraf dieses Problem auch die Parteiarbeit in der Schweiz? «Nein, in der Partei der Arbeit waren alles Kollegen, da hatte ich als Frau nie Probleme.» Eugen Gauss ging daraufhin zur Gewerkschaft, Trudi betätigte sich jahrelang als Ski- und Schwimmlehrerin im Sportverein Satus. Die beiden lebten sechzig Jahre an der Rehalpstrasse in Zürich, bevor sie ins Altersheim Rebwies umzogen. Dort verstarb vor ein paar Jahren Eugen. Im Altersheim fehlt Trudi seither vor allem das politische Gespräch: «Mit den Leuten kann ich nicht diskutieren. Hier sind nur SVPler und Salonkommunisten, wenn überhaupt.»

Kapitalismuskritik im Altersheim

Den Erlös aus ihrem Haus spendete Trudi Gauss unter anderem an das Schweizerische Arbeiterhilfswerk, einen Teil schickte sie nach Vietnam. «Was soll ich mit all dem Geld alleine?», fragt sie. In ihrer Wohnung im Altersheim liegen neben dem Fernseher auf dem Pult viele Zeitungen. Trudi Gauss ist informiert, sie sagt, das Hauptproblem sei immer noch das gleiche: «Es ist der Kapitalismus. Auch wenn bei uns niemand Hunger haben muss, man muss weiterdenken!»

Sie wünscht sich für die Zukunft, dass die Lohnschere sich schliesst und die Schweiz nicht auf Kosten von Behinderten spart. «Der PdA wünsche ich zum 70. Geburtstag vor allem Geld, Geld regiert leider die Welt.» Und da jeder immer mehr für sich schaue, müsse man sich wieder solidarisieren, und das gehe nur auf der Strasse. Am Jubiläum der PdA Schweiz in Le Locle Ende August hat sie nicht teilgenommen. «Ich habe eine Einladung bekommen, aber ein dreitägiges Fest ist mir zu viel», sagt sie.