Kultour

Nr. 48 –

Konzert

King Pepe & Le Rex

King Pepe ist der Nachbar aus dem oberen Stock, von dem man nicht recht weiss, was er den ganzen Tag über macht: Geht der tatsächlich zur Arbeit, wenn er das Haus verlässt? Einen anständigen Anzug trägt er ja. Aber zahlt der auch Steuern? Hat er eine Freundin? Und plötzlich kommt man abends in den Club, wo dieser Nachbar auf der Bühne steht und existenzialistische Lieder singt. Mal lakonisch, dann wieder komisch. Über die Gesellschaft, die Liebe und die Kunst. «Doof isch ändlos, Schönheit ender nid» – endlich sagts mal wieder einer! Und hält sich trotzdem für nichts Besonderes, versucht stattdessen täglich, seine eigene Spiessigkeit zu überwinden.

Grossartig das Klagelied, nicht nochmals in den Club zu gehen, lieber eine klare Suppe zu kochen und sich dann aufs Sofa zu legen – aber schon rufen Benedikt und Rico wieder an. Nochmals lässt sich Pepe überreden, steht auf der Bühne. Und um ihn herum spielt diese formidable Band namens Le Rex. Mit wohldosiertem Bläsereinsatz, irgendwo zwischen Jazz und Rumpelpop. Mal tanzbar, dann wieder klagend: «Gränn mer e Fluss», die berndeutsche Übertragung von Arthur Hamiltons «Cry me a River», ist der heimliche Hit auf dem neuen Album. «70 Prozent Wasser» heisst dieses, und natürlich ist das eine Untertreibung. Immer wieder erinnert Pepe an Stahlberger: Andere Stadt, anderer Dialekt, anderer Sound, aber ähnlich scharfe Beobachtungen aus der Ecke.

King Pepe & Le Rex: «70 Prozent Wasser». Plattentaufe in Bern Progr, Fr, 28. November, 
22 Uhr. Weitere Konzerte: Luzern Kleintheater, 
Di, 2. Dezember 2014; St. Gallen Palace, 
Do, 11. Dezember 2014; Zürich Moods, 
Fr, 12. Dezember 2014; Schaffhausen Kammgarn, 
Mi, 31. Dezember 2014. Das Album erscheint 
beim Verlag Der gesunde Menschenversand. 
www.kingpepe.ch

Kaspar Surber

Der Nino aus Wien

Die Mehrheit der Menschen mag den Sommer, und sie zeigt das auch gerne: mit wenig Kleidern und betont lässigem Blick. Für die Minderheit, die skeptisch in die Sonne blickt, ist es schwierig, auf Verständnis zu stossen. Jetzt hat sie endlich eine Hymne erhalten für ihren Zweifel an der Lässigkeit. «Am heissesten Tag des Sommers, wo ich meine Jacke ausziehen mag», singt darin ein junger Mann mit schleppender Stimme zu Gitarren und Tamburin. Denn er weiss, dass die Euphorie nicht lange anhalten wird. «Der Herbst ist schmeckbar, weil er etwa jedes Jahr zur selben Zeit kam. Und wenn er kommt, dann wirken alle plötzlich wieder einsam.»

Der Nino aus Wien, wie sich der Folksänger nennt, hat in der österreichischen Hauptstadt einige Bekanntheit erlangt. Mit anderen MusikerInnen rund um das Label Problembär Records hat er das sogenannte Wienerlied erneuert: Seit zwei Jahrhunderten wird in solchen Liedern der Alltag in Wien beschrieben, mal grantelnd, mal spöttisch, immer mit schwarzem Humor. Diesen Herbst hat Nino sein bisher bestes Werk veröffentlicht, ein Doppelalbum voller melancholisch abgründiger Songs: Der erste Teil, «Bäume», ist sparsam instrumentiert. Auf dem zweiten, «Träume», spielt er mit Band vorwärts. Wenn der Lyriker der Grossstadt nach Zürich kommt, tritt er am richtigen Ort auf: im Kellerclub Gonzo.

Der Nino aus Wien in: Zürich Gonzo, 
Fr, 28. November 2014, 21 Uhr. www.gonzoclub.ch

Kaspar Surber

Babyblues

Jennifer Yaa Akoto Kieck erobert unter dem Namen Y’akoto als Sängerin immer grössere Bühnen. Y’akotos Vater stammt aus Ghana, ihre Mutter aus Deutschland, und ihre Jugendzeit zwischen Ghana, Togo, Kamerun, dem Tschad und Hamburg prägt ihre Songs. 2011 erschienen vier Titel auf der Mini-CD «Tamba». Das titelgebende Stück erzählt vom Schicksal der Kindersoldaten in Afrika. Y’akotos Stimme ist brüchig, einfühlsam und geht unter die Haut. «Diamond» und «Talk to Me» sind wie «Truth» melancholisch angehauchte Songs, bei denen man auch mal glaubt, das Murmeln von Kinderstimmen zu vernehmen. Ein Jahr später erschien ihr Debüt «Babyblues». Ein Auftritt im Vorprogramm von Erykha Badu in Hamburg verschaffte ihr grosse Aufmerksamkeit, und Vergleiche mit Billie Holiday und Nina Simone wurden laut.

Musikalische Kategorien versagen, ihre Stimme ist aussergewöhnlich und berührt. Auf «In a War» singt sie: «I said I’m used to be alone / I give a damn. I can handle it». Das hat sie inzwischen gezeigt. Diesen Sommer veröffentlichte sie «Moody Blues», mit diesem Album ist sie jetzt auf Tour. Das Spektrum ist weiter geworden, Y’akoto gereift, die anfängliche Unsicherheit gewichen. Die Stimme ist glaubwürdig, wenn sie von Zweifel, Trost, Trauer und der Liebe singt. 

In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» erzählt Y’akoto, wie stark sie das Schicksal der Menschen berührt, die versuchen, auf unsicheren Booten nach Europa zu flüchten, und auf der Suche nach einem besseren Leben gegen die Grenzen der «Festung Europa» anrennen und wie Tausende dabei das Leben verlieren. Diesen Menschen hat sie den Song «Off the Boat» gewidmet, der auf «Moody Blues» zu hören ist, aber weit vor ihrem grossen Erfolg entstand.

Y’akoto «Moody Blues Tour» in: Zürich Kaufleuten, Mi, 3. Dezember 2014, 20 Uhr; Konstanz Stadttheater, Fr, 5. Dezember 2014, 20 Uhr. www.yakoto.de

Fredi Bosshard

Lesung

Franz Dobler

Im Weissen Hai: Darin sitzt der Protagonist von Franz Doblers Krimi «Ein Bulle im Zug». Doch der Hai ist kein Fisch, sondern der ICE. Und der Bulle ist momentan auch kein Bulle mehr, denn er wurde von seiner Arbeit suspendiert, weil er einen Jungen erschossen hatte. Die angebliche Waffe des Jungen, die der suspendierte Bulle Fallner gesehen haben will, wurde nie gefunden. Nun sitzt Fallner also im ICE und fährt mit der Bahncard 100 quer durchs Land – etwa zwei Drittel des Buchs sitzt er im Zug auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Doch je länger die Zugfahrt dauert, umso psychotischer wird er.

Dobler, der auch Country-Experte, DJ und Kolumnist ist, schreibt den Krimi in seiner ihm eigenen Sprache mit viel Sinn für Humor, Ekel und Eskalation. Live zu erleben ist der deutsche Autor mit seinem neuen Buch im Café Kairo in Bern.

Franz Dobler in: Bern Café Kairo, Do, 4. Dezember 2014, 20.30 Uhr. www.cafe-kairo.ch

Silvia Süess

CD-Taufe

Melinda Nadj Abonji und Balts Nill

Vor über 300 Jahren verurteilte das Gericht von Avers mehr als ein Dutzend Frauen wegen Beischlaf mit dem Teufel zum Tode. Eine davon war Trina Rüedi, deren Prozessakten in Fragmenten erhalten sind. Die Performerin und Autorin Melinda Nadj Abonji («Tauben fliegen auf») und der Multiinstrumentalist und Autor Balts Nill (ehemals Stiller Has) haben sich vor zwei Jahren in die Gerichtsprotokolle eingelesen und sich intensiv mit Trina Rüedis Verurteilung auseinandergesetzt. Daraus ist eine musikalisch-literarische Performance entstanden.

Auf ihrer gemeinsamen CD «Verhören», die dieser Tage erscheint, besingt Nadj Abonji die unheimlichen Ereignisse rund um die Hinrichtung. Nill und sie erzählen zu Klängen der Ukulele, zu Windgeräuschen und sanften Trommelschlägen, was damals geschah, und geben der als Hexe verurteilten Frau eine Stimme: «Fragen eines törichten Weibes: Warum verschwenden Sie Ihre Kraft an mir, warum verwenden Sie sie nicht darauf, den Teufel selbst zu fangen?»

«Verhören» ist eine spannende und anspruchsvolle musikalische und inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Stück Zeitgeschichte, das heute noch kaum aufgearbeitet ist. Man taucht in eine ganz eigene Atmosphäre ein, die die beiden KünstlerInnen mit Geräuschen und Worten schaffen. Ihre CD taufen Nadj Abonji und Nill im Rahmen des Unerhört-Festivals in Zürich, mit Unterstützung von Mich Gerber am Kontrabass. Vor ihrer Performance tritt der Schlagzeuger Julian Sartorius auf.

«Verhören»: Melinda Nadj Abonji, Balts Nill und Mich Gerber in: Zürich Theater Neumarkt, 
Sa, 29. November 2014, 15 Uhr. www.unerhoert.ch

Silvia Süess