Magda Vogel: Mit geschärftem Blick singend durch die Welt

Nr. 26 –

Seit über drei Jahrzehnten ist Magda Vogel in der Zürcher Musikszene aktiv. Die einstige Sängerin von Unknownmix leitet heute einen Frauenchor, der mit revolutionären Liedern von Frauen auf Tournee ist.

«Talkin’ ’bout a Re­vo­lu­tion»: Wenn Magda Vogel vom Singen spricht, dann singt sie gleich.

Auf dem Küchentisch in Magda Vogels Altbauwohnung im Zürcher Kreis 5 steht eine Früchteschale, daneben liegt ein hoher Stapel Zeitungen. Vogel nimmt die oberste Seite – die hat sie am Tag zuvor aus dem «Migros-Magazin» herausgerissen –, hält sie der Journalistin unter die Nase und sagt: «Das ist auch ein Grund, warum ich immer weitermache!»

Im Artikel geht es um die ungleiche Verteilung von Altersrenten. Während 58 Prozent der AHV-Zahlungen an Frauen gehen, fliessen gerade mal 22 Prozent der Renten aus der beruflichen Vorsorge an Frauen. «Es ist ja klar, dass wir nicht mehr Geld im Kässeli haben, wir sind ja nicht bezahlt für Kindererziehung und Haushalt. Aber es ist doch bezeichnend, dass Frauen heute nur zwanzig Prozent des Pensionskassengelds erwirtschaften. Dabei sind wir selber schuld: Viele Frauen sind nach wie vor finanziell abhängig.» Deswegen finde sie es extrem wichtig, dass Frauen ihr Geld unabhängig von den Männern verdienten. Energisch klatscht Vogel das Blatt zurück auf den Stapel.

Die Anliegen der Frau – dafür setzt sich Magda Vogel seit gut einem Vierteljahrhundert ein. Anfang der neunziger Jahre begann sie, als Chorleiterin mit Frauen Lieder zu singen, die überwiegend von Frauen komponiert worden waren. Mit ihrem Chor Die Vogelfreien tritt sie regelmässig an Benefizanlässen auf, unter anderen für die Stiftung Frauenhaus Zürich, für die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen» oder zum Jubiläum des Frauenzentrums Zürich. Momentan touren die Vogelfreien mit dem Programm «Stand Up and Sing» durch Zürich. Der vierzigköpfige Chor singt revolutionäre Lieder ab den Sechzigern, die alle von Frauen komponiert wurden (vgl. «Auch für Männer» im Anschluss an diesen Text).

Magda Vogel nimmt einen Pfirsich aus der Schale, steht auf, wäscht ihn, macht einen Kaffee und setzt sich wieder. Sie wird im Lauf des Gesprächs noch ein paarmal aufstehen: um ein Buch, einen Katalog oder einen Flyer zu holen. Hier, in dieser Küche, hat sie bereits vor einem Vierteljahrhundert JournalistInnen empfangen – damals, als sie als gut Dreissigjährige ein Star in der Schweizer Musikszene war. Vogel war Sängerin der 1983 gegründeten Zürcher Band Unknownmix, die mit kargen Synthesizerklängen und aussergewöhnlicher Multimediashow bald über Zürich hinaus bekannt wurde. Die Sängerin beeindruckte Publikum und Presse mit ihren Vokalkünsten – sie zirpte, schrie, hechelte und zwitscherte hemmungslos.

«Man kann nicht alles haben»

In einem Artikel, der 1989 in ihrer Küche entstanden ist, steht: «Wenn man Magda so zuhört, spürt man die Kraft, Lebensfreude und auch die Natürlichkeit, die von dieser Frau ausgeht. Alles, was sie sagt, tönt einfach und einleuchtend, so könnte das Leben sein.» Dasselbe kann man auch 26 Jahre später noch sagen. Die Haare trägt sie noch immer kurz, dunkel und gepflegt verstrubbelt wie damals. Die rot geschminkten Lippen untermalen ihre ausgeprägte Mimik. Erzählt sie vom Singen, singt sie gleich vor, was sie meint. Ihre Haltung äussert sie dezidiert, sie sagt Dinge wie: «Männer und Frauen sind vom Gesetz her gleichberechtigt. Wir Frauen können uns wehren. Doch all die versteckten Unausgewogenheiten müssen wir erkennen. Wir müssen mit geschärftem Blick durch die Welt gehen.» Oder: «Ich bin frustriert über die Bequemlichkeit vieler junger Frauen.» Und dann kommt ein Satz, der erstaunt: «Man kann halt einfach nicht alles haben.»

Dabei scheint sie auf den ersten Blick eine Frau zu sein, die genau das geschafft hat: Sie konnte sich in einer von Männern dominierten Rockmusikwelt als Sängerin behaupten, machte Karriere und zog daneben ihren Sohn, seit er acht Jahre alt war, alleine gross. Ihr Gehalt als Sekundarlehrerin ermöglichte es ihr, auch finanziell unabhängig zu bleiben. Das alles hat sie nicht etwa zermürbt. Noch heute, mit bald sechzig Jahren, ist sie nicht nur charmant und eloquent, sondern auch körperlich fit. Doch Magda Vogel winkt ab. So einfach, wie es aussehe, sei es nicht immer gewesen. «Ich bin sehr diszipliniert und arbeite viel.»

Von der Fotografie zum Gesang

Zum Singen ist sie eher spät gekommen. Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden, doch klappte es mit den Aufnahmeprüfungen nicht. Erst Mitte zwanzig, als sie an der Gestaltungsschule F + F studierte und den Elektroniker Ernst Thoma kennenlernte, entdeckte sie ihre Stimme, ein paar Jahre später gründeten die beiden Unknownmix. «Ich war völlig unverfroren», sagt sie rückblickend, «vielleicht, weil ich Autodidaktin bin.» Dass sie als Frau in einer von Männern dominierten Szene eine besondere Position hatte, habe sie nie so wahrgenommen: «Ich bin mit fünf Brüdern aufgewachsen, so war es für mich normal, von Männern umgeben zu sein.»

Doch dass man noch heute in der Rock-, Pop- und Jazzmusikszene – von Sängerinnen abgesehen – nur selten auf Frauen trifft, gibt ihr zu denken. Sie wisse von improvisierenden Musikerinnen, die nie nur mit Frauen zusammenarbeiten, weil sie sich weniger ernst genommen fühlen, wenn sie «nur» mit Frauen auftreten. Auch deshalb sei es wichtig, präsent zu sein. Neben der Arbeit im Frauenchor singt sie in einem Haustrio, dirigiert weitere Chöre, hat verschiedene Improvisationsprojekte und entdeckt immer wieder neue Seiten an ihrer Stimme. Noch immer arbeitet sie als Musik- und Englischlehrerin. Dort bringt sie ihren Schülerinnen auch gerne wichtige Dinge fürs Leben bei: «Werdet nie von jemandem finanziell abhängig, macht eine gute Ausbildung, und schaut, dass ihr euer eigenes Geld verdienen könnt!»

Auch für Männer

Seit Wochen sind Die Vogelfreien mit ihrem Programm «Stand Up and Sing» in und um Zürich auf Tournee. Am Samstag, 27. Juni 2015, um 19.30 Uhr geben sie ihr Schlusskonzert im Club X-tra in Zürich. Die gut vierzig Frauen singen Freiheitslieder und Songs gegen Krieg, Gewalt, Diskriminierung. Zu hören sind unter anderen das «Kampflied» von Les Reines Prochaines, «People Have the Power» von Patti Smith, «Talkin’ ’bout a Revolution» von Tracy Chapman oder «Woman» von Neneh Cherry. Arrangiert haben die Lieder Ruth Bieri, John Wolf Brennan, Manuel Perovic und Magda Vogel, die den Chor 2002 gegründet hat und ihn seither leitet. Begleitet werden die Sängerinnen von den Musikern Tony Majdalani (Perkussion) und John Wolf Brennan (Piano).

Nicht nur als Musiker, sondern auch im Publikum sind Männer herzlich willkommen, denn, wie Magda Vogel sagt: «Was wir singen, geht die Männer genauso an wie die Frauen.» Nach der Sommerpause sind auch wieder neue Chormitglieder willkommen – hier allerdings nur Frauen.