Jung erben: Wenn du aus heiterem Himmel reich wirst

Nr. 24 –

Über Geld spricht man kaum in alternativen Kreisen – erst recht nicht über geerbtes. Schade eigentlich. Denn nicht alle brauchen ihr Erbe nur für sich. Aber solange niemand übers Geld redet, bleibt es auch Privatsache.

Wir sitzen vor Katharinas* Bauwagen, hinter der Fabrik geht die Sonne unter, die Kinder schlafen schon. Elf Erwachsene und drei Kinder wohnen hier auf der Brache in umgebauten Bauwagen, Türen und Fenster stehen weit offen zum Lüften, mit bunten Vorhängen davor. Während ein Mitbewohner mit dem Gartenschlauch durch die Gemüsebeete wandert, hat Katharina noch schnell den Traktor umparkiert, bevor es dunkel wird. «Irgendwas gibt es immer zu tun auf dem Platz, aber jetzt reichts dann auch.»

Katharina macht es sich im Schneidersitz bequem. Die Dämmerung ist offenbar ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch, das länger dauern wird – und das man nur mit Scheu führt. Katharina hat dem Gespräch mit der WOZ sofort zugestimmt, weil sie es wichtig findet, offen über Geld zu reden. Privat und auch sonst.

In der Gemeinschaft, in der sie lebt, wissen die meisten, dass Katharina geerbt hat – je nach Enge der Freundschaften auch was und wie viel. «Im Alltag spielt das aber keine Rolle», sagt sie. JedeR zahle den gleichen Betrag für Fixkosten wie Strom, Abwasser und Essen in die Platzkasse. Unabhängig davon, wie viel sie oder er verdient. Von ihr, erzählt Katharina, werde jetzt nicht erwartet, mehr zu übernehmen. «Aber natürlich hat sich etwas verändert.» Nicht, dass sie sich jetzt mehr leisten würde. Katharina merkt es vor allem daran, dass sie sich viel weniger Gedanken über das Geld zum Leben macht. «Ich könnte gar nicht sagen, wann ich mir zum letzten Mal einen Kontoauszug geholt habe.»

Geld für gemeinnützige Projekte

Auch Anna* hat ihr Geld die ersten Jahre kaum angerührt. Als sie achtzehn war, vermachte ihr die Grossmutter 100 000 Franken. Damals war sie gerade in der Lehre, zu ihrer Oma hatte sie fast keinen Kontakt, ihr Tod und das Erbe kamen unerwartet. Die Grosseltern, erzählt Anna am Küchentisch ihrer Genossenschafts-WG, hätten immer sehr sparsam gelebt. «Die Vorhänge über dreissig Jahre alt, wie das in der Schweiz halt so ist. Und Geld gabs für die Enkel vor allem für gute Zeugnisse.»

Als ihre Grossmutter starb, lebte Anna von ihrem Lehrlingslohn, und im Notfall hätte sie immer zu FreundInnen oder ihren Eltern gehen können. «Ich habe das Geld nicht gebraucht und hatte auch ein gespaltenes Verhältnis dazu.» Für einen Sprachaufenthalt hob Anna dann zum ersten Mal Geld von ihrem Konto ab. Aber das war erst Jahre später. «Das wäre ganz im Sinn meiner Grossmutter gewesen», sagt sie und muss lachen. «Was ich später mit dem Geld gemacht habe, dann wohl nicht mehr unbedingt.»

Irgendwann nämlich hat sie beschlossen, ihr geerbtes Geld nach und nach in ihrem Umfeld zu verschenken, zu verleihen, es FreundInnen in Not anzubieten oder in Gemeinschaftsprojekte zu stecken, an denen sie zum Teil auch selbst beteiligt ist. Eine Übersicht, wo überall ihr Geld gelandet ist, hat sie nicht mehr: «Wenn jemand darauf besteht, mir das Darlehen zurückzuzahlen, akzeptiere ich das. Von mir aus kann er das Geld aber auch behalten – das kommuniziere ich auch so.» Bis auf einen Restbetrag sind die 100 000 Franken, die Anna vor über zehn Jahren geerbt hat, also weg. Verteilt. Anna wirkt damit im Reinen. Und im Notfall? «Mein grösstes Privileg ist eh mein soziales Umfeld. Auf die Solidarität dort zähle ich. Und hier in der Schweiz ist viel Geld da – auch im linken Milieu.» Geredet werde darüber aber wenig, da sind sich Katharina und Anna einig.

Mitgeerbte Konflikte

Wer geerbt hat, so viel ist nach den Gesprächen klar, steht früher oder später vor der Frage: Was mache ich aus diesem Privileg? Nehme ich die Verantwortung an und kümmere mich um das Geld? Oder will ich lieber gar nichts davon wissen? Oft geht ein Erbe ja mit dem Tod von jemandem einher, der einem nahestand. Das erzeugt das Gefühl, man erhalte das Erbe quasi als Kompensation für den Verlust und entscheide sich gegen den Verstorbenen, sobald man das Geld annimmt. Dann entzünden sich an dem Erbe – und damit auch an der Frage, wer sich darum kümmert – alte Konflikte und neue Vorwürfe innerhalb der Familie. An dem Geld haftet also eine Geschichte, die sich nicht so einfach ausschlagen lässt wie das Erbe selbst.

Für jemanden, der kein Geld (geerbt) hat, ist das ein Luxusproblem. Wer schon mal geerbt hat, erzählt, dass man meist nicht einfach ein Bündel Geld vor die Tür gelegt bekomme, sondern plötzlich mehrere Stunden am Tag mit AnwältInnen verhandle, mit Ämtern telefoniere, zu Eigentümerversammlungen und Gesellschafterinnensitzungen müsse. Oder zum Geburtstag plötzlich einen handgeschriebenen Brief von der Bankberaterin bekomme.

«Ich war komplett überfordert am Anfang», gesteht Katharina. Noch heute ist sie manchmal wütend auf ihren Vater, dass er sie nicht auf diese Verantwortung vorbereitet hat. «Bei uns zu Hause wurde nicht viel über Geld gesprochen. Mein Vater wollte kaum sagen, was er verdient.» So wurde Katharina vollkommen unerwartet Erbin von Immobilien, Grundstücken, Aktien. Ein paar Tage nachdem sie mit ihrer Gemeinschaft einen neuen Platz besetzt hatte, fand sie sich bei einer Schlichtungsrunde im Gemeindesaal wieder, wo sie als Vertreterin einer EigentümerInnengemeinschaft einen Konflikt mit NachbarInnen lösen sollte. «Ich weiss noch, dass ich immer denken musste: Einige haben mich bestimmt im Fernsehen gesehen, und jetzt sitze ich denen als Eigentümerin gegenüber.»

Anna kennt diese unfreiwilligen Rollenwechsel von sich und auch von FreundInnen, die geerbt haben. Vielleicht sei das eines der Dinge am Erben, die sich anderen am schwersten vermitteln liessen: dass man trotz einer Erbschaft das Leben so weiterführen möchte wie bisher und ohne ausschweifenden Konsum leben will, auch wenn man es sich leisten könnte. Dass man sich, nur weil man plötzlich Geld hat, nicht unterscheiden will von den Menschen um einen herum. «Aber sich für das Erbe zu schämen oder so zu tun, als sei es nicht da, nützt niemandem», findet Anna. Vielmehr gehe es doch darum, sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen – und sie wieder zu vergemeinschaften.

Zeit für unbezahlte Arbeit

Katharina ist nach dem Tod ihres Vaters noch mal zur Schule gegangen. «Neben dem Muttersein und dem Grosswohnprojekt noch arbeiten zu müssen, hätte ich mir nicht zugetraut.» Jetzt arbeitet sie das erste Jahr freiberuflich und kann sich dennoch für jeden Auftrag Zeit nehmen. So wie für Bautage, Sitzungen, Wagenplatzfeste – ja generell für das Leben in einer selbst verwalteten Gemeinschaft. Für Anna ist der grösste Luxus, den sie sich leistet, auch mal einen Arbeitsauftrag ablehnen zu können.

Ein Haus, ein Auto, eine Jacht – solche Träume hegt man in alternativen Kreisen ja eher selten. Man gibt nicht mehr aus, als man braucht, und näht den Vorhang bei Bedarf selbst. Da sind sich die Generationen vielleicht ähnlicher, als es Anna und Katharina lieb ist. Am ehesten anerkannt ist es noch, für eine Weile keiner Lohnarbeit nachzugehen, um eigene Ideen zu verwirklichen. Warum sich das jemand leisten kann, ist ja nicht auf den ersten Blick erkennbar, man gerät also am wenigsten in die Gefahr, sich gegenüber seinem Umfeld rechtfertigen zu müssen – einem Umfeld, in dem das Runterspielen der eigenen Privilegien zum Habitus gehört und man über Geld nur spricht, wenn man es nicht hat.

So werden offene Gespräche übers Erben oft nur unter ErbInnen selbst geführt. Katharina und Anna waren zwar bereit, mit der WOZ über ihr Erbe zu reden – aber lieber so, dass sie nur für diejenigen wiedererkennbar sind, die eh davon wissen. Schlechte Erfahrungen? «Das nicht», sagt Katharina, «aber wenn jemand verantwortungslos damit umgeht, habe ich Mühe. Wenn mich zum Beispiel irgendjemand zwischen Tür und Angel für viel Geld anfragt. In Notfällen, wie bei einer Operation oder so, würde ich natürlich immer helfen.» Ein Mitbewohner, erzählt sie, habe ihr mal gesagt, dass er sie nie um Geld bitten würde. «Einfach, weil er nicht damit umgehen könnte, wenn ich es ablehnen würde, ihm Geld zu leihen, wo ich es doch hätte.»

Anna kennt das eher andersherum: Mehrmals schon hat sie Situationen erlebt, wo sie jemandem in Not Geld angeboten hat, der damit nicht umgehen konnte. «Da war dann plötzlich so eine peinliche Stille. Ich hatte das Gefühl, durch das Angebot irgendwie übergriffig oder gönnerhaft zu sein. Und tatsächlich macht es ja eine Ungleichheit sichtbar.» Auch Katharina hat mal einem Freund angeboten, ihm eine Psychotherapie zu bezahlen – und keine Antwort bekommen. Offenbar ist es für viele genauso schwer, Geld anzunehmen, wie Geld zu haben. Anna hat deswegen schon öfter für kollektive Projekte Sachen gekauft, ohne es weiter zu thematisieren.

Katharina hat vor kurzem beschlossen, einen Betrag in Gemeinschaftsprojekte zu investieren, sodass das Geld einen möglichst breiten Nutzen erfüllen kann. Zwei Darlehen hat sie bereits vergeben – an eine Kulturbeiz und an ein Druckereikollektiv. Für den Platz hat sie einen Traktor angeschafft. Den hätte sich die Gemeinschaft sonst nicht leisten können. Gleichzeitig erwartet sie, dass sich jetzt auch alle um die Reparaturen kümmern. Das klappt nur bedingt. Ähnlich steht sie auch zu einer Gemeinschaftskasse. «Ich könnte mir schon vorstellen, mein Geld mit allen zu teilen», sagt Katharina. «Aber dann müssten alle auch den Scheiss mittragen, der mit so einem Erbe einhergeht.» Vermutlich würde sich dafür keine Mehrheit finden.

* Namen geändert.

Nationale Erbschaftssteuer

Am 14. Juni wird über eine nationale Erbschaftssteuer abgestimmt. Zu zwanzig Prozent besteuert werden sollen Nachlasse ab zwei Millionen Franken. Davon betroffen wären gemäss Statistiken des Bundes weniger als zwei Prozent der Bevölkerung. Die Einnahmen (gemäss Bund jährlich rund drei Milliarden Franken) sollen zu zwei Dritteln der AHV und zu einem Drittel den Kantonen zufliessen.

An die Ehegattin oder den Ehegatten sowie an Hilfswerke vererbtes Vermögen bleibt steuerfrei. Werden Unternehmen vererbt und von den Nachkommen für mindestens zehn Jahre weitergeführt, so soll der Freibetrag laut den InitiantInnen auf fünfzig Millionen Franken erhöht werden.