Zentralafrikanische Republik: Beenden nun 12 000 Blauhelme den chaotischen Konflikt?

Nr. 37 –

Die staatlichen Organe der Zentralafrikanischen Republik sind kollabiert, das Land versinkt in der Gewalt. Gekämpft wird nicht zuletzt um die Teilhabe am Rohstoffreichtum. Am 15. September soll nun eine der weltweit grössten UN-Missionen eingerichtet werden.

Weder von einem Sicherheitsapparat noch von einem Rechts-, Gesundheits- oder Schulsystem kann mehr die Rede sein: Der Staat der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) ist de facto inexistent. Ein Viertel der Bevölkerung ist auf der Flucht, die Verbliebenen sind mit einer kaum vorstellbaren Gewalt und Misere konfrontiert. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) befürchtet eine Hungersnot, weil die BäuerInnen nicht aussäen konnten. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, die HändlerInnen sind geflohen, die Märkte leer. Etwa die Hälfte der Menschen im Land ist auf Hilfslieferungen angewiesen. «Der Hass zwischen der christlichen Mehrheit und der muslimischen Minderheit hat ein erschreckendes Niveau erreicht», sagt die frühere UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay. Religiösen Ursprungs ist der Konflikt aber nicht. Primär geht es um Macht und Ressourcen.

Der Norden war während Jahrzehnten von der Macht ausgeschlossen. Die von der Hauptstadt Bangui weit entfernten Provinzen funktionieren seit jeher ohne staatliche Instanzen. Auf dem Einkommensindex des UN-Entwicklungsprogramms belegt das Land hinter Niger und Kongo-Kinshasa den drittletzten Platz. Und dies, obschon die ZAR fruchtbar ist und über grosse Reichtümer verfügt – allen voran Diamanten, Erdöl und Uran. Diese Bodenschätze befinden sich grösstenteils im Nordosten des Landes, also dort, wo die MuslimInnen leben. Die meisten von ihnen sind Viehzüchter, Händlerinnen oder Diamantenschürfer. Sie wollen sich nicht mehr nur mit ihrer ökonomischen Macht zufriedengeben, sondern auch an politischen Entscheidungen teilhaben – besonders über die Ausbeutung der Rohstoffe. Doch das Zentrum dieser Macht ist in Bangui.

Anti-Balaka gegen Seleka

So zogen rund 5000 Seleka, Angehörige einer Allianz aus muslimischen Rebellengruppen aus dem Norden, nach Bangui, stürzten im März 2013 die Regierung des freikirchlichen Präsidenten François Bozizé und setzten ihren eigenen Anführer, Michel Djotodia, ein. Während die Köpfe des Putsches über die Verteilung der Ministerposten stritten, zogen die Seleka-Kämpfer durch die Strassen, plünderten und terrorisierten die BewohnerInnen. Bald formierte sich Widerstand gegen diese Willkürherrschaft und ihre Terrormethoden: Jugendliche, mit Macheten und Jagdgewehren bewaffnete Banden, spielten sich als Bürgerwehren auf und gaben sich den Namen «Anti-Balaka» (dieser Name leitet sich ab von Anti-Balle-AK, also gegen die Gewehrkugeln der AK-47). Rund achtzig Prozent der Seleka waren Söldner aus dem Sudan, dem Südsudan und dem Tschad. Diese Länder unterstützten sie auch finanziell – nicht zuletzt aus Interesse an den Rohstoffen der ZAR. Als die Söldner nach dem Sturz in ihre Heimatländer zurückkehrten, nutzten die Anti-Balaka das Machtvakuum in Bangui und eroberten die Stadt mithilfe der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Doch ihre Methoden waren nicht besser: Die Anti-Balaka rächten sich an den Seleka und an all ihren (mutmasslichen) SympathisantInnen. Wieder wurde geplündert und massakriert. Wer konnte, floh. Eine Krankenschwester aus Bangui schildert die Situation gegenüber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» so: «Wer kämpft eigentlich gegen wen? Ich würde sagen: Muslime gegen Christen, das alte Staatsregime gegen das neue, die Seleka gegen die Anti-Balaka, zentralafrikanische Muslime gegen das französische Militär, Brüder gegen Brüder.» Die Gewalt hat sich inzwischen auf das ganze Land ausgebreitet.

In Bangui hat in der Zwischenzeit die Christin Catherine Samba-Panza ad interim das Regierungspräsidium übernommen. Die frühere Bürgermeisterin von Bangui gilt als politisch unverdächtig, hat aber kaum Einfluss auf die Konfliktparteien. Ein religiöser Bürgerkrieg sei das nicht, sagte sie in einem Interview mit Al-Jazeera. Armut, eine niedrige Alphabetisierungsrate, schlechte, nicht legitimierte Regierungen und ein schwacher Staat seien gewichtiger als die religiöse Zugehörigkeit: «Die Religionen werden missbraucht, um die Armen und Ungebildeten zu mobilisieren.» Samba-Panza betont, dass der Konflikt primär ökonomische Ursachen habe.

Im Juli wurde zwar in Brazzaville ein Waffenstillstand beschlossen, aber sofort wieder gebrochen. «Viele Kämpfer scheinen von diesem Abkommen nichts zu wissen», sagte General Babacar Gaye, Chef der bereits im Land stationierten Blauhelmmission, am 19. August vor dem UN-Sicherheitsrat. Gründe dafür gibt es viele: Die Milizen sind chaotisch organisiert, unter sich zerstritten, nicht alle Fraktionen waren am Verhandlungstisch vertreten, die Gewalt im Land ging ungehindert weiter. Und: Es gibt gar keine Nichtmilizen, die über polizeiliche oder militärische Macht verfügen. Weder die bereits installierte 1600-köpfige Militärmission aus Frankreich noch die 5000-köpfige afrikanische Blauhelmtruppe konnten bisher die Eskalation verhindern. Aus all diesen Gründen hat der Sicherheitsrat beschlossen, per 15. September eine «multidimensionale, integrierte Stabilisierungsmission» (Minusca) einzusetzen. Mit knapp 12 000 Blauhelmsoldaten ist das einer der grössten UN-Einsätze der Welt.

Der «moribunde Staat»

Während die politische Elite in der Hauptstadt über Konzepte und Territorien feilscht, dreht sich die Spirale der Gewalt im ganzen Land weiter. Der Kampf Christen gegen Muslime sei die letzte Etappe eines seit Jahrzehnten andauernden Machtkonflikts, in dessen Verlauf «alle staatlichen Strukturen zusammengefallen sind und mit ihnen auch das Gewaltmonopol des Staats», schreibt die Reporterin Simone Schlindwein diesen April in «Le Monde diplomatique». Der «moribunde Staat» werde von ausländischen Truppen am Leben gehalten. Wer aber genau was am Leben erhalte, sei oft unklar, die Koordination unter den internationalen Organisationen diffus. Frankreich wird von den Seleka als Unterstützer der Anti-Balaka wahrgenommen, und die bereits installierten Blauhelme bleiben in ihren Vierteln, wo sie vor den Banden sicherer sind. Ausserhalb der Stadt sind bis jetzt kaum UN-Truppen präsent.

Catherine Samba-Panza, die sich gerne als Mutter der Nation bezeichnet, wünscht sich einen Versöhnungsprozess wie in Ruanda. Aber vorerst gehen die blutigen Auseinandersetzungen aller Mutterliebe zum Trotz weiter. Und das Interesse der Weltöffentlichkeit ist gering. Ob sich daran etwas durch die grosse UN-Mission ändert, steht in den Sternen.

Zweigeteilt

Die Zentralafrikanische Republik ist in verschiedener Hinsicht schon seit längerem zweigeteilt: topografisch und wirtschaftlich, kulturell und religiös. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind muslimische Peul, über fünfzig Prozent ChristInnen – beide Gruppen aber äusserst heterogen.

Die Sahelzone mit ihren muslimischen Nomadenstämmen im Nordosten grenzt an die subsaharische Savanne, in der überwiegend sesshafte christliche BäuerInnen siedeln. Die Grenze verläuft durch Sümpfe, die in der Regenzeit kaum passierbar sind.