Medientagebuch: Weltenfluss für Alpweiden

Nr. 21 –

Dominik Gross über den Geburtstag von «Echo der Zeit»

Das «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF feiert den Siebzigsten. Seit dem Kriegsende 1945 pumpen seine JournalistInnen den Weltenfluss auf hiesige Alpweiden hoch. Dort hinauf, von wo viele ihrer SRF-KollegInnen, so scheint es, am liebsten gar nie mehr herunterkommen würden.

Jeden Abend öffnen die RedaktorInnen in Bern und die KorrespondentInnen rund um den Globus ein paar Dachluken in der helvetischen Käseglocke und versuchen, mit ihren Berichten aus aller Welt die hiesige Öffentlichkeit immer wieder aufs Neue vor dem kleinstaaterischen Erstickungstod zu retten. In Zeiten, in denen das mit Abstand grösste «Verlagshaus» im Land die Budgets seiner Auslandredaktionen zugunsten dänischer Secondhandkleider-Plattformen und Sonderboni für die ErbInnen der Gründerfamilie auf ihren Mittelmeerjachten verpulvert, und während bei der einzigen deutschsprachigen Schweizer Tageszeitung mit intaktem Auslandressort die «liberale Warte» manchmal wie ein Brett vor den Köpfen wirkt, ist das auf alle Fälle unverzichtbar. Allein für diese Produktion der SRG lohnen sich bei Annahme des neuen Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) am 14. Juni die zukünftig 400 Franken Jahresgebühr. Deshalb: Wir gratulieren herzlich, stimmen Ja und werden weiterzahlen!

Gut, manchmal hat auch das «Echo» seine Aussetzer. Neulich fiel in einem Bericht über ein Massaker von Al-Schabab-Milizen an der Universität im kenianischen Garissa der Satz «Hektik gehört nicht zum normalen Alltag in Afrika». So etwas erinnert einen äusserst ungut an Kasperlis Afrikareisen mit Schorsch Gaggo. Zudem übertreiben es die «Echo»-JournalistInnen im Inland manchmal etwas mit dem Prinzip der heiligen Ausgewogenheit öffentlich-rechtlicher Berichterstattung. Die Grossbanken behandelte man in der Finanzkrise sehr zuvorkommend, und immer noch gehen die «Echo»-BundeshausredaktorInnen in Bern mit der SVP um, als wäre sie eine ganz normale Partei. Ist diese Ausgewogenheit noch angebracht angesichts einer Politik, die das Fundament des liberalen Rechtsstaats selbst angreift? Schliesslich betonen «Echo»-JournalistInnen immer wieder, wie sehr sie sich den Idealen der Aufklärung verpflichtet fühlen.

Die zeitweilige staatspolitische Nonchalance der BundeshauskollegInnen kompensieren die InlandreporterInnen, indem sie ihre Spürnasen in fast jede Ritze im Innern der Käseglocke stecken und dabei Geschichten aus dem kollektiven Unterbewusstsein dieses Landes zutage fördern, die ihresgleichen suchen.

Eines allerdings geht beim «Echo» ganz und gar nicht: das neue Signet. Man hört verdutzt hin, denkt an «Wer wird Millionär?» und fragt sich verstört: Sind sich die MacherInnen des «Echos» der identitätsstiftenden Kraft von dessen Akustik denn gar nicht bewusst? Wenn einmal irgendetwas «Heimat» bedeutet hat, dann der sogenannte Wasserfall am Anfang jedes «Echo der Zeit»! Kurze, leicht angespannt wirkende, aber mit Bedacht gesetzte Klavieranschläge in Moll, konstant leiser werdend. Kurz vor ihrem definitiven Verhallen legte sich die Stimme der Moderation eben wie ein Echo darüber, bevorzugt jene des heutigen Deutschlandkorrespondenten Casper Selg (er darf nicht pensioniert werden!). Mit der unerschütterlichen Souveränität eines Bergführers stapfte dieser sodann – die Stimmbänder vom jahrzehntelangen Kurzwellensurfen gegerbt – in das von Abgründen zerfurchte Weltgeschehen hinaus. Und dieses begann im Äther zu tanzen.

Dominik Gross ist zurzeit Journalist in Residence am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.