Buch «Auf beiden Seiten»: Ein Land, ordentlich wie die Schweiz

Nr. 37 –

Wenn im Herbst in der Bundesrepublik die 25. Wiederkehr des «Beitritts» der DDR gefeiert wird, stehen die eitlen FestrednerInnen schon bereit, um darüber zu diskutieren, was die Einheit den Deutschen gebracht hat. Einen Blick von aussen auf die Wende hat Lukas Hartmann im Frühjahr vorgelegt, und das bevorstehende Jubiläum gibt Anlass, hier an seinen Roman «Auf beiden Seiten» zu erinnern.

Hartmann erzählt die Geschichte des Journalisten Mario, für den der Deutschlehrer Gruber immer Vorbild war, bis Mario beginnt, selbstständig zu denken, und es zum Bruch kommt. Dennoch heiratet er Grubers Tochter Bettina, bekommt zwei Kinder, lässt sich scheiden. Was jedoch niemand in der Familie geahnt hat: Gruber war Mitglied der P26, einer Geheimorganisation, die die Schweiz im Fall einer sowjetischen Invasion hätte schützen sollen und nach der Wende aufflog: «Ein kleines reiches Land wie das unsere ist ständig umzingelt», begründet Gruber als eine von drei ErzählerInnenstimmen seine Mission, schon demenzkrank, aus dem Pflegeheim heraus.

Mario erinnert sich dagegen an seine Reise, die er kurz vor der Wende zu einem Freund nach Ostberlin unternommen hat. Dort stellt er fest, dass die DDR ein ordentliches Land wie die Schweiz sei, nur «ohne Geld»; was wiederum heissen soll: Die Schweiz ist so etwas wie eine DDR mit genügend Geld.

Mit solcherart überraschenden Befunden, die komplettiert werden von Karina, der rebellischen Hausmeistertochter und Freundin von Marios Frau, ist Lukas Hartmann ein starkes Stück Wendegeschichte aus der Perspektive der Schweiz gelungen, das es verdient, aufgeblättert zu werden.

Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten. Diogenes Verlag. Zürich 2015. 330 Seiten. 33 Franken