Kommentar zum Wahlerfolg des Front National: Der grosse Bruder der SVP

Nr. 50 –

Der Front National schwingt in den französischen Regionalwahlen obenauf. Doch Frankreich erlebt damit nicht den Sieg des Rechtsextremismus, wie jetzt vielerorts zu hören ist.

«Le choc» – der Schock. So titelte das französische Blatt «Le Figaro» am Montag auf seiner Titelseite. Am Tag zuvor hatte der Front National (FN) in den Regionalwahlen 28 Prozent der Stimmen geholt – im zweiten Wahlgang diesen Sonntag könnte er in mehreren Regionalparlamenten die Mehrheit erobern. Als die SVP bei den letzten Wahlen ähnlich gut abschnitt, feierte der Chefredaktor der NZZ das als «Rückkehr zur Normalität». Immerhin wird Frankreichs führende liberal-konservative Tageszeitung von Leuten geführt, die noch ein einigermassen klares politisches Koordinatensystem im Kopf haben.

Die SVP trennt vom FN vor allem eines: Wirtschaftsfragen. Die SVP, die zunehmend in höheren Wirtschaftskreisen verankert ist, will Steuern senken, Arbeitsrechte schleifen und den Sozialstaat abbauen. Der FN, der weiterhin im Kleinbürgertum zu Hause ist, fordert dagegen einen starken Staat, der den sozial schwachen FranzösInnen (aber nur ihnen!) unter die Arme greift. Sonst ist die Politik der beiden Parteien inzwischen nahezu identisch: Die SVP hat sich seit den neunziger Jahren unter Christoph Blocher nach rechts bewegt, während sich FN-Parteichefin Marine Le Pen allmählich von ihrem Vater (und Parteigründer) Jean-Marie Le Pen distanzierte. Dieser betrachtete die Gaskammern der Nazis als «Detail» der Geschichte. Wie die SVP poltert der FN heute vor allem gegen die EU und gegen – insbesondere muslimische – MigrantInnen. So fand Blocher jüngst in der SRF-Sendung «Schawinski» nur lobende Worte für den FN.

Ist diese politische Haltung nun rechtskonservativ? Oder rechtsextrem, wie die NZZ über den FN wiederum schreibt? Weder noch. Der Rechtsextremismus bejaht Gewalt und lehnt den demokratischen Pluralismus ab. Das tut weder die SVP noch der FN. Der Rechtskonservatismus dagegen ist die Politik der Eliten, die ihren Besitzstand zu wahren suchen – und zwar möglichst unter Ausschluss der einfachen Bevölkerung, der sie skeptisch gegenüberstehen. Wie die SVP ist der FN jedoch geradezu der Inbegriff einer Partei, die ihre Politik durch die ständige Mobilisierung der Bevölkerung vorantreibt. Die Partei verkörpert damit jenen Rechtsnationalismus, der letztmals Anfang des 20. Jahrhunderts den Aufstieg feierte.

Den Boden für den Erfolg des FN legte die Wirtschaftskrise der siebziger Jahre, die in eine hohe Arbeitslosigkeit führte. Als 1981 der Sozialist François Mitterrand Staatspräsident wird, sind die Hoffnungen der einfachen ArbeiterInnen und Angestellten in ihn immens – zwei Jahre später wendet sich ausgerechnet er von ihnen ab und bringt das Land auf einen stramm wirtschaftsliberalen Kurs. In den darauffolgenden Jahren krempelt Frankreich zusammen mit Deutschland den Kontinent zu einem grossen Binnenmarkt um – mit freiem Kapital- und Personenverkehr. Wie überall beginnt auch in Frankreich die wirtschaftliche Ungleichheit sich zu verschärfen.

Der FN ist zur neuen politischen Heimat jener geworden, die sich als VerliererInnen dieser Globalisierung sehen und sich im Stich gelassen fühlen. Neben KleinbürgerInnen sind es vor allem auch geringverdienende ArbeiterInnen, von denen viele zuvor kommunistisch wählten. Der FN gewinnt insbesondere in den armen urbanen Regionen und in Gegenden, in denen die Ungleichheit besonders krass ist: in Avignon, Perpignan, Nîmes.

Seinen ersten Achtungserfolg erzielte der FN 1983, als Mitterrand wirtschaftlich umschwenkte – Jean-Marie Le Pen machte bei den Gemeindewahlen elf Prozent der Stimmen. 2002 gelingt Le Pen dann die Sensation, als er bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Wahlgang den Sozialisten Lionel Jospin überflügelt. Er wird nur deshalb nicht gewählt, weil die SozialistInnen im zweiten Wahlgang den Konservativen Jacques Chirac unterstützen. Seit Tochter Marine Le Pen 2011 den Parteivorsitz geerbt hat, geht es mit der Partei weiter aufwärts. Die Wirtschaftskrise, die Flüchtlingskrise und die jüngsten Anschläge in Paris sind weiteres Wasser auf deren Mühlen.

Das Rezept des FN – wie aller RechtsnationalistInnen – besteht darin, rhetorisch den klassischen Konflikt zwischen unten und oben zu überwinden: zwischen ArbeiterInnen und bürgerlicher Elite, Sozialisten und Liberal-Konservativen – um Reichtum und Rechte. An dessen Stelle setzt er den Kampf der Nation gegen das Fremde: gegen die EU, gegen ZuwanderInnen. Kurz: Der Rechtsnationalismus fordert den Schulterschluss zwischen Bürgertum und Beschäftigten. Anders als die klassischen Parteien, die soziale Klassen vertreten, greift er nach dem gesamten Volk.

Seit Marine Le Pen am Ruder ist, definiert der FN dieses Volk – ganz in der Tradition der Französischen Revolution – weniger als Ethnie denn als Zusammenschluss von StaatsbürgerInnen. Der FN verspricht sich dadurch neue WählerInnen. Entsprechend bekämpft er den Islam vermehrt im Namen eines autoritär verstandenen Laizismus, mit dem die Revolutionäre einst die Kirche zerschlugen.

Marine Le Pen wird jedoch kaum die nächste Präsidentin Frankreichs. Überholt sie 2017 die SozialistInnen, wird sich die Linke im zweiten Wahlgang erneut hinter den Kandidaten der Konservativen stellen. Anders in der Schweiz, wo die SVP mit Guy Parmelin eben einen zweiten Sitz in der Regierung erhielt.