Karikatur im arabischen Raum: Rücksicht in Gottes Namen

Nr. 3 –

KarikaturistInnen im arabischen Raum lassen lieber die Finger von der Religion. Schon politische Zeichnungen können lebensgefährlich sein.

Es geschah am 22. Juli 1987 gegen 17 Uhr. Naji al-Ali hatte Feierabend und verliess sein Büro in der kuwaitischen Tageszeitung «al-Qabas» im Südwesten Londons. Vor dem Haus wurde er von zwei jungen Männern von mediterranem Aussehen aufgehalten und in den Kopf geschossen. Bewusstlos wurde er ins Spital gebracht; er verstarb fünf Wochen später, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Naji al-Ali war damals der wohl populärste Karikaturist der arabischen Welt. Er sei das, so schrieb die britische Tageszeitung «The Guardian» ein paar Jahre vor seinem Tod, was einer «arabischen öffentlichen Meinung am nächsten kommt». Der Palästinenser Naji al-Ali wurde im Jahr 1948 aus der Gegend von Nazareth in den Libanon vertrieben und wuchs im Flüchtlingslager Ain al-Helweh in der Nähe von Sidon auf. In Tausenden von Zeichnungen befasste er sich vor allem mit dem Palästinaproblem. Dabei nahm er nicht nur Israel und die USA ins Visier, sondern auch die arabischen Regimes und die palästinensischen Funktionäre.

Daher hatten Naji al-Ali und seine Zeichnungen nicht nur viele AnhängerInnen, sondern auch verbissene Feinde. Es wurde nie klar, wer hinter dem Mord von London steckte – verurteilt wurde niemand. Verdächtigt wurden immerhin zwei Doppelagenten, die sowohl für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) wie auch für den israelischen Geheimdienst Mossad arbeiteten. Dieser wusste jedenfalls im Voraus vom Anschlag – weil er die britischen Behörden nicht informierte, verwies die damalige Premierministerin Margaret Thatcher drei israelische Diplomaten des Landes.

Wenn Religion allgegenwärtig ist

Jesus-Karikaturen gehörten kaum zu Naji al-Alis Programm, und wenn, dann in vereinnahmendem Sinn: Jesus als Palästinenser, der vom Kreuz aus einen Stein wirft oder den symbolischen Schlüssel des verlorenen Hauses um den Hals trägt. In dieser Gegend, Wiege und Wohnstatt vieler Religionen, sind religiöse Gefühle zu allgegenwärtig und zu konfliktträchtig, als dass damit Schabernack getrieben würde. So rühmt zwar Joseph Moukarzel, Herausgeber der libanesischen Satirezeitschrift «al-Dabbour» (Hornisse), die relativ grosse Pressefreiheit in seinem Land und verurteilt Selbstzensur. Gleichzeitig gibt er zu bedenken: «In einem Land wie dem unseren, wo religiöse Spannungen allgegenwärtig sind, dürfen wir uns nicht als über diesen Konflikten stehend wähnen und religiöse Texte kritisieren.»

Also hält man sich lieber an politische Figuren: «Davon gibt es hier ja genug», sagt Stavro Jabra, ein libanesischer Zeichner und Fotograf. Auch er gibt zu: «Manchmal ertappe ich mich bei einer Art Selbstbeschränkung – dann nehmen wohl die arabische und die libanesische Sensibilität in solchen Dingen überhand.»

Die Region mag als fanatisch-religiös erscheinen, doch religiöse Sensibilität ist in den multikonfessionellen Gesellschaften des Nahen Ostens Norm. Wo immer wieder Filme der religiösen Zensur zum Opfer fallen, wo ein Laden auch mal dichtmachen muss, weil er Flipflops mit Kreuzen auf den Sohlen verkauft, wo antireligiöse Äusserungen mit Bussen und Gefängnis bestraft werden – da herrscht zwar nicht Toleranz, aber da wird allseitig Rücksicht gefordert und in Gottes Namen halt auch geübt. Nur extremistische FanatikerInnen wollen in dieser Gegend einen «islamischen», «christlichen» oder «jüdischen» Staat gründen.

Medienschaffende leben gefährlich

Wird auf religiösem Gebiet ein knarziges Nebeneinander gelebt, gilt dies kaum für die Politik. Die Mordserie an Politikern hat im Libanon auch nach dem Ende des Bürgerkriegs nicht aufgehört – dasselbe gilt für Journalisten. 1966 wurde Kamel Mroueh, Gründer der Zeitung «al-Hayat», erschossen; im Jahr 1980 wurden Riad Taha und Salim Lawzi, zwei Publizisten und Zeitschriftengründer, ermordet; der kommunistische Professor, Journalist und Autor Hassan Hamdan alias Mahdi Amel wurde 1987 ermordet; 2005 waren die Journalisten Samir Kassir und Gebran Tueni an der Reihe.

Lebensgefährlich schien bei mehreren von ihnen ihre antisyrische Haltung gewesen zu sein. In Syrien selber begann der Karikaturist Ali al-Farsat nach Beginn der Aufstände im Frühling 2011 damit, den Repräsentanten des Regimes nicht nur Uniformen, sondern ein Gesicht zu geben: jenes von Baschar al-Assad. Im August 2011 wurde er mitten in der Stadt von drei maskierten Männern aus seinem Auto gezerrt. Er wurde blutend und mit mehrfach gebrochenen Händen und Fingern aufgefunden. Er hat überlebt, lebt im Exil, zeichnet wieder und sagt: «Sie waren hinter mir her – offensichtlich haben Zeichnungen Macht.»