EPF Lausanne: Kosmopolitisch mit Abstrichen

Nr. 46 –

Die Zahl der Studierenden an der École polytechnique fédérale de Lausanne hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Daher will die Schule die Zulassung für ausländische Studierende beschränken. Niemand protestiert – warum? Ein Besuch in Lausanne.

Abweisende Architektur und eher verschlossene Einheimische: Adriana Maria Moukarzel Basbous aus dem Libanon hat nicht nur die guten Seiten der EPFL kennengelernt.

Während der Vorlesungen ist der Campus ausgestorben. Es gibt keine Schlange vor dem «Royal Döner»-Stand, keine Studierenden sonnen sich auf der grossen Terrasse des Blocks CM, des ältesten Gebäudes auf dem Gelände – es ist 45 Jahre jung. Nur einige Studierende brüten an den Tischen in den dunklen Korridoren über ihren Übungen. Kaum vorstellbar, dass an diesem Ort der Raum knapp sein soll. Die École polytechnique fédérale (EPFL) befürchtet aber, dass der Platz bald ausgeht.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Studierenden auf rund 9900 verdoppelt. Ausschlaggebend für dieses Wachstum sind vor allem die ausländischen Studierenden, deren Zahl auf beinahe 4900 angewachsen ist.

Als Lösung schlägt die Schule vor, den Zulassungsartikel 16a im Hochschulgesetz der beiden ETHs (Zürich und Lausanne) zu ändern. Wenn die Kapazität nicht reicht, sollen «Studierende mit ausländischem Vorbildungsausweis» bereits ab dem ersten Semester abgelehnt werden dürfen. Diese Möglichkeit hat die EPFL schon jetzt– jedoch erst ab dem zweiten Studienjahr. Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung hat nun über den Antrag zu entscheiden. Frühestens 2017 würde die Änderung in Kraft treten.

Im Licht der Neonröhren

In Lausanne scheint die Sonne auf die grauen und braunen Gebäudekomplexe. Trotz der frühlingshaften Temperaturen Ende Oktober wirkt der Ort kühl. Nur eine dreizehnminütige Fahrt mit der «métro» trennt den Campus von der lebendigen Innenstadt. Doch hier, mit spektakulärem Ausblick auf den Genfersee, ist ein Universitätsgelände ohne Charme entstanden. Unterhalb der «Studibeiz» ist eine kleine Filiale der Credit Suisse eingerichtet, ohne Neonröhren gäbe es in den Gebäuden fast kein Licht.

Ein Gong kündigt die Mittagspause an. Studierende strömen auf die Terrasse, setzen sich in die Sonne, essen ihr Sandwich. Innerhalb weniger Minuten ist der Campus zum Leben erwacht. Betrachtet man die Schlangen in der Mensa und vor dem Bankautomaten wirken die jungen Leute auf den ersten Blick nicht besonders international. Bemerkenswert ist eher ihr Alter. Die Allerwenigsten scheinen älter als 25 Jahre.

Einer dieser Jungen ist Tanguy Moser. Er ist Präsident des Studierendenverbands Agepoly – und studiert mit 22 im letzten Jahr Umweltingenieurswissenschaften. Er führt durch das Haus des Studierendenverbands auf dem Campus. Der grösste Raum im Haus ist gleichzeitig ein Shop, in dem man EPFL-Tanktops, Tassen und Trainerhosen kaufen kann. Moser trägt zwar keines der Merchandiseprodukte, spricht aber dennoch wie ein Fan. «Hier zu studieren, ist cool. Der Ruf der Schule ist super, und das Diplom hat viel Wert auf dem Arbeitsmarkt.» Ob man merke, dass hier Menschen aus über 120 Nationen forschen? «Ja, in den Klassen gibt es kaum zwei Leute aus demselben Land. Aber das ist gut so. Wenn ich mit meinen Kommilitonen an einem Forschungsprojekt arbeite, wirken sich die verschiedenen Denkweisen immer produktiv aus.»

Der Studierendenverband hat noch keine Stellung zur geplanten Zulassungsbeschränkung genommen. Warum? «Wir sind nicht prinzipiell gegen die Gesetzesänderung, aber es fehlen uns noch Informationen. (…) Es ist nicht klar, nach welchen Kriterien die Studierenden ausgesucht würden: Nach Noten? Nach dem Prinzip ‹first come, first serve›?» Zudem sieht Moser keine Dringlichkeit: «Wir haben keine einzige Anfrage wegen der Zulassungsbeschränkung erhalten.»

Kaum Platz zum Lernen

In wenigen Minuten hat man den gesamten Campus durchquert. Es ist kein gemütlicher Spaziergang – an allen Ecken wird gebaut, die Gebäude wirken auch im Sonnenschein trist. Man wähnt sich in einem Industriequartier oder in einer Shoppingmeile in der Agglomeration. Doch dies ist die renommierteste Hochschule der Schweiz. In diversen Rankings wird die EPFL als eine der besten Schulen der Welt gehandelt. Seit Jahren kann sie mit den ganz Grossen mithalten – Berkeley, Stanford und dem Massachusetts Institute of Technology. Die Anziehungskraft der EPFL wächst. «Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs», liess sich Rektor Patrick Aebischer in den Medien zitieren.

Die Bewerbungen für ein Studium in Lausanne steigen an. Aber ist es wirklich enger geworden im Klassenzimmer? «Ja, besonders vor den Prüfungen ist es schwierig, einen Platz zum Lernen zu finden», meint Moser. Aber es wird doch überall auf dem Campus gebaut? «Schon, aber nicht nur für uns Studierende.»

Seit 2010 ist das Rolex Learning Center in Betrieb. Dieses wurde durch die Finanzierung Dritter – Rolex, Credit Suisse, Novartis und Nestlé – ermöglicht. Für 110 Millionen Franken bauten die japanischen Stararchitekten vom Büro Sanaa das Lernzentrum, das aus der Luft aussieht wie ein metallenes Stück Emmentaler. Innen gibt es weder Türen noch Wände noch Flure. Die Bibliothek verfügt über 200 Arbeitsplätze. Die Platzsituation hat sich also verbessert? «Leider nein», sagt Moser. Viele würden gerne dort lernen, aber neunzig Prozent der Leute seien Jus- und Wirtschaftsstudierende der Universität Lausanne. Das Center sei halt beliebt, findet Moser: «Es hat Style.»

Moser hätte manchen Grund, um die EPFL zu kritisieren, aber er zeigt viel Verständnis – auch, was die Beschränkung von ausländischen Studierenden angeht. Er findet die Gesetzesänderung nicht fremdenfeindlich. Es gehe ja nicht um die Nationalität der BewerberInnen, sondern um die Nationalität ihres Gymnasialabschlusses. «Sie limitieren halt dort, wo sie können.»

Spricht man mit Rektor Patrick Aebischer, erhält man den Eindruck, bei der Änderung von Artikel 16a handle es sich um eine Lappalie, die die Zukunft der EPFL nicht beeinflussen werde. «Die eingeschränkte Zulassung für ausländische Studierende wird nichts an unserer Kosmopolität ändern.» Wenn die kosmopolitische Ausrichtung so wichtig ist, wäre es dann nicht klüger, eine Beschränkung für alle einzuführen? «Nein, das ist keine Option. Das Schweizer Bildungssystem baut darauf, dass die Matura den Zugang zu Hochschulbildung garantiert.» Daran dürfe nicht gerüttelt werden.

Der Vertreter der StudentInnenschaft Moser sagt, die EPFL-Leitung habe ihnen klargemacht, dass die BewerberInnen mit einer Schweizer Maturität unter allen Umständen aufgenommen werden müssen. Sonst könnte das Budget politisch nicht mehr legitimiert werden. Die staatlichen Beiträge machen derzeit drei Viertel des 860 Millionen schweren Gesamtbudgets aus. «Wenn es eine Beschränkung für alle Studierenden gäbe, würde die EPFL riskieren, weniger Geld zu erhalten.»

Dasselbe gilt für die ETH Zürich, wenn auch eine Beschränkung derzeit noch nicht nötig ist, wie Ralph Eichler, Präsident der ETHZ, gegenüber der «Schweiz am Sonntag» sagte. Die Zahl der Studierenden habe auch in Zürich zugenommen, jedoch sei das Wachstum angesichts des Ingenieurmangels gewollt gewesen. Sollte in Zukunft eine Beschränkung notwendig sein, so gäbe die Gesetzesänderung der ETH einen grösseren Handlungsspielraum.

Vorteil durch Zuwanderung

Die einzige Institution, die sich bisher kritisch geäussert hat, ist der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS). «Wir lehnen die Gesetzesänderung grundsätzlich ab», sagt Dominik Fitze, Mitglied der Geschäftsleitung. Wenn die EPFL das Gefühl habe, sie stosse an ihre Kapazitätsgrenze, dann könne eine Beschränkung der Studierendenzahl nicht die Lösung sein. «Es sollen nicht die Plätze reduziert, sondern die Infrastruktur ausgebaut werden.»

Zudem sei die Diskussion um die Beschränkung irreführend. «Es tun alle so, als würde es sich um einen technokratischen Entscheid handeln. Dabei ist es ein grundlegend politischer», sagt Fitze. Es geht um die Frage: Wie viel will und soll der Bund in Bildung investieren? Noch hat der Verband keine konkreten Pläne, ob und wie er gegen die Gesetzesänderung vorgehen möchte.

Die Schweiz profitiert von ihrem Bildungssystem – zumindest aus ökonomischer Sicht. UBS-Fachleute errechneten diesen Sommer: Müsste die Schweiz alle Fachkräfte selbst ausbilden, die die Wirtschaft benötigt, würde sie das jährlich acht Milliarden Franken kosten. Dank der Zuwanderung spart sie ein Viertel des Bildungsbudgets ein. Während andere Länder also unter Braindrain leiden, weist die Schweiz einen «Braingain» auf – mehr ausgebildete Personen wandern ein als aus.

Das Bundesamt für Statistik hat 2013 publiziert, dass die Schweiz besonders von AusländerInnen im Bereich der sogenannten Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) profitiert – also von jenem Bereich, den die EPFL abdeckt. Denn zwei Drittel der ehemaligen Studierenden arbeiten ein Jahr nach dem Abschluss noch in der Schweiz. Da nur eine Minderheit abwandert, lohnt es sich aus wirtschaftlicher Sicht also, Fachkräfte hier auszubilden.

Wenige Frauen

Adriana Maria Moukarzel Basbous studiert Maschineningenieurswissenschaften an der EPFL. In ihrem Masterstudium hat sie sich auf Flüssigkeiten spezialisiert. Vor vier Jahren ist sie nach Lausanne gezogen – ohne jemals vorher in der Schweiz gewesen zu sein. Aufgewachsen ist sie im Norden Beiruts. Auch sie kann es grundsätzlich verstehen, dass die Zahl der ausländischen Studierenden begrenzt werden soll: «Schon klar, dass es nicht einfach eine unlimitierte Zahl an Ausbildungsplätzen gibt.» Aber ganz dahinter stehen kann sie nicht. In ihrem ersten Jahr fiel ein Drittel aller Studierenden durch, daher könnte man die Selektion einfach so weiterführen. «Menschen sollen eine Chance erhalten und nicht schon zu Beginn nach irgendwelchen Kriterien ausgeschlossen werden.» Nach einigem Überlegen fügt sie hinzu: «Die Regelung schafft doch eine Ungleichheit zwischen den Studierenden. Wer nicht das Glück hatte, in der Schweiz zur Schule zu gehen, hat kein ‹free ticket›. Aber ich nehme das nicht persönlich; so funktioniert halt das System.»

Für ihr Studium in Lausanne findet Adriana nicht nur positive Worte. Sie geniesse die Stabilität in der Schweiz, sozial aber sei es schwierig. «Ich habe in meiner Zeit hier fast keine Einheimischen kennengelernt. Sie sind zu verschlossen. Alle meine Freunde kommen bezeichnenderweise aus Mittelmeerregionen, so wie ich.»

Allerdings sei es anstrengend, als Frau Maschineningenieurswissenschaften zu studieren. «Ich würde sagen: Der Frauenanteil liegt bei fünf oder zehn Prozent in meinem Fach.» Es gebe zwar keinen krassen Sexismus, aber manche Studenten behandelten Frauen herablassend, wenn sie gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Tatsächlich sind zurzeit an der ganzen EPFL 7190 Männer und lediglich 2678 Frauen eingeschrieben. Adriana findet: «Es ist nicht gut für das Klima, wenn ein Geschlecht so stark in der Mehrheit ist.»

Nach einem Tag auf dem Campus wird klar: Ob Studierende aus der Schweiz oder aus dem Ausland, die EPFL wäre noch dieselbe EPFL. Das Gelände könnte irgendwo sein, es wirkt weder provinziell noch international, denn die Restaurants, das Reisebüro, die Labors, kurz: alles ist darauf ausgerichtet, funktional zu sein. Hier wird studiert, um EPFL-AbgängerIn zu werden. Deshalb stört sich hier wohl auch niemand an der Beschränkung für ausländische Studierende.