Flüchtlingspolitik: Das Recht, Rechte zu haben

Nr. 26 –

«Ansturm von Asylsuchenden» titelte die «NZZ am Sonntag» am Wochenende und liess einen Politiker der rechtspopulistischen Lega lauthals die Schliessung der Grenze zwischen dem Tessin und Italien fordern. Das Erzählmuster ist bekannt: Unser Land ist in Gefahr. Vom Süden her kommt ein Ansturm, eine Welle. Diese medial und politisch verbreitete Darstellung ist bildgewaltig und wirkungsmächtig. Doch sie entbehrt jeglicher Grundlage.

Beinahe neunzig Prozent der Menschen, die weltweit vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, fanden 2013 in Ländern des Südens Zuflucht. So hat der Libanon seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 1,2 Millionen registrierte Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, dazu sollen weitere 500 000 über die Grenze gekommen sein. Damit ist mittlerweile jedeR dritte BewohnerIn des Landes ein Flüchtling. Im selben Zeitraum haben in der Schweiz zwischen 8500 und 9000 syrische Flüchtlinge ein Asylgesuch stellen können. Für weitere 3000 syrische Flüchtlinge ist zudem eine «humanitäre Aufnahmeaktion» geplant.

Aufschlussreich ist auch ein anderer Vergleich: Allein in Südafrika mit seinen 50 Millionen EinwohnerInnen leben schätzungsweise 7 Millionen afrikanische MigrantInnen ohne Papiere. In der gesamten EU (500 Millionen EinwohnerInnen) dagegen soll es zwischen 2,8 und 6 Millionen Papierlose geben, in der Schweiz wird ihre Zahl auf rund 100 000 geschätzt.

«Die europäische Angst vor der Migration ist keine, die sich auf konkrete Erfahrungen berufen könnte, sie ist eine, die etwas über den Zustand der eigenen Gesellschaften aussagt», schreibt Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Medico International, in einem aktuellen Beitrag in den «Blättern für deutsche und internationale Politik».

Wie im übrigen Europa bildet auch in der Schweiz die bewusst geschürte Angst den Kern der Flüchtlingspolitik. Das Resultat dieser Politik ist die Abschottung. An den Aussengrenzen erfolgt sie militärisch und mit tödlichen Folgen, im Innern über den fortwährenden Abbau von Rechten. An diesem Punkt muss eine progressive Flüchtlingspolitik ansetzen: Es geht – wie die Philosophin Hannah Arendt es nannte – um das fundamentale Recht, Rechte zu haben.