Quotenregelung für Flüchtlinge: Ein starrer Verteilschlüssel, keine echte Solidarität

Nr. 23 –

Die EU will Flüchtlinge aus Italien und Griechenland per Quoten auf die anderen EU-Länder verteilen. Zu diesem System gäbe es jedoch Alternativen.

Am 27. Mai knallten an der Brüsseler Rue de la Loi vermutlich die Korken: «Heute lässt die Kommission den Worten Taten folgen – Solidarität und Verantwortung gehen Hand in Hand», verkündete Vizepräsident Frans Timmermans.

Die pathetische Ankündigung hatte einen Grund. Zuvor hatte die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Asylpolitik präsentiert: Neben dem Kampf gegen Schlepper (siehe WOZ Nr. 21/2015 ) will sie in den nächsten zwei Jahren notfallmässig 40 000 Syrerinnen und Eritreer aus Italien und Griechenland auf die anderen EU-Staaten verteilen. Pro Flüchtling bekommt das jeweilige Land 6000 Euro Zuschuss. Faktoren wie EinwohnerInnenzahl, Wirtschaftsleistung, Arbeitslosenquote und durchgeführte Asylverfahren bilden die Grundlage für einen Verteilsschlüssel, der über das Schicksal der Flüchtlinge entscheidet. Bis Ende 2015 soll der Plan einem dauerhaften Quotensystem weichen, das allerdings auch nur in Notfallsituationen greifen würde.

Zum ersten Mal, seit die erste Dublin-Verordnung 1997 in Kraft trat, gesteht die EU ein: Ein System, bei dem überlastete Länder an den südlichen Aussengrenzen per Gesetz die meisten Flüchtlinge aufnehmen müssen, kann nicht funktionieren. Es führt nur zu unwürdigen Strukturen für die Flüchtlinge. Die Quote bringt dieses marode System endlich ins Wanken.

Zu den lautesten Kritikern des Kommissionsplans gehört Britannien. Quoten würden nur mehr Menschen dazu ermutigen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, schrieb Innenministerin Theresa May in der «Times». Mit ähnlichen Argumenten wurde gegen die Operation «Mare Nostrum» gewettert – mit dem Ergebnis, dass seit dem Ende der italienischen Seenotrettung mehr Menschen auf dem Weg nach Europa ertrinken. Dabei muss sich Britannien sowieso nicht am Quotenkonzept beteiligen, weil es (wie auch Dänemark oder Irland) in der EU einen Sonderstatus geniesst.

Innenpolitische Interessen gehen vor

Hinter den Positionen der Länder steht überhaupt weniger die Solidarität als vielmehr die Innenpolitik. Vor allem Länder wie Polen oder Ungarn, die bisher wenig solidarisch waren, stemmen sich gegen die Quote. Deutschland, Schweden oder die Schweiz nehmen heute hingegen vergleichsweise viele Flüchtlinge auf. Dort hat man Lunte gerochen: Eine Quote bedeutet für diese Länder weniger Flüchtlinge als bisher. Gerade Berlin – übrigens jahrelang ein Hauptmotor für Dublin – agiert bei seinem Applaus also kaum selbstlos. Und verlangt in einer gemeinsamen Erklärung mit Frankreich dennoch, die Quote für die beiden Länder nach unten zu drücken.

Damit die Quotenregelung überhaupt zustande kommt, muss eine Mehrheit der Mitgliedsländer beim EU-Gipfel am 16. Juni dafür stimmen. Bei einer Annahme stellen sich jedoch viele neue Fragen. Welche, das zeigt ein Rechenbeispiel: Gemäss neuem Verteilschlüssel müsste etwa Ungarn 827 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea beherbergen. Bereits seit Jahren kritisieren Flüchtlingsorganisationen die dortige Infrastruktur und die Politik von Ministerpräsident Viktor Orban, der pauschale Haft und Zwangsarbeit für Flüchtlinge fordert (vgl. Kasten bei «Man kann sich nicht ewig verstecken» ). Allein am vergangenen Wochenende hat die ungarische Polizei bei mehreren Razzien 1389 Flüchtlinge verhaftet. Wer kann es den Flüchtlingen angesichts solcher Zustände verdenken, dass sie nicht in Ungarn bleiben wollen?

Dass die Quotenregelung der richtige Weg ist, bezweifelt auch die deutsche Partei Die Grünen. Ein verbindlicher Verteilsschlüssel ohne einheitliche und hohe Asylstandards führe nicht zu mehr Solidarität, sondern zu mehr Ungerechtigkeit, sagte die Bundesvorsitzende Simone Peter. Mit der zähen EU-Bürokratie bleiben einheitliche Standards in den Ländern jedoch eine Illusion.

Freie Wahl statt starrer Quoten

Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften fordern deshalb schon seit Jahren eine Alternative zu Dublin oder starren Quoten: Flüchtlinge sollen ihre neue Heimat selbst wählen dürfen. Könnten sie frei bestimmen, würden Flüchtlinge vermutlich dort Asyl beantragen, wo Verwandte und FreundInnen wohnen – oder wo die Aussichten auf Arbeit und damit auf Integration am grössten sind.

Zwar würden so die reicheren Mitgliedsländer mehr Flüchtlinge aufnehmen. Doch das ist bereits heute Realität – die EU täte gut daran, sie anzuerkennen. In Zukunft könnten diese Staaten für ihre Humanität entschädigt werden, etwa nach dem Vorbild des Europäischen Sozialfonds, der die Umverteilung zwischen den Regionen fördert. Ähnlich könnte ein gemeinsamer EU-Topf Länder, die weniger Flüchtlinge aufnehmen, verstärkt zur Kasse bitten.

Von ähnlichen Überlegungen liess sich offenbar bereits vor langer Zeit die Uno leiten. «Die Vorstellungen des Asylsuchenden hinsichtlich des Landes, in welchem er um Asyl nachsuchen möchte, sollten soweit wie möglich berücksichtigt werden», heisst es in einer Empfehlung von 1979.