Ägypten: Mit Antiterrorgesetzen gegen missliebige Meinungen

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Das ägyptische Regime geht verstärkt gegen AktivistInnen aller Richtungen vor. Um die Netzfreiheit massiv einzuschränken, greift das Innenministerium gerne auf westliche Spionagesoftware zurück. Von Sofian Philip Naceur, Kairo

Seit den beiden Terroranschlägen in Paris werden in Europa Forderungen laut, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszuweiten. So setzte die deutsche Regierung die umstrittene Vorratsdatenspeicherung wieder auf die Tagesordnung. In Frankreich ist eine ähnliche Regelung bereits in Kraft, ohne dass die Anschläge in Paris deswegen verhindert werden konnten. Derweil zeigt das Beispiel Ägypten, wie ein Staat, der seine Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung stark ausgeweitet hat, diese missbrauchen kann.

Vier Jahre nach der ägyptischen Rebellion setzt das restaurierte Regime die islamistische und die linksliberale Opposition immer stärker unter Druck. Zuletzt intensivierte Ägyptens Innenministerium die Überwachung sozialer Medien wie Facebook und Twitter unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfs. Offiziell will es die Kommunikation terroristischer Gruppen ausspähen und so Anschläge verhindern. Darüber hinaus erklärt das Regime nun aber praktisch jede Form der Regierungskritik zur staatsfeindlichen Handlung und hat so der Meinungsfreiheit den Kampf angesagt.

Blasphemie und Terror

2013 gingen Behörden zunächst noch verhalten gegen Oppositionelle vor, die sich auf Facebook regimekritisch äusserten oder zu Protesten aufriefen. Doch seit November 2014 fährt das von Hardliner Muhammad Ibrahim geführte Innenministerium einen harten Kurs und lässt verstärkt AktivistInnen aller politischen Lager wegen Aussagen in sozialen Medien strafrechtlich verfolgen. Im Visier der Behörde ist dabei vor allem Facebook, schliesslich nutzen sowohl das islamistische als auch das linksliberale Lager die in Ägypten äusserst populäre Kommunikationsplattform für die Koordination ihrer Proteste.

Ein letzten Sommer durchgesickertes Dokument zeigt das volle Ausmass der Überwachungspläne der Staatsführung auf: Demnach sollen Facebook und Smartphone-Apps systematisch erfasst werden. Der «Antiterrorkampf» rechtfertigt demnach auch das Ausspionieren von Aufrufen zu Streiks und Protesten – wie auch das Ahnden von «Blasphemie» und «unmoralischem Verhalten».

Willkürliche Verhaftungen

Die Auswirkungen dieser «Sicherheitspolitik» sind bereits sichtbar. Ende November berichtete die ägyptische Zeitung «al-Shuruq» von fast 900 gesperrten Facebook-Seiten und 341 Verhaftungen. Den Verdächtigen wird vorgeworfen, zu Gewalt aufgerufen zu haben und terroristischen Gruppen anzugehören. In anderen Fällen laufen Anklagen wegen der Verbreitung von Falschinformationen, des Missbrauchs sozialer Medien oder Aufrufen zur Teilnahme an illegalen Demonstrationen.

Der Fall Karam Zakaria, Aktivist der liberalen Bewegung des 6. April, die zu den InitiantInnen der Rebellion von 2011 gehörte, zeigt, wie willkürlich die Behörden agieren. Zakaria wurde im Dezember verhaftet und sass zwei Wochen in Untersuchungshaft, weil er eine regierungskritische Facebook-Seite geliked hatte. Seine Anwälte gehen zwar von einem Freispruch aus, monieren aber die Umstände der Verhaftung. Auf dem Haftbefehl sei nicht sein Name gestanden, sondern nur eine IP-Adresse. Die Liste derartig willkürlicher Fälle aus dem linksliberalen, aber auch dem islamistischen politischen Spektrum ist lang und wird derzeit immer länger. Denn am Vorabend des vierten Jahrestags der Rebellion am 25. Januar intensivieren die Behörden ihre Zugriffe auf Menschen, die in sozialen Netzwerken Regimekritik üben.

Juristische Grundlage für Ägyptens repressive Netzpolitik sind das restriktive Protestgesetz und die Antiterrorgesetze. Menschenrechtlerinnen und Anwälte hatten immer wieder die unpräzise Terminologie in den Gesetzestexten kritisiert. Bei den Antiterrorgesetzen betrifft dies vor allem die vage Definition von «Terrorismus», die oft derart weit gefasst sei, dass eine willkürliche Auslegung gefördert werde. In der Tat gehen Ägyptens Exekutive und Judikative überaus kreativ mit dem Begriff um und interpretieren Aufrufe, an nicht genehmigten Protesten teilzunehmen, oft als Aufforderung, den Staat anzugreifen – und setzen solche Aufrufe mit Terrorismus gleich.

Spionagesoftware aus Europa

Für Diskussionsstoff sorgt in Ägypten die im Juni bekannt gewordene Ausschreibung des Innenministeriums zum Kauf neuer Spionagesoftware. Wie das US-Medienportal Buzzfeed ausführt, hatten sich neben dem britisch-deutschen Gamma-Konzern zwei US-amerikanische Unternehmen um das lukrative Geschäft beworben. Der kalifornische Spyware-Hersteller Blue Coat bekam schliesslich den Zuschlag. Auch wenn unklar bleibt, ob Ägypten die Blue-Coat-Software bereits anwendet, setzt die Regierung den letzten noch verbliebenen Raum für freie Meinungsäusserung weiter stark unter Druck.

Der Gamma-Konzern, der auch einen Sitz in der Schweiz hat, geriet bereits 2011 in die Schlagzeilen, nachdem Demonstrierende den Sitz des gefürchteten Staatssicherheitsdiensts in Kairo stürmten und eine Gamma-Verkaufsofferte im Wert von fast 300 000 Euro fanden. Die Firma muss sich derzeit in Britannien wegen des Exports von Spionagesoftware nach Bahrain rechtfertigen (siehe WOZ Nr. 38/2014 ). Auch in Frankreich steht die Branche unter Druck. Im Oktober 2011 reichten Menschenrechtsgruppen in Frankreich eine Klage gegen Amesys ein: Weil das französische Unternehmen seit 2007 Überwachungssoftware nach Libyen geliefert hat, habe es sich der Beihilfe zur Folter schuldig gemacht. Ein ähnliches Ermittlungsverfahren gegen die französische Firma Qosmos – wegen Beihilfe zur Folter in Syrien – wurde im April 2014 formell bewilligt.

Die EU hat mittlerweile reagiert und zum 1. Januar 2015 die Exportbeschränkungen für diese Technologien ausgeweitet. Wie unzureichend der Handel mit Spyware bisher geregelt war, geht aus der Antwort der deutschen Regierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag hervor: Demnach hat Berlin in den letzten zehn Jahren deutschen Firmen Ausfuhrlizenzen für Überwachungstechnik für mindestens 25 Staaten erteilt, von denen viele EU-Menschenrechtsstandards massiv verletzen. Allerdings ist fraglich, wie die neuen EU-Exportrestriktionen in der Praxis umgesetzt werden und wie wirksam sie wirklich sind – schliesslich setzt die EU an anderer Stelle ihre Kooperation mit autoritären Regimes konsequent fort.

Zudem sind die Hersteller bereits bestens auf Exportrestriktionen vorbereitet: Gamma unterhält Briefkastenfirmen auf den britischen Virgin Islands, um unbequeme Exporthindernisse zu umgehen; auch andere Spionagesoftware-Hersteller haben internationale Tochterfirmen gegründet, um ihre Kooperation mit umstrittenen Geschäftspartnern zu verschleiern und ihr Geschäftsmodell zu verteidigen. Das ägyptische Regime kann also weiterhin mithilfe modernster Überwachungstechnik die Opposition verfolgen.

Überwachungsexport

In den vergangenen Jahren ist in Europa eine regelrechte Überwachungsindustrie entstanden – besonders in Deutschland, Frankreich, Italien und in der Schweiz.

Von 2013 bis Juni 2014 exportierte eine Handvoll Schweizer Unternehmen für 18,7 Millionen Franken sogenannte Imsi-Catcher, mit denen sich HandynutzerInnen überwachen lassen. Zum Vergleich: Deutschland bewilligte 2012 und 2013 entsprechende Exporte in der Höhe von rund 4 Millionen Franken.