Saul Williams: So dringlich, dass es knallt

Nr. 12 –

Er ist die Wiedergeburt von Allen Ginsberg mit der Wucht von 2Pac: der New Yorker Dichter Saul Williams. Wer ihn im Zürcher Moods verpasst hat, muss sich halt sein neues Album besorgen.

Der Lärm, der aufrüttelt: Saul Williams. Foto: Armin Büttner

Einverstanden: Der vergangene Sonntagabend im Zürcher Moods wird nicht als weiterer Höhepunkt in die Karriere von Saul Stacey Williams eingehen, was aber definitiv nicht am New Yorker Dichter lag. Welche Drogen muss man genommen haben, um einen Abend mit einem Künstler, dessen zentrales Gedicht «Children of the Night» heisst und der mit seiner geballten Energie wie eine Reinkarnation von Allen Ginsberg wirkt, auf 19 Uhr anzusetzen, sodass uns allen den ganzen Abend klar ist, dass dort oben auf der Bühne nun also der Poet steht und hier unten die verfluchten IdiotInnen stehen, die sich bei ihm ein bisschen Mut abholen für die Woche, die aber morgens um sieben Uhr wieder rausmüssen, um das ohnehin schon bizarr hohe Bruttosozialprodukt anzukurbeln, das der da oben eigentlich in die Luft sprengen will? Und das hat dann doch ein wenig auf die Stimmung geschlagen.

Natürlich hat es trotzdem gepasst, geknallt. Muss man niemandem erklären, der gesehen hat, wie Saul Williams im Film «Slam» (1998) auf einem Gefängnishof das Gedicht «Amethyst Rock» spricht, spuckt, schreit (und wer nicht, findet die entsprechende Szene auf Youtube). Im Moods stellte sich Williams als Erstes ins Publikum, dann spielte er alle Stücke seines neuen Albums «MartyrLoserKing», das Sie unbedingt kaufen sollten. Oder gratis herunterladen. Dass das klargeht, hat Williams schon in «Act 3 Scene 2 (Shakespeare)» deutlich gemacht, einem Ruf an die Jugend in den Ghettos des eigenes Landes: «Download this song for free, by any means.» Der Inhalt zählt, nicht der Kompromiss.

Die Geschichte der Verwandlung vom Dichter zum Musiker Saul Williams begann nach dem Film «Slam», als ihn Rick Rubin ins Studio lud, um das Album «Amethyst Rock Star» (2001) aufzunehmen, auf dem Rubin die Gedichte des Poeten ganz schön schräg vertonte. Das Resultat: unglaubliche Dringlichkeit, und die hat er sich bis heute bewahrt. Kürzlich gab Williams in einer Morgenradioshow das Stück «Roach Eggs» zum Besten. Man kann das im Internet sehen: Er sitzt mit Sonnenbrille und Kaffee auf so einem bekloppten schwarzen Bürostuhl, und dann reisst er rappend fast das Studiodach ab.

Gott ist immer eine Frau

Bis er Rick Rubin traf, war Williams ein Spoken-Word-Künstler in New York, einer der Väter der Slam Poetry. Deshalb muss man seine Gedichte besser nicht nur lesen, sondern auch hören. Dazu empfiehlt sich Youtube, denn in roher Form und ohne musikalische Begleitung gibt es bisher keine Tonträger von Williams. Suchbegriffe: «Children of the Night» und «Coded Language». Gott ist bei Saul Williams immer eine Frau, und «the greatest Americans» sind bei ihm noch nicht geboren worden, sondern sie warten still darauf, dass ihre Vergangenheit endlich stirbt.

Man kann hier fühlen, was Slam war, welche Sprengkraft diese Kunstform hatte, bevor sie von einer Bande europäischer Mittelstandskids zur Pausenattraktion bei «Giacobbo/Müller» degradiert wurde. Bei Williams war Slam die logische Fortsetzung von 2Pac mit den Mitteln von Allen Ginsberg. Oder umgekehrt. Sein Album «Niggy Tardust» (2008), produziert von Trent Reznor, gilt als Blaupause für Kanye Wests Verwandlung vom Popper hin zum Industrialrabauken.

Unterstützt von 2Pacs Mutter, der Black-Panther-Aktivistin Afeni Shakur, spielte Williams dann die Hauptrolle in «Holler if Ya Hear Me» (2014), einem Musical mit Texten des 1996 ermordeten Rappers. Der lange Weg an den Broadway: Williams war einst der Schulstreber in Newburgh, dem gefährlichsten Viertel New Yorks. Er verkaufte seine Hausaufgaben den «hustlers», er war so schwarz, sie nannten ihn «black Stacey», und darüber hat er eines seiner besten Stücke geschrieben: vom Selbsthass hin zur Emanzipation durch die Texte und Taten der Politaktivistin Assata Shakur, 2Pacs Stieftante. Immer hatte er ein Notizbuch dabei, «weil der Moment, zu schreiben, einen findet, und nicht umgekehrt».

Drohnen statt Bugattis

Heute steht das Land, über das Williams dichtet, vor dem Nervenzusammenbruch. Ist die Masseninhaftierung von AfroamerikanerInnen seit dem «Krieg gegen Drogen» das Synonym für eine neue Rassengesetzgebung? Diese These von Michelle Alexanders Sachbuchbestseller «The New Jim Crow» ist der Überbau der Bewegung Black Lives Matter, die das Land neu politisiert hat. Aber wie diese Stimmung einfangen?

Der junge Rapper Vic Mensa etwa, mit dem Williams ebenfalls zusammengearbeitet hat, steht zwar bei Demonstrationen in der ersten Reihe, in seiner Musik aber dominiert der pure Flow: Wir flüchten auf Codein in einem Bugatti aus den Slums des zerfallenden Chicago. Keine Frage: Funktioniert wunderbar. Williams aber erinnert auf «MartyrLoserKing» daran, dass die Realität für die meisten anders aussieht: kein Bugatti. und wenn Drogen, dann häufig verbunden mit Gefängnis und lebenslang verlorenem Wahlrecht. Armut und ihre Auswirkungen auf die Psyche, Menschen, die in Detroit aus ihren Häusern fliegen, und Drohnen, die über uns kreisen, in Burundi, Baltimore, Cleveland: Die Realitäten des Black-Lives-Matter-Zeitalters bilden das Zentrum dieses Protestalbums.

Dann ist Saul Williams nach Ferguson gereist, um dort, wo der Schüler Michael Brown von einem Polizisten erschossen wurde, einen Clip aufzunehmen für das Stück «The Noise Came From Here». Der Lärm, der aufrüttelt: der rote Faden, der sich durch das Werk von Saul Williams zieht.

Saul Williams: MartyrLoserKing. Fader/Universal