Medientagebuch: Kraut-und-Rüben-Blatt

Nr. 44 –

Wolfgang Storz über eine neu erfundene Wochenendzeitung

Die «Süddeutsche Zeitung» mit einer echt verkauften Auflage aus Abonnements und ab Kiosk von 320 000 Exemplaren gilt in Deutschland als sozialliberales Gegengewicht zur grossbürgerlich-konservativen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» mit einer echt verkauften Auflage von knapp 248 000 Exemplaren. Seit zwei Wochen bietet die «Süddeutsche» ihre Samstagsausgabe als «Wochenendzeitung» an und versucht unter lautem werblichem Hallo, diesen Zwitter als Erfolg zu verkaufen.

Es bedarf zweier Vorbemerkungen, um dieses Vorhaben zu verstehen. Auch in Deutschland geraten die Zeitungen, die sich als General-Interest-Medien täglich und wöchentlich um gesellschaftlich relevante Themen kümmern, seit Jahren zunehmend in die Bredouille: Die Auflagen sinken, die Anzeigen werden weniger. Von diesen Blättern setzen nun viele auf das Wochenende. Ihr Argument: Dann haben die Leute Zeit. Die Wochenmagazine «Spiegel» und «Focus» haben diesen Tanz begonnen: Beide sind bisher montags erschienen, auch mit dem – seit langem illusionären – Anspruch, die Themen der Woche bestimmen zu wollen. Von Anfang 2015 an wollen nun beide Magazine am Samstag erscheinen. Das Ziel: die seit Jahren sinkende Auflage wenigstens zu stabilisieren.

Die «Süddeutsche Zeitung» wollte eigentlich eine richtige Sonntagszeitung auf den Markt bringen, so wie vor vielen Jahren die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», deren «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» weithin als publizistischer Gewinn gilt. Die «Süddeutsche» traute sich den Kraftakt wirtschaftlich dann doch nicht zu und will nun für einen geringeren Preis doch etwas Besonderes machen. So entstand ihre «Wochenendzeitung».

Dass Tageszeitungen ihre Samstagsausgaben ausbauen, um den LeserInnen mehr Lesestoff zu bieten, ist nicht neu. Das machten sie schon immer – mit einem besonderen Reise- oder Serviceteil oder in inhaltlich anspruchsvollerer Form, wie das heute die deutsche «Tageszeitung» mit Erfolg praktiziert. Die «Süddeutsche» will jedoch an Samstagen etwas Neues sein: mehr als eine Tageszeitung, aber weniger als eine Wochenzeitung. Die Gefahr besteht, dass ihr Angebot dabei zwischen verschiedenen Erwartungen der Kundschaft durchfällt.

Doch die Redaktion sieht sich auf neuen Wegen: «Am Wochenende werden wir in Zukunft eine Art Liebesheirat zwischen Tageszeitung und Wochenblatt eingehen.» Konkret: Auf der ersten Seite wird – jenseits der Aktualität – ein Titelthema angekündigt; etwa die «digitale Diktatur» in China. Die Meinungsseite im Blatt wird verdoppelt. Es gibt einen neuen zweiten Bund, beispielsweise mit einer dreiseitigen Reportage über «eine neue Generation von Dschihadisten». Es gibt neue Ressorts oder Sektionen, «Gesellschaft», «Stil» und «Wissen», darin geht es um den Ruf der Jogginghose oder um «Meilensteine der Hirnforschung», dann folgt die «SZ für Kinder». Das tagesaktuelle Nachrichtengeschäft wird unter den zahlreichen Kolumnen, Porträts und Reportagen begraben. Wer nach den ersten zwei Ausgaben urteilt, der sieht eine Kraut-und-Rüben-Tages-und-Wochenzeitung. Eindeutig ist nur: Die «Süddeutsche Zeitung» lässt an Samstagen die Tageszeitung hinter sich.

Weil sich immer mehr KonsumentInnen im Netz kostenlos informieren, bröckelt die Position der gedruckten Tagespresse. Wenn nun aber alle das Heil im Wochenendgeschäft suchen, kann der neue Weg schnell zur Sackgasse werden. Ausserdem: Was machen dann die bisherigen «echten» Wochenzeitungen noch?

Wolfgang Storz schreibt für die WOZ 
aus Frankfurt am Main.