Schweiz–EU: Wieder zurück auf Feld eins

Nr. 8 –

Es ist schon sehr, sehr ärgerlich. Ein Jahr lang hat der Bundesrat nun über einem Plan zur Umsetzung der SVP-«Masseneinwanderungsinitiative» gebrütet, hat einen dicken Bericht verfasst, ein neues Gesetz formuliert und einen Diplomaten für Verhandlungen mit Brüssel ernannt. Und dies, obwohl jeder Mensch in diesem Land, der nicht auf den Kopf gefallen ist, genau weiss, dass der Auftrag nicht zu erfüllen ist.

Der Verfassungsartikel, der Anfang 2014 von einem knappen Mehr angenommen wurde, verlangt vom Bundesrat, dass er mit der EU innerhalb von drei Jahren das Personenfreizügigkeitsabkommen neu verhandelt. Entsprechend hat die Regierung letzte Woche ein Verhandlungsmandat vorgelegt. Doch die EU hat bereits zig Male wiederholt, dass sie zu keinerlei Konzessionen bereit sei. Sie lehnt es nur schon ab, Verhandlungen aufzunehmen.

Und jetzt? Der Bundesrat spricht von «verschiedenen Szenarien», die er allerdings nicht offenlegen will. Entweder folgen Regierung und Parlament dem neuen Verfassungsartikel und schreiben im Gesetz Kontingente für EU-BürgerInnen fest. Das halten InsiderInnen jedoch für beinahe ausgeschlossen, da die Schweiz dann das Freizügigkeitsabkommen kündigen müsste. Der Wirtschaft würde ein harter Schlag versetzt. Wahrscheinlich ist, dass eine «weiche» Beschränkung beschlossen wird, die die EU schluckt, weil sie keine Wirkung hat – die aber gleichzeitig vorgibt, den Verfassungsartikel umzusetzen.

Die SVP warnt, dass sie in diesem Fall eine Durchsetzungsinitiative lancieren will. Möglich ist auch, dass sie das Referendum ergreift. Damit könnte sich die Stimmbevölkerung nochmals zwischen den bilateralen Verträgen und Kontingenten entscheiden. Dasselbe gilt, falls die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (Rasa) zustande kommt, die die letzte Abstimmung rückgängig machen will.

Nach drei Jahren wird die Schweiz wieder auf Feld eins stehen.

Die Schweizer Demokratie scheint ernsthaft krank. Der tief liegende Grund dafür: Wir leben inmitten eines globalen Markts, das Kapital schwirrt in Sekundenbruchteilen um den Globus, wir exportieren Maschinen nach Asien, importieren Mangos aus Südamerika, und innerhalb Europas bewegen sich selbst die Arbeitskräfte frei über Grenzen hinweg. All dies ist zudem in unzähligen internationalen Verträgen verankert. Für demokratische Entscheide bleibt da nicht mehr viel Platz.

Was tun? Erstens: Wenn der Markt global ist, muss es auch die Demokratie werden. Wenn sich die Schweiz immer stärker in den EU-Binnenmarkt eingliedert und dessen Recht übernimmt, kann sie ihre Demokratie nur retten, indem sie der EU beitritt – um mitreden zu können. Natürlich gibt es auch gute Gegenargumente: etwa, dass die EU immer noch ein von Lobbys und Regierungsspitzen beherrschter Staatenbund ist mit einem oft ohnmächtigen Parlament. Eine Debatte darüber ist jedenfalls überfällig.

Zweitens: Die Schweiz sollte jenen demokratischen Spielraum nutzen, der bleibt. Und dieser ist gross. Sowohl die Zuwanderung als auch die Frankenstärke, die das Land derzeit beschäftigen, sind das Resultat der eigenen Politik: Die rekordtiefen Steuern haben unzählige Firmen ins Land gelockt, die ihre Arbeitskräfte aus dem Ausland importieren. Gemäss Zahlen der Nationalbank werden so jedes Jahr rund 17 000 Stellen in die Schweiz geholt – inklusive Familienmitglieder sind das 26 000 Personen.

Die neuen Firmen tragen dazu bei, dass die Schweiz jedes Jahr Exportüberschüsse schreibt, sie exportiert mehr, als sie importiert. Solange die Erträge daraus im Ausland investiert wurden, ging alles gut. Seit 2012 werden sie jedoch zusehends in der Schweiz angelegt, wie eine Studie der Deutschen Bank zeigt. Das lässt den Franken in die Höhe schiessen.

Doch der SVP liegt nichts daran, dem globalen Markt die Demokratie entgegenzusetzen. Gleichzeitig inszeniert sie sich allerdings als deren letzte Hüterin, indem sie den Bundesrat mit einer unmöglichen Mission nach Brüssel schickt, um sein Scheitern als Verrat am «Volk» auslegen zu können. Und dies alles nur, um WählerInnenstimmen zu gewinnen. Damit macht sich die SVP zur Totengräberin der Demokratie.