Autonome Schule Zürich: «Das nomadische Dasein zehrt an den Kräften»

Nr. 32 –

Die Autonome Schule Zürich ist für Hunderte MigrantInnen zu einem unverzichtbaren Treffpunkt geworden. Längst profitieren auch Behörden und Asylorganisationen von den Dienstleistungen des Bildungsprojekts. Doch bei ihrer dringenden Suche nach neuen Räumlichkeiten wird die Schule alleingelassen.

Und bald ists wieder Winter und der nächste Umzug steht bevor: Eine Baracke auf dem Zürcher Güterbahnhof, eines der zwölf Domizile, in denen die Autonome Schule in den letzten sechs Jahren untergebracht war. Foto: Ursula Häne

Die Autonome Schule Zürich (ASZ) steht wieder einmal vor einer ungewissen Zukunft. Ende Oktober muss das selbstverwaltete, migrantische Bildungsprojekt seinen aktuellen Standort an der Bachmattstrasse in Zürich Altstetten nach nur eineinhalb Jahren Zwischennutzung wieder verlassen. Bisher hat die ASZ keine neuen Räumlichkeiten in der Stadt Zürich gefunden. Die Zeit wird knapp. «Um unser Projekt in der jetzigen Form weiterführen zu können, benötigen wir 500 oder mehr Quadratmeter. Sollte keine Lösung gefunden werden, stehen wir auf der Strasse», sagen VertreterInnen der Autonomen Schule.

Wissen ohne Zugangsbeschränkung

Die Situation ist paradox: Die Autonome Schule Zürich ist nötiger und wichtiger denn je. In den letzten sechs Jahren hat ein Kollektiv, bestehend aus MigrantInnen, Sans-Papiers, AsylbewerberInnen und BleiberechtaktivistInnen, ein Projekt aufgebaut, das Wissen ohne Zulassungsbeschränkungen weitergibt. Die Nachfrage steigt weiterhin, sodass derzeit rund 350 Menschen täglich die kostenlosen Angebote der ASZ nutzen, die von 130 Freiwilligen gewährleistet werden. Längst umfasst das Angebot mehr als die bekannten Deutschkurse. In der Schule finden Theater- und Filmaufführungen statt, ebenso Lesungen, Konzerte, Vorträge und Diskussionen. Es gibt einen Frauenraum und eine Bibliothek; mehrere Computer und Musikinstrumente stehen zur Verfügung, Kinder werden betreut. Mit der «Papierlosen Zeitung» gibt die Schule zudem jährlich eine eigene Zeitung heraus, die jeweils der WOZ beiliegt. Kurzum: Im Lauf der Jahre ist ein Ort umfangreichen und mannigfaltigen interkulturellen Austausches entstanden, der in Zürich einzigartig ist.

Ein Wunsch von Sans-Papiers

Doch ausgerechnet die grösste Stadt der Schweiz, von einer links-grünen Mehrheit regiert, wohlgemerkt, scheint für dieses ebenso nötige wie sinnvolle Projekt zu klein? Bisher haben die um Unterstützung angefragten Behörden der Stadt jedenfalls keine konkreten Schritte unternommen, um die ASZ bei ihrer akuten Raumsuche zu unterstützen.

Die Autonome Schule Zürich musste in ihrem sechsjährigen Bestehen bisher nicht weniger als elfmal umziehen. Entstanden ist die ASZ Ende 2008 im Nachzug der mehrwöchigen Besetzung der Stadtzürcher Predigerkirche durch Sans-Papiers und Mitglieder des Bleiberechtkollektivs. Hintergrund dazu war unter anderem die im Januar 2008 eingeführte massive Verschärfung des Asylgesetzes, seit der alle abgewiesenen Aslysuchenden von der Sozialhilfe ausgeschlossen sind, nur noch Nothilfe erhalten und faktisch dem Arbeitsverbot unterstehen. Mehrere Sans-Papiers äusserten damals den Wunsch, Deutsch zu lernen, worauf das Kollektiv erste Sprachkurse organisierte. Daraus entwickelte sich im Sommer 2009 das selbstverwaltete Bildungsprojekt ASZ mit dem Verein Bildung für alle als Trägerschaft. Nach einer Odyssee durch die Stadt Zürich und mehreren kurzen Zwischenstationen, mitunter auch in besetzten Häusern, fand das stetig wachsende Projekt drei Jahre lang in einer Baracke auf dem Areal des Zürcher Güterbahnhofs eine Bleibe – bis zum Abriss des Areals im Frühjahr 2013, um dem umstrittenen neuen Polizei- und Justizzentrum Platz zu machen.

Schon damals war der Fortbestand der ASZ gefährdet, weil trotz intensiver Suche kein neues Schulhaus gefunden werden konnte. Fast 10 000 Personen unterschrieben in jener Zeit eine Onlinepetition zum Erhalt des Bildungsprojekts und forderten mögliche Verhandlungspartner wie Behörden, Organisationen und HausbesitzerInnen zur Solidarität auf. Im März 2013 zogen 150 Leute aus dem Umfeld der ASZ zum Zürcher Stadthaus, um die Petition sowie einen offenen Brief an Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) abzugeben. Die erhoffte Unterstützung seitens der Stadt blieb damals aus Sicht der ASZ weitgehend aus. Glücklicherweise kam das Bildungsprojekt seither in zwei befristeten Zwischennutzungen unter, zuletzt nun eben an der Bachmattstrasse – doch Ende Oktober ist Schluss damit.

Die ASZ hat das Stadtzürcher Präsidialdepartement über die aktuelle Situation informiert und erneut um Unterstützung gebeten. «Die Stadt Zürich hat schon vor zwei Jahren ihre guten Dienste angeboten und auch eingebracht, zum Beispiel gegenüber Vermietenden von potenziell interessanten Immobilien oder bei Amtskontakten», sagt die Medienstelle der Stadt. Diese «guten Dienste» habe die Stadt auch diesmal wiederholt, und sie habe ein «Gesprächsangebot unterbreitet».

VertreterInnen der ASZ bestätigen das, betonen aber zugleich, dass sie sich unter «guten Diensten» etwas anderes vorstellen: «Wir fordern bezahlbare Räume. Unser nomadisches Dasein zehrt an den Kräften aller Beteiligten. Jeder Umzug hat Energien verbraucht, die sinnvoller hätten genutzt werden können. Für die Kursteilnehmenden ist die Situation zusätzlich schwierig, weil die Schule für viele einen zentralen Treffpunkt bildet. Wenn der verschwindet, gibt es kaum Alternativen», so die VertreterInnen der ASZ.

Kostenlos entlastete Behörden

Die Stadt Zürich müsste eigentlich ein vitales Interesse am Fortbestand des Bildungsprojekts haben. Längst weisen städtische und kantonale Behörden, so etwa die Sozialämter, ihre KlientInnen auf die Angebote der Autonomen Schule hin. Die Mediensprecherin der öffentlich-rechtlichen Asylorganisation Zürich (AOZ) sagt: «Wir machen insbesondere Leute auf das Angebot der ASZ aufmerksam, die keinen Zugang zu anderen Deutschkursmöglichkeiten haben, zum Beispiel Personen mit negativem Asylentscheid oder Nichteintretensentscheid.» Auch die private Asylbetreuungsfirma ORS AG schickt von ihr betreute Asylsuchende in die Autonome Schule – wegen der Deutschkurse, aber auch weil dort eine Tagesstruktur geboten werde. Das kostenlose Angebot des Bildungsprojekts entlastet die entsprechenden Organisationen und Behörden finanziell und personell nicht unerheblich. Allein die 98 Deutschlektionen, die jede Woche angeboten werden, machen bei einem Ansatz von vierzig Franken pro Lektion rund 200 000 Franken aus.

Bisher blieb eine entscheidende und nachhaltige Unterstützung für die ASZ aus. In diesem Frühjahr lehnte das Zürcher Steueramt ein Gesuch des Vereins um «Steuerbefreiung wegen Verfolgung von gemeinnützigen Zwecken» ab. Die Steuerbehörden begründeten dies damit, dass der Verein auch politisch tätig sei. So wird ihm unter anderem zur Last gelegt, dass er auch schon in besetzten Häusern unterrichtet hat.