Rohstoffe: Wenn Erde auf Reisen geht

Nr. 5 –

In Malaysia ist eine riesige Ökobewegung entstanden, die ein australisches Bergbauunternehmen bekämpft. Dieses baut Seltene Erden in Australien ab und raffiniert das Material in Malaysia – mit drastischen Folgen für Mensch und Umwelt. Doch ein Teil der Bewegung lässt sich politisch vereinnahmen.

  • Auch das Handy des Aktivisten enthält Seltene Erden: Tan Bun Teet, Chairman der Umweltbewegung «Save Malaysia, Stop Lynas!», beim Abwasserausfluss der Lynas-Fabrik in Kuantan, Malaysia.
  • Das Gelände der Lynas-Fabrik in Kuantan mit den Abwasserbecken.
  • Das Gelände der benachbarten petrochemischen Anlage der BASF.
  • An der Mündung des Kuantan ins Südchinesische Meer.
  • Der Industriehafen von Kuantan. Hier erreichen die Seltenen Erden vom Mount Weld in Australien das malaysische Festland.
  • Vor einer Verhandlung beim obersten Gericht von Kuantan in Indera Mahkota diskutiert Himpunan-Hijau-Anwalt Hon Kai Ping mit Aktivisten.
  • Tausende Kilometer unterwegs. Karte: WOZ

Die fernen Lastkräne verschwimmen scheinbar nahtlos mit den Aufbauten der hell erleuchteten Hochseefrachter, die im malaysischen Industriehafen Kuantan festgemacht haben. Näher kommen wir nicht heran. Ein drei Meter hoher Zaun mit Stacheldrahtkrone hält ungebetene BesucherInnen fern, darunter auch Leute wie Tan Bun Teet, ein Umweltaktivist. Tan ist gegen das australische Bergbauunternehmen Lynas angetreten, dessen Schiffe hier ihre Fracht löschen. «Man muss Glück haben, eines zu sehen», sagt er. «Die Ankunftszeiten sind geheim.»

Das Erzkonzentrat, das hier ausgeladen wird, hat eine lange Reise hinter sich. Die Container enthalten ausgebaggerten, pulverisierten Schutt vom 6000 Kilometer entfernten Mount Weld in der westaustralischen Wüste. Ihr Ziel: die ausserhalb von Kuantan gelegene Raffinerie von Lynas. Dort werden unter Einsatz ätzender Säuren wertvolle Rohstoffe gewonnen: Metalle der Seltenen Erden, meist verkürzt «Seltene Erden» genannt.

Auf dem Hafengelände transportiert, scheinbar führerlos, ein zwölfachsiger Unterbau schwere Lasten über den rötlichen Sandboden. Das Monstrum wird von einem Mann mit einer umgehängten Fernsteuerung in der Grösse eines Gettoblasters gefahren – der Traum eines jeden Modellbaufreaks.

Doch der Traum von Tan Bun Teet ist ein anderer: «Lynas stoppen, um Malaysia zu retten.» Der leise auftretende, stets höfliche 66-Jährige, der der chinesischstämmigen Minderheit Malaysias angehört, zückt sein Smartphone für einen Schnappschuss. Darin verbaut: Thulium und Ytterbium, wahre Wundermetalle aus Seltenen Erden, die etwa Touchscreens die elektrische Leitfähigkeit verleihen.

«Auch mein Alltag wäre ohne Seltene Erden nicht vorstellbar», sagt Tan Bun Teet. Ohne sie gäbe es weder Unterhaltungselektronik noch Green Technology. Windturbinen würden sich zwar drehen, aber ihr Wirkungsgrad wäre zu klein. Es gäbe keine Hybrid- und Elektroautos, Solarpanels, Sparlampen, Fahrzeugkatalysatoren. Tausende Tonnen Lithium werden jährlich zudem für die Glas- und Keramikproduktion eingeschmolzen.

Malaysias Grüne sehen rot

«Wir protestieren nicht gegen die Produktion von Seltenen Erden», sagt Tan Bun Teet. «Wir protestieren, weil Lynas eine Raffinerie hier hinstellte, ohne vorher die lokale Bevölkerung zu konsultieren. Die Fabrik steht auf zurückgewonnenem Sumpfland, das Jahr für Jahr während des Monsuns überflutet wird. Und die Lagerung der giftigen und radioaktiven Abfälle ist nicht sicher.»

Am Anfang stand ein kleines Grüppchen besorgter AnwohnerInnen, das im März 2011 über die «New York Times» erfuhr, dass an Malaysias Ostküste eine riesige Seltene-Erden-Aufbereitungsanlage geplant wurde. «Weshalb tut ihr das nicht bei euch in Australien?», wagten sie Lynas und dessen Fürsprecher in Malaysias Politik zu fragen. Sie wurden ignoriert. Heute ist das anders: Aus der Gruppe entwickelte sich die professionelle und international vernetzte Protestbewegung «Save Malaysia, Stop Lynas!» (SMSL), deren Vorsitzender Tan But Teet ist.

Von der SMSL spaltete sich schliesslich eine noch mächtigere Organisation ab: Himpunan Hijau (Grüne Versammlung), eine für Malaysia einzigartige Volksbewegung mit 1,2 Millionen Beteiligten. Unter ihren Protestrufen erzittert seit dem Frühjahr 2012 nicht nur das Management von Lynas, sondern die ganze malaysische Regierung. Über sämtliche digitalen Kanäle bestens vernetzt, bringt Himpunan Hijau für spontane Protestmärsche jederzeit Zehntausende auf die Strasse. Im «Krieg» gegen den übermächtigen australischen Rohstoffgiganten Lynas mit seinem blutroten Emblem flogen den Massen in neongrünen T-Shirts die Sympathien zu. Längst werden sie auch von Oppositionsparteien als Störtruppe gegen die Regierung eingesetzt. Doch davon später.

Ein Unternehmen in Bedrängnis

Die massiven, jahrelangen Proteste verzögerten die Pläne von Lynas. Das Unternehmen, das neben dem Erzabbau in Australien und der Raffinerie in Malaysia kein anderes Standbein hat, geriet an den Rand des Ruins. Wahrscheinlich war dazu die Bewegung weniger entscheidend als die Unfähigkeit des Lynas-Managements und die sprunghaften Entwicklungen im globalen Markt der Seltenen Erden. Jedenfalls erhielt Lynas erst im letzten September die definitive Bewilligung zum Betrieb der Anlage – nachdem das Unternehmen (Börsenwert knapp 200 Millionen australische Dollar) rund eine Milliarde australische Dollar investiert und sich stark verschuldet hatte. Da die Weltmarktpreise für Seltene Erden inzwischen stark gesunken sind, ist das Überleben von Lynas ungewiss (vgl. «Ein seltsamer Markt» im Anschluss an diesen Text).

Aber warum in aller Welt wird die Erde nicht in Australien selbst verarbeitet, sondern in Säcke gefüllt, in Container verpackt, auf Lkws verladen, auf Hochseefrachter umgeladen, 6000 Kilometer noch Norden transportiert, erneut auf Lkws verladen – gegen den Willen einer zornigen Bevölkerung in Malaysia? Vielleicht bringt da ein Besuch am Lynas-Sitz in Kuala Lumpurs futuristischem Zentrum mehr Klarheit. Man hat sich bereits per E-Mail entschuldigt, dass die neue Lynas-Chefin, Amanda Lacaze, keine Zeit für ein Interview habe. Für eine Werkbesichtigung fehle voraussichtlich leider die erforderliche Begleitung. Man werde sehen, man tue sein Bestes.

Luqman Harith, der Kommunikationschef in Malaysia, startet sein Notebook. «Vierzig Tage dauert der Prozess, um aus Australiens Seltenen Erden die begehrtesten Rohstoffe der Welt zu gewinnen», eröffnet Luqman seine Powerpoint-Präsentation. Aber eben, warum geht all das nicht auch in Australien? Die Antwort hat Luqman schon unzählige Male heruntergebetet. Erstens: Mangel an Personal; Malaysia habe hervorragende Ingenieure. Zweitens: Mangel an Infrastruktur; Mount Weld liegt im australischen Outback. Drittens: Mangel an den benötigten Chemikalien wie hochkonzentrierter Säure; in Kuantan liegt die Säurefabrik gleich gegenüber. Und viertens: der Preis des Wassers. «Mound Weld ist staubtrocken. Alles erwies sich als zu teuer. Kuantan war die beste Lösung.»

Die Verarbeitung Seltener Erden benötigt Unmengen ätzender Säuren, die bei hoher Temperatur zugegeben werden müssen. Ein brandgefährlicher Prozess, bei dem giftige Dämpfe, grosse Mengen Giftabfall sowie verschiedene Treibhausgase entstehen. Laut Bericht «Seltene Erden. Fluch oder Segen für Malaysia?» der Journalistin Jade Lee könnte die Lynas-Anlage in Kuantan jährlich etwa «eine halbe Million Tonnen gefährlichen Festschlamm produzieren, genug, um jedes Jahr 250 Olympiaschwimmbecken aufzufüllen». Jede Stunde würden «100 000 Kubikmeter Abfallgase in die Atmosphäre abgegeben und 500 Tonnen kontaminiertes Wasser in einen Fluss geleitet». Der genannte Fluss, der wie die Stadt Kuantan heisst, gilt als wichtiges Habitat für Mangroven, die auf der Roten Liste für geschützte Arten stehen.

Dann ist da noch das radioaktive Thorium, ein Bestandteil der Erde um den Mount Weld. Als eine Art blinder Passagier gelangt das Thorium nach Kuantan und bleibt dort als langlebiger, strahlender Müll zurück. Ein von SMSL in Auftrag gegebenes Gutachten des deutschen Ökoinstituts kritisierte 2013 ebenfalls die ungenügenden Umweltstandards.

Warum fahren die Schiffe leer nach Australien zurück, sie könnten doch wenigstens die Abfallprodukte wieder mitnehmen? Am Lynas-Sitz in Kuala Lumpur lehnt sich der Kommunikationsprofi Luqman zurück: «Weil es verboten ist, Müll, insbesondere strahlenden, auszuführen. Wir sind gemäss Basler Konvention gezwungen, den Müll in Malaysia zu behalten.» Daraus entstehe Baumaterial, das im ganzen Land verbaut wird. Und was dann noch übrig bleibe, werde sicher deponiert.

«Unsere Hauptkunden sitzen in Europa und in Japan», fährt der Kommunikationsprofi mit seiner Präsentation fort. «Sie bestehen auf grüner Technologie, dem ‹green standard›. Und wir folgen hier dem Gebot von ‹zero harm›.»

Ein Quadratkilometer voller Hightech

Wie erwartet, fällt die offizielle Werkbesichtigung ins Wasser. Also fährt mich Tan Bun Teet dorthin. Auf dem Schwemmland des Kuantan-Flusses haben sich viele internationale Chemieriesen angesiedelt. Wir fahren den Flusslauf entlang, wo sich eine Produktionsstätte an die andere reiht, jede so gross wie etliche Fussballfelder. Dann taucht ein mit Zäunen gesichertes Gelände auf. Kameras lugen von hohen Stangen herunter. Kamine ragen in den schwülen Abendhimmel. Ein Schild auf dem Gelände mahnt: «Keep our river clean» – Halten Sie unseren Fluss sauber. Es ist das Werksgelände von Lynas, die grösste Seltene-Erden-Aufbereitungsanlage ausserhalb von China. Glitzerndes Hightech erstreckt sich über eine Fläche von einem Quadratkilometer.

Tan Bun Teet empfiehlt, zuerst die Fotos vom Überlauf des Abwasserreservoirs zu machen, falls es später Probleme mit den Sicherheitsleuten gebe. In der Nähe des Ablaufs steht ein winziger chinesischer Tempel. Neben dem Zaun klebt ein wenig eingetrockneter Schaum. Tan Bun Teet sucht sich eine herumliegende Plastiktüte und packt etwas davon ein. «Fürs Labor», sagt er. Später stehen wir vor dem pompösen Eingangstor mit dem blutroten Schriftzug von Lynas. Tan Bun Teet schiesst ein paar Handybilder.

Die tropische Nacht senkt sich über die Silolandschaft mit dem Geflecht kilometerlanger silbriger Rohre. Ins Summen der Fabrik mischt sich das Gezirp der Grillen. Wir werden nicht behelligt. Wahrscheinlich hat Luqman vorgesorgt. Seine Hauptaufgabe besteht darin, schlechte internationale Presse zu verhindern. Die Wächter nicken uns nur freundlich zu. Tan Bun Teet gibt zu, er sei etwas enttäuscht, dass es keine Probleme gibt. Das hätte seine Führung perfekt abgerundet.

Zerstrittene Bewegung

Probleme bestehen hingegen innerhalb der grünen Bewegung. Tan Bun Teet spricht an, was in Malaysia schon länger kolportiert wird: Die Abspaltung Himpunan Hijau sei in erster Linie ein Vehikel für dessen Vorsitzenden Wong Tack, der sich um einen Parlamentssitz im Verwaltungsbezirk Bentong bemüht. Ein früheres führendes Mitglied von Himpunan Hijau sagte gegenüber der Onlinezeitung «Free Malaysia Today», die Organisation werde gar von zwei Oppositionsparteien instrumentalisiert.

«Ich machte Urlaub in China, da versuchten einige unserer Vorstandsmitglieder, aus SMSL eine politische Plattform zu machen», erzählt Tan Bun Teet. Das schafften sie nicht; also gründeten sie die Konkurrenzorganisation Himpunan Hijau. Diese habe später Spione an die Meetings von SMSL geschickt: «Wir hatten über mögliche Aktionen diskutiert, die kurz darauf von Himpunan Hijau umgesetzt wurden. Wong Tack ist ein Opportunist. Manchmal ist das für die Bewegung nicht hilfreich.» Himpunan Hijau schreckt auch nicht vor illegalen Aktionen zurück, etwa illegalen Blockaden oder der Fälschung von Beweisfotos. «Lynas kann das dann gegen die ganze Bewegung verwenden», klagt Tan Bun Teet.

Er selbst ist ein Mann der leiseren Töne, er verzichtet auf alles Militante. Auf einer Cocktailparty hatte Tan Bun Teet dem deutschen Botschafter einmal einen Protestbrief überreicht. Dieser betraf die Kooperation zwischen Lynas und BASF. Kurz darauf soll der deutsche Chemiekonzern, der das angrenzende Gelände zu Lynas besitzt, die Partnerschaft mit den Australiern gestoppt haben.

Tan Bun Teet ist zuversichtlich, auf lange Sicht zum Ziel zu kommen. «Wenn der Markt weiterhin stagniert, werden in den nächsten Monaten riesige Probleme auf Lynas zukommen. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn die Raffinerie bald zumacht», sagt Tan Bun Teet. Dann lacht er sein leises Lachen.

Seltene Erden : Ein seltsamer Markt

Die siebzehn verschiedenen «Metalle der Seltenen Erden», wie sie korrekt heissen, sind eigentlich gar nicht selten. Einige davon kommen häufiger in der Erdkruste vor als andere Elemente. Der Name ist historisch bedingt, da die Metalle ursprünglich ausschliesslich in selten vorkommenden Mineralien gefunden wurden. Auch heute sind grössere Lagerstätten von geeigneten Mineralien selten, die Verarbeitung ist äusserst aufwendig. Die bedeutendsten Lagerstätten befinden sich in der Inneren Mongolei (Volksrepublik China). Der Mount Weld, wo das australische Bergbauunternehmen Lynas sein Erz schürft, gilt als die grösste bekannte Lagerstätte ausserhalb Chinas.

Trotz steigender Nachfrage durch die Hightechindustrie sind heute genügend Seltene Erden auf dem Markt. Zwischenzeitlich sah das anders aus. Bis Anfang der neunziger Jahre waren die USA das Hauptförderland. Doch 2000 liess die Regierung die Seltene-Erden-Aufbereitungsanlage in Kalifornien schliessen – wegen Umweltverschmutzung, insbesondere der Verunreinigung des Grundwassers. So wurde China rasch zum dominanten Anbieter; dazu trugen auch die geringeren Produktionskosten und lascheren Umweltauflagen in der Volksrepublik bei. 2010 produzierte China 97 Prozent aller Seltenen Erden. Beijing nutzte seine Marktmacht, drosselte die Exporte und trieb so die Preise in die Höhe. 2010 senkte das Land die Exportquote schlagartig um vierzig Prozent. Zwischen 2006 und 2011 verteuerte sich das Metall Dysprosium, das in der Lasertechnik verwendet wird, auf das Vierzigfache – von 60 auf 2400 US-Dollar pro Kilogramm.

Damals roch auch Lynas das grosse Geld. Anfang 2011 köderte Lynas InvestorInnen mit dem Versprechen, bereits im September in Kuantan die Raffinerie in Gang zu setzen – und bald nach China zweitgrösster Produzent zu werden. Dass sich das Projekt verzögerte, ist nur zu einem kleinen Teil dem malaysischen Widerstand geschuldet, sondern vor allem der Selbstüberschätzung des Managements, das keine Erfahrungen mit Seltenen Erden und den Umständen vor Ort hatte. Dass die BASF für ihre benachbarte Anlage nur schon zwei Jahre brauchte, um den Torfboden zu präparieren und die Fundamente zu legen, ignorierte das Lynas-Management.

Noch bevor Lynas mit der Produktion starten konnte, fuhren die USA und auch kleinere Förderländer ihre Produktion hoch; China erhöhte die Exportquote – und die Preise für Seltene Erden fielen fast auf das frühere Niveau zurück. Anfang Januar 2015 hob China die Restriktionen gar offiziell auf. Keine guten News für Lynas, das längst mit fallendem Aktienkurs und hoher Verschuldung kämpft. Im November entschuldigte sich der abtretende CEO Nicholas Curtis bei den AktionärInnen für die «ungenügende» Finanzlage und gab zu, dass das Projekt «viel teurer» zu stehen komme, als er gedacht habe.

Das neue Management um CEO Amanda Lacaze soll professioneller agieren und gar Umweltbelange berücksichtigen. Ein australischer Rohstoffanalyst sagte gegenüber der Zeitung «The Australian», er gebe Lynas nun eine Überlebenschance von «fünfzig zu fünfzig».

Markus Spörndli