Rechter Aufmarsch in Dresden: «Abendland – unbekannt verzogen»

Nr. 50 –

Rund 20 000 Menschen demonstrierten am Montag in Dresden gegeneinander. Die einen wollen das Abendland retten, die anderen eine offene und tolerante Gesellschaft.

Begonnen hatte alles Ende Oktober, zur Zeit der landesweiten Erinnerungsfeiern zum Mauerfall. An einem Montag versammelten sich – kaum beachtet – in Dresden rund 200 Menschen zu einem «Spaziergang», gerufen von den Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida). Hauptinitiant war Lutz Bachmann, 41-jähriger Inhaber einer Werbeagentur.

Sieben Wochen später, am Montag dieser Woche, steht der Wortführer am Mikrofon und spricht zu rund 10 000 TeilnehmerInnen einer Platzkundgebung, vorwiegend Männer. Einige tragen Deutschlandfahnen. Dazu – eingehüllt in Schals – Gruppen von jungen Männern, die sich wohl sonst im Fussballstadion treffen. Bachmann berichtet: Die Bürgermeisterin habe ihm im vergangenen Jahr eine Verdienstmedaille für seinen Einsatz bei der letzten Flutkatastrophe verliehen. Und da habe sich diese für seine Vergangenheit ja auch nicht interessiert. Er erhält Applaus.

Bachmann kann sich einen souveränen Umgang mit seinem Strafregisterauszug leisten, den die «Sächsische Zeitung» vor rund zwei Wochen nach einer akribischen Recherche veröffentlicht hat: zwei längere Gefängnisstrafen, die erste Mitte der neunziger Jahre ohne Bewährung (Einbrüche, mehrere Fälle von schwerem Diebstahl, Trunkenheit im Strassenverkehr, Anstiftung zur Falschaussage), die andere vor wenigen Jahren bedingt (Besitz von vierzig Gramm Kokain). Besonders pikant: Der Verurteilte hatte sich nach dem ersten Urteil durch Flucht nach Südafrika jahrelang dem Strafvollzug entzogen. Als sich das herumgesprochen hatte, fragte der Justizflüchtling beim folgenden «Spaziergang» vor einer Woche lautstark die Menge, ob sie ihn weiter dabei haben wolle. Sie wollte.

«Gruselkabinett des Hochverrats»

Auf solch schnelle Vergebung können weder Pegida-GegnerInnen (ob links oder bürgerlich) noch AsylbewerberInnen noch MuslimInnen hoffen. Auch die Medienschaffenden nicht. Die Pegida-Leute hatten die Empfehlung ausgegeben: «Kein Wort zu den Medien», diese würden nur Lügen verbreiten. Bachmann und sein «Orga-Team» lehnen Medienanfragen meist ab, ausser jener von Springers Boulevardblatt «Bild» und der Rechtsaussenpostille «Junge Freiheit». Aber auf die Presse ist Pegida auch nicht angewiesen. Die Gruppe mobilisiert die Leute über Facebook und hat inzwischen über 36 000 «Gefällt mir»-UnterstützerInnen. Facebook schloss – nach Interventionen – mehrmals die Seite und löschte auch viele Einträge, da sie rassistisch oder diffamierend waren. Für Pegida-AnhängerInnen ein weiterer Beweis für «gesteuerte Medien». Was auf der Pegida-Seite noch publik bleibt, ist schrecklich genug.

Am Montagabend redet Bachmann nur kurz und attackiert die GegnerInnen. «Chaoten» nennt er die rund 1200 SitzdemonstrantInnen, die eine Woche zuvor den Pegida-«Spaziergang» (rund 7000 Leute) zur Umkehr gezwungen hatten. In den vergangenen Tagen ist der Widerstand gegen Pegida vielfältiger geworden. So haben sich im Bündnis «Dresden für alle» die christlichen Kirchen, das Islamische Zentrum, die Jüdische Gemeinde, der Ausländerrat, die Aktionsgruppe Dresden Nazifrei, Studierendenräte und die Technische Universität zusammengeschlossen. Sie alle riefen für den Montagabend zu einem Sternmarsch auf, der von sechs Sammelorten ausging und der die knapp 10 000 GegendemonstrantInnen zu einer zentralen Kundgebung vor dem Rathaus führte – rund 200 Meter von der Pegida-Veranstaltung entfernt.

Ein «Dresden für alle»-Mitglied, das die Gegendemonstration angemeldet hatte, habe, so berichteten lokale Medien, ehrverletzende Zuschriften und eine Morddrohung erhalten.

Auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und Vizeregierungschef Martin Dulig (SPD) hatten zur Teilnahme aufgerufen – ebenso Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), die gleichzeitig betonte, dass sie es unterstütze, wenn «Bürgerinnen und Bürger deutlich machen, dass Zuwanderung und Asylpolitik nicht nur zu Ängsten und Vorbehalten führen, sondern dass es auch viele Beispiele für eine echte Willkommenskultur gibt». Die Bürgermeisterin hat vor kurzem ihren Rücktritt angekündigt; an der Abschlussversammlung sprach ihr mutmasslicher CDU-Nachfolger, der heutige sächsische Innenminister Markus Ulbig. Ulbig hatte noch vor kurzem zur Beruhigung der Pegida-Bewegung vorgeschlagen, man müsse jetzt eben eine Taskforce gegen kriminelle Flüchtlinge bilden. Der viel beachtete islamophobe Blog «Politically Incorrect» bezeichnete alle GegnerInnen anderntags als «ein Gruselkabinett des Hochverrats», man müsse sich deren Namen merken.

Unterstützung von PolitikerInnen der grossen Parteien hat Pegida bis anhin nicht erhalten, ausser von der Alternative für Deutschland (AfD) und – wenig überraschend – von der rechtsextremen NPD. Die AfD-Spitze schwieg lange zu Pegida, obwohl ein Teil ihrer Basis den muslimfeindlichen Montagskundgebungen gewogen war. In den vergangenen Tagen bekundeten nun allerdings mehrere AfD-ExponentInnen Sympathien, zuerst Frauke Petry, eine von drei ParteisprecherInnen und Vorsitzende der AfD in Sachsen. Es sei das gute Recht aller BürgerInnen, ihr Anliegen friedlich auf die Strasse zu tragen. «Blockaden dagegen» seien «Straftaten, die von der Polizei konsequent unterbunden werden müssen». Noch weiter gingen am Dienstag dieser Woche AfD-Chef Bernd Lucke und dessen Sprecher Konrad Adam. «Ja, die europäische Kultur ist bedroht», sagte Adam gegenüber dem Nachrichtensender n-tv und fügte hinzu, es gebe «im Islam gewisse Tendenzen, die mit der Menschenrechtserklärung der Uno nicht ohne weiteres vereinbar» seien. Als einzigen Beleg nannte er den konservativen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Bis nächsten Montag

Man sieht an der Kundgebung weder Parteifahnen noch politische Flugblätter. Die zweite Pegida-Sprecherin tritt ohne Namen auf. Die blonde Frau sagt, dass man die «Tausende von Demonstranten von Dresden nicht als Nazis oder als Rassisten» bezeichnen dürfe. Was sie denn genau seien, sagt die Sprecherin allerdings nicht. Sie liest aus einem Brief eines Gemeindevertreters vor, der sich gegen eine Asylunterkunft in seiner Kommune wehrt und dabei auch von «kriminellen Asylbewerbern» schreibt. Die Menge klatscht und johlt.

Wie bei einigen früheren «Spaziergängen» spricht noch ein Holländer namens «Edwin». Er schildert Horrorszenarien, die in einigen holländischen Städten gang und gäbe sein sollen. Die Menge johlt und pfeift. Er behauptet, dass in Holland «90 bis 95 Prozent der Flüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge» seien, und rechnet dann vor, wie viel Geld man sparen könnte, wenn man in Deutschland diese «90 bis 95 Prozent» gleich abschieben würde. Und: «Diese Leute bringen Ärger. Wer bezahlt das?» Und dann: «Wer als Zuwanderer keine Lust hat, hier mitzuhelfen, der soll wieder nach Hause gehen.» Die Menge johlt.

Dann schliesst Bachmann die Kundgebung, bis zum nächsten Montag. Sie soll noch einmal grösser werden. Jeder solle einen mitbringen, fordert er. Sie seien, behauptet Bachmann, «für Heimat und Vaterland. Für Dresden, für ihre Familien und ihr Land». Und weiter: «Dresden zeigt, wies geht!» Zum Schluss skandierte die Menge nochmals: «Wir sind das Volk.»

Doch eine Fernwirkung blieb bisher weitgehend aus, auch wenn sich Gruppen aus Bayern (Bagida), aus Kassel (Kagida) und Ostfriesland (Ogida) meldeten. Anders als in Dresden stiessen sie – sofern sie öffentlich auftraten – von Anfang an auf engagierten Widerspruch. Am vergangenen Montag war in Kassel eine Kagida-Demo gegen eine grössere Gegendemo untergegangen. Ebenso diese Woche in Düsseldorf, wo sich dem Dügida-Aufruf auch rechtsextreme Parteien angeschlossen hatten. Es kamen rund 1100 Pegida-GegnerInnen, hingegen nur 400 statt der erwarteten 2000 Rechten und Rechtsaussen. Erstmals trat dort ein lokaler AfD-Politiker öffentlich für eine Pegida-Gruppe auf. Und die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa), um die es nach der Kölner Strassenschlacht im Oktober und der Kundgebung in Hannover (November) still geworden ist, haben jetzt auf ihrer Website weitere Aktionen angekündigt – für den Februar eine «nächste Demonstration im Raum Osten», «danach folgt der Süden im April».

Christstollen in Gefahr

Nach Bachmanns Schlussworten löst sich die Dresdner Pegida-Kundgebung auf. Junge Männer gehen in Gruppen auf die GegendemonstrantInnen los. Das Bündnis hatte 2000 Menschen erwartet, gegen 10 000 sind gekommen. Die Versammlung ist noch in Gang, besonders laut tönen die Verstärker von Dresden Nazifrei. PolizistInnen in Kampfmontur stellen sich den aggressiven Rechten entgegen, Feuerwerkskörper fliegen durch die Luft, die Polizei nimmt drei Demonstranten kurzzeitig fest.

Später kehren die AktivistInnen von Dresden Nazifrei, die sich zu einer Spontandemo aufgemacht hatten, an den Ausgangspunkt zurück. Es ist ein langer Zug, wohl 2000 bis 3000 Leute, unter ihnen auch einige mit einem Plakat in Weltformat. «Abendland – unbekannt verzogen» steht darauf. In der Tat: Die Pegida-Leute berufen sich zwar auf das «Abendland», manchmal sogar auf das «christlich-jüdische», auf die Aufklärung und den Grundsatz der gleichen Rechte. Allerdings beanspruchen sie das nur für sich und ihresgleichen.

Bachmann hatte dies in seiner Ansprache vor einer Woche klar formuliert. Zuerst behauptete er, dass es «zu viele Beispiele» gebe, «die die Islamisierung belegen», dann liess er antönen, dass Weihnachtsmärkte, Christstollen und die Weihnachtsbäume in den Strassen gefährdet seien. Und schliesslich bekräftigte er den Herr-im-Haus-Anspruch, der die Pegida-Leute antreibt: «Wir sind doch Gastgeber und sollten die Tischregeln bestimmen.» Er anerkenne zwar, dass es «ein grundgesetzlich verbrieftes Recht auf freie Religionsausübung» gebe, um dieses Recht gleich zu relativieren: Was nun aber «in unserem Land» ablaufe, sagte er, könne «nicht im Sinn der Erfinder dieser Gesetze sein».

Umkämpftes Dresden

Die Pegida-Aufmärsche sind nicht die ersten Manifestationen von rechts in Dresden. Ab 1998 nutzten Neonazis immer wieder die Erinnerung an die Bombardierung Dresdens 1945 für ihre Machtdemonstrationen, stiessen aber zunehmend auf Widerstand von links.

2010 und 2011 blockierten Antifa-Gruppen wie Dresden Nazifrei den Zug der Rechten; im Februar 2011 kam es dabei zu Strassenschlachten – für die die sächsischen Ermittlungsbehörden allein die NazigegnerInnen verantwortlich machten. Sie durchsuchten die Büros der Partei Die Linke, dann die Dienstwohnung des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König und stellten Jahre später den angeblichen Rädelsführer Tim H. vor Gericht.

Tim H. wurde Anfang des Jahres 2013 zur «Abschreckung», so der Tenor des Urteils, zu einem Jahr und zehn Monaten Haft unbedingt verurteilt, obwohl ihm keine Schuld nachgewiesen werden konnte. Das Verfahren wird jetzt wieder aufgerollt. Den Prozess gegen König musste die Staatsanwaltschaft im November 2014 einstellen: Die Verteidigung konnte belegen, dass die Behörden einseitig ermittelt und Beweismittel unterdrückt hatten.

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