Kultour

Nr. 4 –

Theater

Panik

Es beginnt meist schleichend: Namen entfallen einem, man findet den Heimweg plötzlich nicht mehr, und ganz alltägliche Handlungen wie das Schuheanziehen werden zu Herausforderungen. Demenz ist eine fiese Krankheit: Hinterhältig schleicht sie sich an und macht aus den Menschen andere Personen. Seit längerem widmen sich Bücher, Filme sowie Theaterstücke der Demenzkrankheit, die auch «die Pest des 21. Jahrhunderts» genannt wird.

Arno Geiger schreibt in seinem wunderschönen 2011 erschienenen Buch «Der alte König in seinem Exil» über seinen demenzkranken Vater: «Ich erkläre es mir so, dass ein an Demenz erkrankter Mensch aufgrund seiner inneren Zerrüttung das Gefühl der Geborgenheit verloren hat und sich an einen Platz sehnt, an dem er diese Geborgenheit wieder erfährt. Da jedoch das Gefühl der Irritation auch an den vertrautesten Orten nicht vergeht, scheidet selbst das Bett als mögliches Zuhause aus.»

Die Performancegruppe Ultra beschäftigt sich in ihrem Stück «Panik» ebenfalls mit dem Thema. Im Zentrum stehen die demenzkranke Grossmutter und die Panik der Enkelin, dass die gemeinsame Zeit davonläuft. Wie verhält man sich einem Menschen gegenüber, der sich nicht mehr daran erinnert, welcher Tag ist? Der nach Worten und Namen sucht und sie nicht findet?

Ultra, das sind Nina Langensand, Thomas Köppel, Martin Bieri, Orpheo Carcano und Susanne Vonarburg. Und zum ersten Mal an einer Theaterproduktion beteiligt ist in diesem Stück auch die 86-jährige Alice Bollier-Plüss.

«Panik» in: Luzern Südpol, Fr/ Sa, 23./24. Januar 2015, 20 Uhr, So, 25. Januar 2015, 17 Uhr. Am Samstag 
findet im Anschluss an das Theater ein Konzert 
von The Dead Brothers statt. www.sudpol.ch

Silvia Süess

Saubers Verschwinden

Köln 1975. Zwei Jahre bevor sich der Deutsche Herbst übers Land senkt, schiesst ein Zürcher Filmemacher um sich, ehe er durch Polizeikugeln stirbt. Sein Bruder baut derweil Rennautos und wird später, viel später als «Schweizer des Jahres» geehrt. Das ist der Rennstallbesitzer Peter Sauber, aber um ihn geht es hier nicht. Sondern eben um seinen jüngeren Bruder Philip Werner Sauber, der nach Berlin ging, um Film zu studieren. Neben dem späteren RAF-Mitglied Holger Meins lernt er dort auch die Studentin Ulrike Edschmid kennen, mit der er für ein paar Jahre das Leben teilt. Sie wohnen in einer Fabrik in Schöneberg, sie proben neue Formen des Zusammenlebens, sie kämpfen für die «Kunst als Waffe» – bis die beiden, nach einem Monat im Gefängnis, bald unterschiedliche Richtungen einschlagen.

Ein halbes Leben später erst hat die Schriftstellerin Ulrike Edschmid («Frau mit Waffe», 1996) die Sperrzone ihrer Erinnerung wieder betreten, in ihrem Roman «Das Verschwinden des Philip S.» (2013). Es ist ein literarischer Bericht über eine zusehends klandestine Liebe, die an ihr Ende kommt, als der Mann mit der «Bewegung 2. Juni» in den bewaffneten Untergrund abtaucht. Regisseur Stephan Roppel hat den literarischen Bericht für die Bühne bearbeitet und bringt das Stück nun in Saubers Geburtsstadt im Theater Winkelwiese zur Uraufführung. Auf der Bühne kämpfen Sebastian Krähenbühl und Vivianne Mösli um eine Liebe, die von den politischen Fliehkräften jener Zeit zerrissen wird.

«Das Verschwinden des Philip S.» in: 
Zürich Theater Winkelwiese, Mi, 28. Januar 2015, 20.30 Uhr (Premiere). Weitere Aufführungen 
bis 28. Februar 2015. www.winkelwiese.ch

Florian Keller

Festival

Adieu, Perla-Mode!

Der Countdown läuft: Zehn Tage noch dauert es bei Erscheinen dieser WOZ, dann schreitet die unerbittliche Aufhübschung der Zürcher Langstrasse ein weiteres Schrittchen voran. Nach acht Jahren muss der freie Kunstraum im Perla-Mode endgültig schliessen; das alte Eckhaus wird abgerissen, an seiner Stelle sollen Mietwohnungen und ein freichristlich-fleischloses Restaurant entstehen. Das ist gelebte Gentrifizierung: Das Hipsterpublikum darf bleiben, bloss dass es sich hier künftig nicht mehr mit Kunst versorgt, sondern mit vegetarischem Essen.

Bis zum Abbruch aber schmeisst die Gruppe Friction, die die Zwischennutzung von Esther Eppstein übernommen hat, noch ein Abschiedsfestival. Dieses steht unter dem trotzig-romantischen Motto «Always and Forever», es gibt Theater und Performancekunst, einen Abend mit musikalischen Experimenten, und der Cine-Club verabschiedet sich im Vorwärtsgang bei gelegentlich aufflackernder Schönheit: Wir sprechen von Jonas Mekas und seinem über fünfstündigen Heimvideo «As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty». Hier im Filmklub im Perla-Mode hat übrigens auch der Dokumentarfilm über Christian Schocher, der an den diesjährigen Solothurner Filmtagen läuft, seinen Anfang genommen (vgl. Filmbeilage ).

«Always and Forever» in: Zürich Perla-Mode, Brauerstrasse 37. Bis 31. Januar 2015. www.friction.ch

Florian Keller