Von oben herab: Macht dicht

Nr. 15 –

Stefan Gärtner über Cannabis, TV-Serien und Knausgard

Eigentlich hab ich ja immer eine Antwort, und das muss ich auch, denn ich kriegs bezahlt; aber warum, warum nur ist die Schweiz, in anderen Dingen so glänzend verbohrt, so glänzend (und seis versuchsweise) liberal in ihrer Drogenpolitik? Ein staatlicher Test, wie sich das Kiffen legalisieren lasse, und die deutsche «Bild» würde schäumen; der Schweizer «Blick» hingegen in geradezu frivoler Nüchternheit: «In Bern wird Kiffen legal. Staatlich lizenzierte Bauern liefern das Cannabis, wer konsumieren will, muss einem Verein beitreten. So die Pläne des Berner Stadtparlaments zum legalen Kiffen in Clubs.»

Dabei ist die calvinistische Schweiz eigentlich überhaupt kein passender Drogenort (und jedenfalls ein schlechterer als, sagen wir, Jamaika), denn es ist, Max Weber zufolge, die «innerweltliche Askese» und die «Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben», die den erwählten Calvinisten zum Objekt einer absolut opaken göttlichen Gnade macht. Es ist vielleicht kein Zufall, dass von der Aufputschdroge Koks laut Forschern der Uni Lausanne, die «im Abwasser nach Spuren von verschiedenen Rauschgiften» gesucht haben, in grösseren Schweizer Städten «viel mehr» konsumiert wird «als in anderen europäischen Metropolen» («Tages-Anzeiger»); und vielleicht ist das auch ganz guet so, weil ohne das Koksen (und das gleichfalls beliebte Crystal Meth) in der Schwiiz alles noch einmal viel langsamer ginge, hahaha! Und apropos: Natürlich darf man in Bern kiffen, denn es fällt ja gar nicht auf, odrr …

Aber «Scherz» beiseite: Koks und Crystal bleiben freilich illegal, während der Konsum von Cannabis, der Droge, die allenfalls zur Bewährung beim DVD-Gucken, Quatschdenken und Kühlschrank-Leerfressen taugt, schon jetzt nur mehr mit einem Ordnungsgeld belegt wird. Noch 2008 war das Schweizer Stimmvolk gegen eine Freigabe gewesen; dass sich gegen Drogen kein Krieg führen lässt, beginnt sich allerdings herumzusprechen, und wie sehr das immer wütender sich drehende kapitalistische Mahlwerk auf ausgleichende Sedative angewiesen ist, womöglich auch. Schliesslich hat auch die Mode des Serienwegguckens, wo wir eben davon sprachen, mit Betäubung zu tun, und das automatisierte Gekrähe im Feuilleton, es handele sich hierbei um die Romane des 21. Jahrhunderts, verkennt, dass der intellektuelle Aufwand, den «Breaking Bad» verlangt, sich von dem einer Balzac-Lektüre dann doch unterscheidet. Auch gutes Fernsehen ist Fernsehen: Es lässt uns passiv, und es hört nicht auf.

Analog dazu erklären sich kluge Leute (wie ich) den Massenerfolg eines Karl Ove Knausgard mit ebendiesem zeitgenössischen, fernsehinduzierten Hang zur seriellen Betäubung: Literatur, die sich im Fortgang erschöpft, keine Fragen stellt, «süchtig macht», wie die passende Feuilletonphrase lautet, darin aber wie die Glotze (oder wie der nächstbeste Alpenkrimi) funktioniert; vermutlich kann man sogar noch gut kiffen dabei. Und einen Eimer Eis verputzen.

Und drum wird Kiffen jetzt gerade in der hoch kapitalistischen Schweiz erlaubt, denn erlaubt wird alles, was ruhigstellt und blöd macht; und als jemand, der viel Zeit mit Cannabis und Fernsehen verbracht hat, muss ich sogar dafür sein.

Das ist die Dialektik. Bzw., um mit Gunnar Homann und seinem Helden Viktor aus dem vorzüglichen, durchaus kiffaffinen Roman «All Exclusive» (Köln 2011) zu seufzen: «Ist das nicht zum Lachen?»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.