U-Haft I: Die Nummer «Guter Cop, böser Cop» gibt es wirklich

Nr. 37 –

Wäsche aus Papier, dröhnende Lüftung, ständige Verhöre: sieben Nächte im Gefängnisprovisorium Kaserne in Zürich. Ein ehemaliger Untersuchungshäftling berichtet.

Daniel G.* hatte seit seiner Pubertät mit Gras gedealt. Im weiteren Bekanntenkreis, im kleineren Stil. Mehr als zehn Jahre lief alles reibungslos. Bis zu dem Tag vor einigen Jahren, als er die Ferienvertretung für einen grossen Dealer übernahm. Als er sich mit ihm traf, um die Modalitäten zu besprechen, geriet Daniel G. in den Fokus der Polizei.

Noch am selben Abend stürmten fünfzehn Polizisten seine Wohnung, schlitzten das Sofa auf, räumten die Schränke aus, kehrten die Matratze, wühlten in seinen persönlichen Unterlagen, beschlagnahmten Handy und Computer. Und fanden einige Kilo Gras. Daniel G. wurde in Handschellen abgeführt und im berüchtigten Gefängnisprovisorium Kaserne in Zürich in Untersuchungshaft gesetzt. «Ich bin natürlich erschrocken», sagt der grosse kräftige Mann, «ging aber davon aus, dass ich rasch wieder auf freiem Fuss sein würde, weil ich geständig war.»

Schikanen über Schikanen

Daniel G. verbrachte schliesslich sieben Nächte unter prekären Bedingungen in der Kaserne. Ein Antrag auf Verlegung ins Bezirksgefängnis wurde abgelehnt. Das Fenster der Zelle liess sich nicht öffnen, die Lüftung dröhnte wie ein startendes Düsenflugzeug, und weil das Fenster auf den pausenlos beleuchteten Innenhof hinausgeht, fand er kaum in den Schlaf – und schreckte immer wieder aus ihm auf. Allmählich veränderte sich seine Wahrnehmung. Schlief Daniel G. und träumte, glaubte er wach zu liegen, lag er wach, wähnte er sich in einem Albtraum. Kissen und Duvet waren mit Wäsche aus Papier bezogen, die Wolldecke musste Daniel G. wie jeder Häftling morgens um sieben abgeben, und er erhielt sie erst abends zurück.

Morgens und abends um fünf setzten ihm die Wärter ein karges Mahl vor. «Du hast eine halbe Stunde Zeit fürs Essen, dann wird es wieder abgeholt, einerlei, ob du aufgegessen hast oder etwas für später aufbehalten möchtest. Sie nehmen dir alles weg.» Daniel G. war in den Kleidern eingeliefert worden, die er gerade trug, er konnte nichts mitnehmen, keine Zahnbürste, kein Waschzeug, nichts Persönliches. Duschen könne man sich bloss jeden fünften Tag. Und weil der Duschtermin bei seiner Einlieferung soeben verstrichen war, musste Daniel G. fünf Tage in seiner Unterwäsche ausharren.

Daniel G. hatte viel Zeit, um nachzudenken. Die Gedanken wirbelten durcheinander wie in einer Wäschetrommel. Da war fast nichts, was ihn ablenkte. Kein Fernseher, kein Radio, keine Computergames. Als er nach Lesestoff verlangte, beschied man ihm, man habe gerade keine Zeit. Und schliesslich sei sein Wunsch «vergessen» gegangen. Tags darauf gab es doch noch etwas zu lesen – ein Anzeigenheft über Wohnwagen. In der Kaserne wählen die Wärter den Lesestoff aus. Ein andermal erhielt Daniel G. ein Buch, aus dem jede dritte Seite herausgerissen war. «Ob das Zufall war? Ich glaube nicht», sagt Daniel G. Er habe fast alles als Schikane empfunden – die Handschellen zu eng, unbrauchbarer Lesestoff, Wolldecke weg, Essen unter Druck, Geschrei und Gebrüll aus anderen Zellen.

Daniel G. war mit einem Venezolaner in einer Zelle untergebracht. Der Mann war verzweifelt und weinte ständig. Über die Gegensprechanlage verlangte er immer wieder nach einem Psychologen. Doch niemand reagierte. Daniel G. bringt für einen Moment Verständnis für das Personal auf. «Für die ist das eine Strafaufgabe. In diesem Gefängnis gibt es viele Durchgeknallte, Kinderschänder, Junkies. Das Personal wird schon mal attackiert, angeschrien, angespuckt.» Daniel G. versuchte, dem Südamerikaner beizustehen, ihm zuzuhören, ihn zu trösten. «Klingt jetzt blöd, aber es hat mir gut getan. Im Gefängnis hast du es mit vielen Irren zu tun. Da bist du froh, wenn du mit einem halbwegs normalen Menschen in der Zelle bist.» Übrigens habe ihm sein Zellengenosse gesagt: «Hier ist es wie in den Gefängnissen meines Landes, mit dem einzigen Unterschied, dass dort viel mehr Leute in eine Zelle gepfercht werden.»

Das erste Verhör

Schikane. Daniel G. glaubt, das Kasernen-System sei darauf angelegt, die U-Häftlinge zu zermürben. «Die wissen genau, was sie tun. Sie ritzen die Legalität, überschreiten diese Linie aber nicht. Es ist unmöglich, den Wärtern Schikanen nachzuweisen. Du bist vollkommen ausgeliefert.»

Daniel G. bekam es bereits bei seinem ersten Hofgang zu spüren. Die Häftlinge sind 23 Stunden am Tag eingesperrt, eine Stunde dürfen sie in den Hof. Kaum vertrat sich Daniel G. die Beine, wurde er zum ersten Verhör gerufen. «Das passierte mir bei jedem Hofgang. Und als ich es durchschaute und auf den Hofgang verzichtete, redeten mir die Wärter gut zu. Herr G.: ‹Gehen sie doch an die frische Luft, das tut ihnen gut.› Kaum war ich draussen, wurde ich wieder zum Verhör gerufen.» Die einzige Waffe gegen die Schikanen sei Nahrungsverweigerung. «Das fürchten sie, weil es in die Medien kommen könnte. Sich aggressiv zu wehren, bringt nichts.»

Die Nummer «Guter Cop, böser Cop» gibt es wirklich. Einer schlage einen Plauderton an, frage nach scheinbar nebensächlichen Dingen. Alles, was man sage, könne gegen einen verwendet werden. «Sie testen deine Glaubwürdigkeit.» Und kommt der gute Cop nicht weiter, kommt der böse ins Spiel – der brüllt einen an, beschuldigt einen willkürlich, fordert einen auf, es endlich zuzugeben. «Na ja, irgendwie war es auch lächerlich, zumal ich alles gestanden hatte. Klar, verpfiffen habe ich niemanden.» Aber man sei denen unterlegen, sobald man rede. «Du allein gegen einen professionellen Apparat, du allein gegen professionell geschulte Verhörtechniker.»

Das Stigma des Vorbestraften

Nach sieben Nächten in der Kaserne wurde Daniel G. ins Bezirksgefängnis überstellt, in ein Gefängnis mit geschulten Betreuern, ärztlicher Eintrittskontrolle, mit TV, Radio, Kiosk, Besuchsmöglichkeiten. Und schliesslich konnte Daniel G. endlich mit seinem Anwalt reden, der in den Ferien gewesen war. «Der Anwalt ist in dieser Zeit der einzige Mensch, der auf deiner Seite steht.» Jedenfalls habe er sich nach den Tagen in der Kaserne wieder als Mensch gefühlt und gedacht: Jetzt bist du wieder in der Schweiz.

Bloss der Gefängnispsychologe, nach dem er verlangt hatte, irritierte ihn. «Er fragte ständig danach, seit wann ich Drogen handle, wie lange ich schon Drogen nehme und solche Sachen. Für mich interessierte er sich nicht. Ich fragte ihn: ‹Ist dieses Gespräch vertraulich?› Er druckste herum, sagte jedenfalls nicht Ja. Da habe ich sofort abgebrochen.»

Als Daniel G. in seine Wohnung zurückkehrte, fragte er sich, was wohl seine Bekannten und FreundInnen über ihn dächten. Er räumte auf, kehrte die verschimmelte Ware aus dem Kühlschrank in den Abfallsack, ordnete seine Sachen und grübelte: Wie viel wissen die nun von meinem Leben, was sie nichts angeht?

Trotz allem: Die Verhaftung habe bei ihm ein radikales Umdenken bewirkt. Seither lässt er die Finger von Drogen, arbeitet in einem guten Job. Vom alten Freundeskreis hat er sich verabschiedet. Manchmal hat er noch mit dem Stigma des Vorbestraften zu kämpfen.

* Name von der Redaktion geändert.

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