EU-Kritik: Ein gedanklicher Kurzschluss

Nr. 28 –

Es gibt da einen gedanklichen Kurzschluss, der in der Schweiz seit Jahrzehnten die Europadebatte prägt. Aktuell taucht er in der Griechenlanddiskussion wieder auf, etwa in der NZZ: «Es ist paradox», schreibt Inland-Chef René Zeller, «ausgerechnet die vehementesten schweizerischen Befürworter eines raschen EU-Beitritts schleudern Blitz und Donner gegen Brüssel wie einstmals Göttervater Zeus.» Kurz: Wer für die EU ist, kann diese doch unmöglich kritisieren!

Für Linke und progressive Liberale spricht ein Hauptgrund für die EU: In einem Europa, in dem InvestorInnen ihr Kapital frei über Grenzen verschieben können, überlebt die Demokratie nur, wenn sie auf die europäische Ebene gehoben wird – nationale Demokratien sind dazu verdammt, im Wettlauf um Kapital die Steuern zu senken und Arbeitsmärkte zu deregulieren. Wer aus diesem Grund für die EU plädiert, braucht deshalb jedoch noch lange nicht ihr Demokratiedefizit kleinzureden oder die bürgerliche Politik ihrer Mitgliedsregierungen zu bejubeln. Oder haben jemals progressive Kräfte in der Schweiz die Zerschlagung des modernen Bundesstaats verlangt, nur weil die Mehrheit seit je eine hurrapatriotische Wirtschaftspolitik verfolgt?

Allerdings bleibt auch die Linke von diesem gedanklichen Kurzschluss nicht verschont. Auf der einen Seite stehen jene, die seit Jahren die EU als «neoliberales» Projekt beschimpfen und sich damit gleichzeitig der einzigen Option verschliessen, die globalen InvestorInnen wieder unter demokratische Obhut zu bringen. Auf der anderen Seite steht die proeuropäische Linke, die in ihrer Begeisterung für Europa jahrzehntelang über die autoritären und antisozialen Züge der EU grosszügig hinweggesehen hat.

Wenn nun also BeitrittsbefürworterInnen mit der EU hart ins Gericht gehen, ist das vielleicht eine neue Tendenz. Doch paradox ist daran nun wirklich nichts. Aber vielleicht geht es der NZZ, die seit Anfang Jahr im Wahlkampfmodus steckt, auch weniger ums rationale Argumentieren als um schlammige Polemik.