Erster Weltkrieg: «Ein Ergebnis der imperialistischen Politik»

Nr. 46 –

Im September 1914 beschlossen die Sozialdemokratische Partei der Schweiz und die Sozialistische Partei Italiens eine antimilitaristische Resolution.

Der Kampf gegen den Krieg war ein Grundanliegen der 1889 gegründeten Zweiten Internationale, des Zusammenschlusses der sozialdemokratischen Parteien. Doch beim Kriegsausbruch erwies sie sich als machtlos. Alle Regierungen behaupteten, einen Verteidigungskrieg zu führen, den auch die nationalen Sozialdemokratien mehrheitlich unterstützten. So stimmte die Reichstagsfraktion der SPD am 4. August 1914 den Kriegskrediten zu. Im von deutschen Truppen überfallenen, zuvor neutralen Belgien und in Frankreich traten Sozialisten in die bürgerlichen Regierungen ein. Das Sekretariat der Internationale mit Sitz in Brüssel veröffentlichte mit den französischen und belgischen Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Büros Ende August 1914 einen Aufruf «An das deutsche Volk», der von einem berechtigten Abwehrkampf der beiden Länder gegen den deutschen Imperialismus sprach. Der Vorstand der SPD sah seinerseits diesen Aufruf als Verletzung internationalistischer Grundsätze.

Die italienische Regierung erklärte sich bei Kriegsausbruch für neutral. In der SP Schweiz (SPS) war man sich nicht sicher, welche Haltung die italienische Schwesterpartei, der Partito Socialista Italiano (PSI), in dieser Frage einnahm. Am 27. September 1914 trafen sich die beiden Geschäftsleitungen zu einer «vertraulichen Konferenz» in Lugano. Dabei drückten die Schweizer Vertreter ihre Überzeugung aus, dass die Neutralität auch bewaffnet verteidigt werden müsse. Neben einer vertrauensbildenden Aussprache wollte SP-Vertreter Robert Grimm mit einer Schlusserklärung ein Zeichen gegen die nationalistische Stimmung setzen: «Die Internationale muss sich als noch vorhanden und noch lebensfähig zeigen.» Die trotz ursprünglicher Widerstände einstimmig verabschiedete Resolution hielt fest, der Krieg sei «das Ergebnis der imperialistischen Politik der Grossmächte», und appellierte an die sozialistischen Parteien der übrigen neutralen Staaten, «die Grundlage für eine gemeinsame Aktion unter den am Kriege unbeteiligten, aber von seinen Wirkungen betroffenen Völkern gegen die Fortführung der furchtbaren Schlächterei» zu schaffen.

Wiederholt wurde behauptet, dass Lenins kurz zuvor entstandene Thesen über die «Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg» in Lugano diskutiert worden seien und die Resolution mitgeprägt hätten. Dies trifft nicht zu. Zwar hatte Lenin in Bern seine Thesen an Robert Grimm übergeben, in denen angesichts des «Verrats» der den Krieg unterstützenden Parteien der Aufbau einer neuen Internationale gefordert wurde, wobei «die Proletarier aller Länder gegen die Bourgeoisie aller Länder einen revolutionären Krieg führen» müssten. Gerade diese Kernaussagen hatten Grimm aber nicht überzeugt. Tatsächlich finden sie sich nicht in der Resolution von Lugano.

Am 5. Oktober 1914 orientierte die SPS die der Zweiten Internationale angeschlossenen Parteien über die Konferenz. Dabei erklärte sie ihre Bereitschaft, die «internationale Vermittlung» zwischen den sozialdemokratischen Parteien zu besorgen und im November eine Konferenz der Parteien aller neutralen Länder zu organisieren. Beides stiess auf Widerstand. Allmählich entstanden zwei konkurrierende Zentren, die auf unterschiedliche Weise die Wiederherstellung der Internationale anstrebten: Die niederländisch-skandinavische «Nordgruppe» setzte auf Parteien, die den diplomatischen Ausgleich zwischen den Kriegsanstrengungen ihrer Staaten unterstützten. Die aus der Konferenz von Lugano entstehende «Südgruppe» verstärkte dagegen die Vernetzung der Oppositionsgruppen, die gegen den Krieg Stellung bezogen. Höhepunkte ihrer Tätigkeit waren die Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kiental (April 1916). Sie waren geprägt von Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheit um Grimm und der «Zimmerwalder Linken» um Lenin, aus der schliesslich 1919 die Dritte, die Kommunistische Internationale hervorging.