Gefängnis: Richtig ticken

Nr. 18 –

Wie der Langzeitgefangene Hugo Portmann zu seiner Wunschuhr kam. Warum er sich nicht therapieren lassen will. Und ein kleiner Werbespot für Swatch-Besitzer Nick Hayek.

Die Uhr besitzt alles, was er nicht brauchen kann. Einen Höhenmesser zum Beispiel. Sämtliche Gebäude auf dem Gefängnisareal Regensdorf sind ausgesprochen niedrig. Oder einen Kompass. Den Weg von seiner Zelle zur Kantine kennt er auswendig. Oder das eingebaute Barometer. Auf Wetterprognosen ist man in einem Gefängnis so wenig angewiesen wie auf Regenschirm und Sonnenbrille. Als verwahrter Gewohnheitsverbrecher lebt Hugo Portmann seit nunmehr 32 Jahren fast ununterbrochen im Beton des geschlossenen Vollzugs. Das ist vermutlich Schweizer Rekord für einen Nichtmörder und Nichtsexualstraftäter.

Entdeckt hatte er die Uhr im Internet. Sie kostete 995 Franken. Für Hugo Portmann kein Problem. Er geht sparsam um mit seinem Peculium, seinem Besitz. Raucht nicht, trinkt nicht, mietet keinen Fernseher und erscheint jeden Morgen pünktlich zur Arbeit. Die Strafanstalt stellt ihm nur allerbeste Zeugnisse aus, lobt Disziplin, Höflichkeit und Fleiss. «Ein Langzeitgefangener, wie es sie kaum noch gibt», schwärmte ein früherer Gefängnisdirektor.

Erst wollte er die Uhr in einer Bijouterie in Regensdorf kaufen. Als Umweltschützer legt er Wert auf kurze Wege und lokales Shoppen. Doch die Frau am Telefon zierte sich. Sie mochte keine Uhr ins Gefängnis liefern, schon gar nicht eine solche. Auch die Anrufe in andere Uhrengeschäfte schlugen fehl. Sein Anliegen schien allen so befremdlich, als wollte er einen Partyservice mit Stripteasegirls auf seine Zelle ordern.

Schliesslich gab ihm eine Verkäuferin den entscheidenden Tipp: «Sie können die Uhr nur im Internet bestellen, im Laden abholen oder direkt in der Fabrik kaufen.» Das Internet kam nicht infrage. Hugo Portmanns Gefängnislaptop verfügt nur über beschränkte Funktionen. «Ausbrechen und die Uhr persönlich im Laden abholen wollte ich auch nicht. Ich möchte nicht auf Platz eins der Rangliste ‹Dümmste Verbrecher der Schweiz› landen», sagt er jetzt im Besucherraum der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf.

«Ich bin nicht krank»

Hugo Portmann, inzwischen 57 Jahre alt, wirkt noch immer, als gewänne er mühelos jeden Spurt durch den Gefängniskorridor. Seinen Körper hält er mit eiserner Disziplin fit. Morgens um fünf Uhr macht er eine halbe Stunde Yoga. Es folgen Bodenübungen und Klimmzüge. Von sieben bis fünfzehn Uhr arbeitet er in der Schreinerei; abends beaufsichtigt er den Kraftraum. Die Maschinen haben die Gefangenen mit ihren Bussengeldern bezahlt. Der Andrang ist stets gross, die Stimmung explosiv. Ein Maghrebiner stürzte sich mit der Rasierklinge auf Hugo Portmann, als dieser ein Gerät nicht sofort freigab. Vor allem die Männer aus Europas Osten und Afrikas Norden trainieren sich hier Sixpacks für das Leben in Freiheit an.

Hugo Portmanns einzige Chance, zu seiner Uhr zu kommen, war die Fabrikbestellung. Also schrieb er: «Guten Tag Herr Nick Hayek, ich habe in der Zeitung von Ihrem juristischen Kampf gegen die UBS gelesen, die Ihr Geld durch dilettantische Spekulationen in den Sand gesetzt hat. So dachte ich mir: Nachdem Sie von einer Bank beschissen wurden, sind Sie vielleicht nicht mehr so bankenfreundlich eingestellt und haben keine solche Abneigung, einem alten Ex-Bankräuber zu helfen.» Dann folgte die Bitte: «Könnten Sie nicht veranlassen, dass mir Ihre Firma das Modell Tissot T-Touch Expert Solar per Post-Nachnahme zuschickt? Die Bewilligung der Direktion der JVA Pöschwies zum Kauf liegt vor.» Der Brief endete wie alle Portmann-Briefe: «Ich grüsse Sie aus der früheren Justizvollzugsanstalt Pöschwies, heute Urbanioks Psychoversuchsanstalt Wöschwies.»

Frank Urbaniok ist Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Justizvollzugs Zürich. Dank seiner zackigen Umtriebigkeit werden inzwischen ein Viertel der rund 430 Pöschwies-Gefangenen psychiatrisch behandelt. Das hat für die Gefangenen viele Vorteile. Während der durchschnittlich zwölf Therapiestunden wöchentlich müssen sie erstens nicht arbeiten und erhalten zweitens gratis Antidepressiva und Schlaftabletten. Diese wiederum lassen sich, so nicht unter Aufsicht geschluckt, an Insassen verhökern, die kein Geld für härtere Drogen haben.

Vor allem freilich: Nur Gefangene, die das Nadelöhr der «deliktorientierten Therapie» passieren, haben eine Chance auf Entlassung. Damit sollen die Gefährlichkeit und das Rückfallrisiko von psychisch gestörten Sexual- und Gewalttätern gesenkt und die absolute Sicherheit fordernde Öffentlichkeit beruhigt werden.

Hugo Portmann weigert sich, die Therapie zu machen. «Ich bin nicht krank. Deshalb muss ich auch nicht geheilt werden.» Bankräuber wurde er aus rein praktischen Gründen: «Ich brauchte Geld.» Beim dritten Banküberfall galt der damals 25-Jährige als Wiederholungstäter und wurde, noch nach altem Recht, als Gewohnheitsverbrecher verwahrt. Jetzt kann ihn seine Weigerung, «mich psychisch zu entblössen, dem System total auszuliefern und zu kapitulieren», die ordentliche Entlassung 2018 kosten.

«Die schönste Minute»

Nick Hayek beantwortete Hugo Portmanns Uhrenbitte postwendend. Der CEO der Swatch Group schrieb: «Ich habe mir überlegt, wie wir das Problem schnell lösen könnten. Schliesslich dachte ich mir, wir bringen die Uhr doch am besten selbst vorbei.» Zwei Tage später klingelte Hayeks Privatkurier am Gefängnistor in Regensdorf und übergab der Wachperson am Empfang ein Päckchen aus Biel. Hugo Portmann erlebte «die schönste Minute in der langen Zeit der Unfreiheit». Und fügt an: «Die verdutzten Gesichter der Aufseher waren echt amüsant.»

Auch in Sachen Bezahlung fand Nick Hayek eine kreative Lösung. Er schrieb: «Ich gewähre Ihnen auf den Verkaufspreis einen ‹Portmann-Rabatt› von 31 Prozent, da Sie seit 31 Jahren im Gefängnis sind. Wir verzichten auf den Restbetrag, aber ich habe einen Wunsch, nämlich, dass Sie ihn einer gemeinnützigen Organisation zukommen lassen. Ich überlasse es Ihnen, wen Sie berücksichtigen wollen. Wie Sie es für richtig empfinden, da vertraue ich Ihnen und Ihrem eigenen Gefühl.»

Noch am gleichen Tag überwies Hugo Portmann der Glückskette tausend Franken. Den Portmann-Rabatt wies er, aus Rücksicht auf den guten Ruf seines Gönners, zurück: «Wenn Neider und andere Ihnen nicht Gutgesinnte draussen in der Zivilisation erfahren, dass Sie einem zu Recht verurteilten früheren Bankräuber diesen Nachlass gewährten, kann Ihnen das schaden.» Seine Sorge ist wohl unnötig. Wer seine Briefe wie Nick Hayek unterschreibt – ein dicker schwarzer Blitz, der die Seite zu sprengen droht –, kümmert sich kaum um die Meinung von Schlechtgesinnten.

Inzwischen hat sich zwischen Bankenopfer Hayek und Bankenschädiger Portmann ein loser Briefwechsel entwickelt. Hugo Portmann lässt Nick Hayek launig wissen: «Nur Dilettanten rauben heute eine Bank aus. Wahre Profis gründen eine Bank und beziehen überrissene Boni.» Nick Hayek kontert: «Es amüsiert mich mächtig, wenn ich mir vorstelle, einem Banker zu empfehlen, sich die ethischen Grundsätze eines (…) Ex-Bankräubers zum Vorbild zu nehmen.» Hugo Portmann bedauert, dass die Swatch Group eine auf Wasserstoff basierende Entwicklung fallen lässt, die «doch eine Alternative zu fossilen Energieträgern ist». Nick Hayek beruhigt den Umweltschützer: Seine Firma Renata wird sich «voll und ganz auf die Entwicklung einer revolutionären, emissionsfreien Batterie fokussieren».

Mal grüsst Hayek «mit einer Piratenfahne vor dem Bürofenster», mal mahnt er: «Lassen Sie sich auf Ihrem Weg nicht beirren.» Doch aufgeben kommt für Hugo Portmann ohnehin nicht infrage. In der Zwangstherapie sieht er einen Angriff auf seine letzte Privatzone: «Ich bin zu achtzig Prozent fremdbestimmt. Aber mein Gehirn habe ich nicht in der Effektenkammer abgegeben.»

Anwalt Bruno Steiner freilich sorgt sich um die Gesundheit seines Klienten: «Wenn einer lange genug im Gefängnis sitzt, dreht er fast unweigerlich durch. Das ist ein Machtspiel: Wer verliert zuerst die Nerven?» Für ihn ist klar: Man will am prominenten Gefangenen Portmann demonstrieren, wie rigoros heute der Strafvollzug gehandhabt wird. Zudem stört ihn, wie viele andere JuristInnen, dass «jetzt schwammige psychologische Prognosen statt präzis fassbare juristische Kriterien die Strafdauer bestimmen».

Vergeblich auch hat Bruno Steiner versucht herauszufinden, worin die Therapie besteht und wie sie wirkt: «Eine Blackbox.» Ein Klient erzählte ihm, er plaudere mit seinem Therapeuten jeweils «über Gott und die Welt und das kulinarische Zürich». Ein anderer machte sich über allerlei Kinderspiele lustig. Messbarer als die Wirkung sind die Kosten von Plaudern und Spielen. Man spricht von 22 000 Franken pro Jahr und Gefangenen. «Bei uns laufen inzwischen fast mehr Psychiater und Psychologen als Aufseher herum», stellt Hugo Portmann fest.

An seinem Handgelenk sitzt die Uhr, voll sportlicher Wucht, eine Komplizin. Er dreht an ihrem Gehäuse, drückt auf die Knöpfe, tupft auf das Zifferblatt. Zahlen rasen über das Display, Zeiger bewegen sich im Zeitraffer, auch der Alarm funktioniert. Die Batterien, sagt er, würden mit Sonnenlicht betrieben. Ob sie tatsächlich mal die Sonne sehen, bleibt ungewiss. Denn Therapieverweigerung gilt als seelischer Defekt und wird mit weiterem Freiheitsentzug auf unbestimmte Zeit bestraft. Hugo Portmann sagt: «Entweder ich gewinne den Kampf, oder ich sterbe hier.»

Hugo Portmann ist Legastheniker. Seine Briefauszüge wurden grammatikalisch korrigiert.

Margrit Sprecher ist mehrfach preisgekrönte Reporterin und Buchautorin. Vergangene Woche wurde sie mit dem Swiss Press Award für ihr Lebenswerk geehrt.