Kommentar zum Berner Rot-Grün-Mitte-Bündnis: Besser im Schlafwagen?

Nr. 18 –

Das Berner Rot-Grün-Mitte-Bündnis lebt weiter – trotz Krach. Sonst kommt es womöglich schlimmer.

Sie haben sich noch einmal zusammengerauft. Am Montagabend haben die Berner SP und das Grüne Bündnis beschlossen, das Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM) zu retten. Also werden auch diesen Herbst die SP (28 Prozent WählerInnenanteil), das Grüne Bündnis (GB, links, gut 10 Prozent) und die Grüne Freie Liste (GFL, nicht so links, knapp 10 Prozent) gemeinsam in den Wahlkampf um die fünfköpfige Berner Stadtregierung ziehen.

Die Woche war turbulent, und lange schien eine Einigung unmöglich: zu gross die Differenzen zwischen der SP, die Anspruch auf zwei Sitze erhebt und Ursula Wyss ins Stadtpräsidium bringen will, dem GB mit seiner Stapi-Kandidatin Franziska Teuscher und seinem aufmüpfigen linken Flügel, der RGM nicht mehr viel abgewinnen kann, und dem Stapi-Kandidaten und Bernburger Alec von Graffenried, der auch für GFL-Verhältnisse weit rechts steht. Die SP wollte maximal zwei KandidatInnen zulassen, die anderen beiden nicht nachgeben – Streit perfekt. Am 29. April stiessen Juso und Junge Alternative vor dem Rathaus bereits auf eine «Ära der klar linken Politik ohne faule Kompromisse» an. Wäre es besser gewesen, RGM sterben zu lassen?

Am 6. Dezember 1992 lehnten die Schweizer Stimmenden den Beitritt zum EWR ab und beschleunigten so den Aufstieg von Christoph Blochers SVP. Doch am gleichen Tag gelang es, die Stadt Bern den Rechtsbürgerlichen zu entreissen, die in den Jahren davor kompromisslos, knallhart gegen linke Bewegungen und erst noch defizitär gewirtschaftet hatten. Der präzis berechnete Plan, den der Statistiker Werner Seitz, die spätere Ruth-Dreifuss-Beraterin Claudia Kaufmann und der Journalist Heinz Däpp ausgeheckt hatten, ging auf.

Die Städte hatten damals keinen guten Ruf. Im Gegensatz zu heute waren harte Drogen auf der Strasse noch sichtbar. Das Schlagwort von «A-Städten» machte die Runde: Dort wohnten angeblich nur noch Arme, Arbeitslose, Ausländerinnen, Alkoholiker. Wer es sich leisten konnte, zog in die Agglo. Dann schafften es in immer mehr Städten rot-grüne Regierungen an die Macht. Dass Heroin aus der Mode kam, urbanes Wohnen wieder populär wurde, dass mit der Personenfreizügigkeit gut qualifizierte EuropäerInnen in die Städte drängten, das alles hing nicht direkt mit Rot-Grün zusammen. Aber dass es Bern nach der RGM-Wende besser ging, war unübersehbar. Bei der Förderung von günstigem Wohnraum wäre mehr möglich gewesen, und das Verhältnis zu linken Bewegungen blieb schwierig. Aber das Bündnis schaffte es, die Stadt finanziell zu sanieren und trotzdem Kultur – inklusive Reitschule –, Krippen und den öffentlichen Verkehr zu fördern. Keine schlechte Bilanz.

Würde es auch ohne Rot-Grün-Mitte-Bündnis für eine linke Mehrheit in der Stadtregierung reichen? Locker, glauben Juso und Junge Alternative: Bern sei «immer offener, sozialer und linker geworden». Andere sind da nicht so sicher. Bern wählt seine Regierung im Proporzsystem, viel hängt also von geschickten Listenverbindungen ab. Falls RGM implodieren würde, sich die GFL dem Mitteblock aus CVP, BDP, EVP und Grünliberalen anschlösse, gleichzeitig die SVP mit der FDP eine Listenverbindung einginge, wäre die linke Mehrheit wohl dahin. Jetzt hat die SP nachgegeben und lässt beide Bündnispartnerinnen fürs Stadtpräsidium kandidieren.

Wer in Bern mit Linken spricht, hört ihren Zwiespalt heraus. Natürlich sei es angenehm, die linke Mehrheit «im Schlafwagen» zu bekommen. «‹Spannend› ist eine Kategorie für Journalisten, nicht für Politiker», sagt der SP-Stadtparlamentarier und ehemalige WOZ-Redaktor Johannes Wartenweiler. Trotzdem spürt man bei vielen eine Sehnsucht nach weniger gesicherten Verhältnissen, offenen Wahlkämpfen. Und einen Überdruss mit RGM, das als reines Zweckbündnis, böser auch als Machtkartell beschrieben wird.

So bricht auch niemand in Begeisterung aus über die Rettung von RGM. Aber sie ist vermutlich doch das kleinere Übel. Besonders für die Grünen, die zu zerreissen drohen: Kantonal gehören GB und GFL zur gleichen Partei. Mitte-links-Mehrheiten sind bei allen Schwächen etwas wert. Es kann viel schlimmer kommen. Das zeigt sich aktuell gerade im Nationalrat.