Deutschlands neue Mehrheiten: Rechter Protest, linkes Desaster

Nr. 11 –

Am Wahlabend stand ihnen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Dass es knapp werden würde, hatten sich die rund fünfzig Mitglieder und SympathisantInnen der Linkspartei im Kreis Konstanz gedacht – aber eine solche Schlappe war nur von wenigen erwartet worden: landesweit unter drei Prozent, und das trotz wochenlangem Einsatz. Der gesellschaftliche Rechtsruck und die zunehmende Entsolidarisierung habe auch Die Linke getroffen, erklärten die beiden Landtagskandidaten.

Aber reicht diese Begründung? Fest steht: Seit den Landtagswahlen am Sonntag gibt es in Deutschland die rot-rot-grüne Mehrheit nicht mehr, die im Bundestag derzeit noch besteht. Mit den Erfolgen der rechtspopulistischen bis völkisch-nationalen Alternative für Deutschland (AfD) hat sich das Parteiengefüge grundlegend verändert. Darüber können auch punktuelle Triumphe nicht hinwegtäuschen. Die Grünen berauschen sich am Sieg des wertkonservativen Pragmatikers Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, haben aber in Rheinland-Pfalz fast zwei Drittel aller Stimmen eingebüsst und auch in Sachsen-Anhalt verloren. Die SPD feiert die Wiederauferstehung ihrer rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Das macht den Niedergang der Partei in den beiden anderen Bundesländern jedoch nicht wett, wo sich ihr Stimmenanteil auf knapp über zehn Prozent halbierte. Und Die Linke scheiterte auf der ganzen Linie.

Warum? Es gibt eine Reihe von Gründen. Die Linkspartei wird – auch durch eigenes Zutun – als Einthemapartei wahrgenommen, obwohl sie längst auf vielen Gebieten Kompetenz vorweisen kann. Doch sie vertritt vorwiegend die Interessen der prekär beschäftigten Lohnabhängigen und der SozialhilfeempfängerInnen. Das ist solidarisch, reicht aber nicht in einer Gesellschaft, in der alle der Mittelschicht angehören wollen und viele Arme nicht zur Wahl gehen.

Die SPD wiederum kann sich nicht entscheiden, ob sie den Kniefall ihres früheren Kanzlers Gerhard Schröder vor der neoliberalen Ideologie weiterhin für richtig hält oder doch nicht mehr ganz so gut findet. Und die Grünen schwanken zwischen Machterhalt und ihren einstmals hehren Prinzipien.

Diese drei Parteien gehören in den Augen jener, die jetzt der AfD zuliefen, zum politischen Establishment: abgehoben, konzeptlos, auf sich selbst bedacht. Ganz abwegig ist diese Sicht nicht. Auch Die Linke beteiligte sich ja im Osten aus Gründen des «Sachzwangs» an Kürzungspolitik und Sozialabbau.

Wahlentscheidend war aber auch, dass in der medialen Behandlung des Flüchtlingsthemas vor allem zwei Lager zu Wort kamen: die Stacheldrahtparteien AfD und CSU (sowie Teile der CDU), die eine nationalistische Lösung der «Flüchtlingskrise» wollen, und jene Parteigliederungen, die Angela Merkels Strategie einer Europäisierung der Abschottung gutheissen, darunter auch Teile der SPD und von Kretschmanns Grünen. Das dritte Lager hingegen blieb weitgehend unbeachtet. Noch immer setzen sich Zehntausende für die Geflüchteten ein. Sie organisieren parteiübergreifend und jenseits aller politischen Strukturen konkrete Hilfe, veranstalten Deutschkurse, demonstrieren gegen rechte Aufmärsche und plädieren – wie die Linkspartei – für den Erhalt des Asylrechts.

Laut Wahlanalysen sollen sich über zwei Drittel der AfD-WählerInnen aus «Protest» dagegen, dass ihre Ängste nicht wahrgenommen werden, für die Deutschnationalen entschieden haben. Ein vorübergehendes Phänomen also? Das scheinen jene Parteien, die nun routiniert wieder zur Tagesordnung übergehen, tatsächlich zu glauben.

Doch so einfach ist das nicht. Die derzeitige Migration polarisiert zwar, ist aber bei weitem nicht die grösste Herausforderung. Denn auf die Menschen kommt noch mehr zu – wenn sich die soziale Spaltung fortsetzt, der Klimawandel anhält, die Macht von Finanzinstitutionen und Konzernlobbys weiter wächst und dann noch die nächste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hereinbricht. Gerade deshalb wäre eine wirklich linke Politik nötig, die etwa eine bessere soziale Absicherung durchsetzt. Sonst könnte die Gesellschaft wirklich auseinanderfallen.