Philippinen: Sehnsucht nach dem starken Mann mit der Pistole in der Hand

Nr. 18 –

Der Wahlkampf auf den Philippinen wird von Kandidaten dominiert, die ein Wiederaufleben der Marcos-Ära versprechen und vor Morden nicht zurückschrecken. Impressionen einer Reise durch ein politisch zutiefst zerrüttetes und sozial gespaltenes Land.

Auf der kleinen Parkfläche vor dem nicht viel grösseren Hotel Tiffany in Laoag City, der etwa 110 000 EinwohnerInnen zählenden Hauptstadt der nordphilippinischen Provinz Ilocos Norte, steht ein brandneues motorisiertes Dreirad, landesweit als Tricycle bekannt und als allgegenwärtiges Transportmittel für Menschen, Lasten und Tiere geschätzt. Jonas Mendoza, ein drahtiger Mittdreissiger mit kurzem Bürstenhaarschnitt, zeigt mir stolz sein in kräftigem Gelb und Schwarz gehaltenes Gefährt. 40 000 Peso (umgerechnet 820 Franken) habe er dafür berappen müssen. Viele seiner Freunde würden ihn dafür beneiden; die nämlich seien noch immer darauf angewiesen, ein Tricycle auf Tagesbasis zu mieten. «Im Schnitt komme ich pro Tag auf 300 bis 400 Peso», sagt Mendoza. Für das Doppelte unternehmen wir zusammen einen Tagesausflug.

Marcos über alles

Die Ilocos-Region, auch Ilocandia genannt, ist eine vergleichsweise schmale Tiefebene. Im Osten grenzt sie an die Gebirgsketten der Cordillera, im Westen bildet das Südchinesische Meer mit seinen zahlreichen malerischen Stränden die natürliche Grenze. Landknappheit und Bevölkerungsdruck hatten viele BewohnerInnen der Gegend bereits vor Beginn der US-amerikanischen Kolonialherrschaft (1898–1946) dazu bewogen, ihr Glück im zentralen und südlichen Teil des Landes zu suchen. Ab 1906 migrierten sie dann als erste Filipinos und Filipinas in stetig wachsender Zahl in die USA, vor allem nach Hawaii.

Während der Wahlkampf um die wichtigsten nationalen Ämter in die heisse Phase kommt, schwelgt die gesamte Region in Erinnerungen. Man gedenkt des grössten «apo» («oberster Herr» oder «Boss»), den die Region in der jüngeren Geschichte jemals hervorgebracht hat: des 1921 in Sarrat geborenen Ferdinand E. Marcos. Macoy, wie Marcos gern genannt wird, war ab 1965 über zwei Jahrzehnte lang Präsident der Philippinen – und regierte das Land ab 1972 diktatorisch. 1986 floh Marcos nach einem Volksaufstand in die USA, wo er 1989 starb.

«Ja, Macoy war wirklich der Grösste. Der beste Präsident, den unser Land je hatte», erklärt Mendoza, während wir in seinem Tricycle südwärts durch Laoag City fahren. Woher er das wisse, frage ich ihn, hat er doch persönlich so gut wie nichts von Marcos’ Amtszeit mitbekommen. «Sir, das ist doch allgemein bekannt. Schauen Sie nur, was er allein für diese Region getan hat! Wir haben gute Strassen, wir haben zahlreiche gepflegte historische Stätten. Den Menschen hier geht es besser als in vielen anderen Landesteilen. Und vergessen Sie nicht: Er war einer von uns, ein Ilocano.»

Wir steuern auf die knapp zwanzig Kilometer südlich von Laoag City gelegene Stadt Batac zu. Dort steht das Marcos-Museum. Es ist Teil eines Gebäudekomplexes, in dem zuvor Marcos’ Eltern residierten und wo sich heute zu bestimmten Anlässen der Familienclan trifft. Das zweigeschossige, in spanischem Stil erbaute Haus aus Holz und Backstein zeichnet die Lebensschritte des «apo» nach – und wie.

Das Museum ist vollgestopft mit Devotionalien: Zeugnisse, frühe Ehrungen, Zeitungsausschnitte, in denen Marcos jeweils als Primus gewürdigt ist, Autoschilder jener Limousinen, die der aufstrebende Politiker nutzte – zuerst als Kongressabgeordner, dann als Senator und schliesslich als Senatspräsident. Ausgeschmückt ist auch die Liebe auf den ersten Blick, die sich zwischen dem ehrgeizigen Politiker und seiner späteren Gemahlin, Imelda Romualdez, entwickelte.

In den Raum, in dem die beiden Schönen auf grossen Fotos verehrt werden, ist mittlerweile kreischend eine Schulklasse gestürmt. Die Lehrerin mahnt zur Ruhe. Ich frage sie, ob dieser Besuch Teil des Unterrichts ist. «Ja, natürlich», erwidert sie, «die Kleinen müssen doch auch ihre Geschichte lernen. Erst recht, wenn es sich dabei um einen bedeutenden Ilocano handelt.»

Surreale Welten

Und es bleibt nicht bei den Erinnerungen. Drei Jahrzehnte nach dem Sturz der Marcos-Diktatur lächelt heute, als handle es sich um eine Reinkarnation, der 58-jährige Ferdinand Marcos junior von unzähligen Postern und Flugblättern seiner Fangemeinde zu. Landesweit als «Bongbong» bekannt, schickt er sich als Nochsenator an, am 9. Mai Vizepräsident zu werden. Die Chancen dazu stehen gut; in den letzten Meinungsumfragen führt er die BewerberInnenliste an. Nach der sechsjährigen Amtszeit als Vizepräsident will «Bongbong» noch einmal so lange im Malacañang-Palast weilen – dann als Präsident, versteht sich.

Wichtig ist, dass sich Marcos jr. prächtig mit dem ebenfalls in den Meinungsumfragen führenden Präsidentschaftsanwärter Rodrigo Duterte versteht (vgl. «Ich breche euch die Knochen» im Anschluss an diesen Text). Der jetzige waffenschwingende Bürgermeister von Davao City auf der südlichen Insel Mindanao hat angekündigt, Marcos senior das von dessen Clan und seinen zahlreichen FreundInnen sehnlichst erwartete Staatsbegräbnis mit anschliessender letzter Ruhestätte auf Manilas Heldenfriedhof zu ermöglichen. Da die Regierungen in Manila dies bislang verweigerten, bleibt der «apo» einstweilen noch im Marcos-Mausoleum direkt neben dem Marcos-Museum in Batac aufbewahrt.

«Wir sind im Klassenkampf»

Was ist los im südostasiatischen Inselstaat mit seinen hundert Millionen EinwohnerInnen? Ich suche Rat bei einem alten Freund in der schweisstriefend heissen Hauptstadt Manila. Im alten Stadtbezirk Ermita ringt der Taxifahrer verbissen um jeden Zentimeter und holt das Letzte aus der krächzenden Hupe heraus. Schliesslich steige ich aus und gehe zu Fuss zum Solidaridad Book Shop weiter. Der Laden gehört seit einem halben Jahrhundert dem mittlerweile 91-jährigen Francisco Sionil José, von seinen zahlreichen Bekannten und FreundInnen Frankie genannt. Zahlreich sind auch die nationalen und internationalen Ehrungen, die er als bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller des Landes erhalten hat (siehe WOZ Nr. 28/2015 ).

«Das ist doch ein getreues Spiegelbild unserer Gesellschaft», sagt José, nachdem ich ihm geschildert habe, wie mühselig mittlerweile der Weg zu seinem Laden geworden ist. «Diese City stagniert, Müll allerorten. Wenn ich daran denke, wie die anderen Megacitys wie Seoul, Taipeh, Singapur oder Bangkok sich seit den fünfziger Jahren entwickelt haben! Unseren politischen Eliten mangelt es an Visionen und politischer Durchsetzungskraft.»

«Schon wieder neigt sich die Regierungszeit eines Präsidenten dem Ende zu, der viel heisse Luft geblasen hat», erklärt José. Präsident Benigno S. Aquino III., ein Spross des mächtigen Grossgrundbesitzerclans Cojuangco-Aquino, bezeichnet er als «haciendero». Was Aquino die «Politik des gradlinigen Wegs» nannte sowie das zu Beginn seiner Amtszeit an die Wähler gerichtete Wort «Ihr seid mein Boss», seien Floskeln geblieben. «Sein Kampf gegen die Korruption war einzig gegen politische Kontrahenten gerichtet. Streckenweise regierte er als Angehöriger einer Burschenschaft und protegierte völlig unfähige Personen», sagt der grosse alte Mann. «Selbst hier im Umkreis der glitzernden Shoppingmalls wirst du nachts viele Familien sehen, die auf den Strassen campieren oder tagsüber betteln und nach Essbarem im Müll herumstochern», sagt José. «Was hat sich für sie und die Masse unserer Bevölkerung in all den Jahrzehnten geändert?»

In Josés Büro, im Obergeschoss des Buchladens, hängt eine umgedrehte Landesflagge: Anstelle des blauen Balkens ist der rote untere Balken nach oben gekehrt. Was in der Geschichte bedeutete, dass sich das Land im Krieg befindet. «Wir sind im Klassenkampf – mittendrin», ruf José. «Wäre ich jung, kämpfte ich mit der Guerilla.» Leider seien die Eliten zu amerikahörig und die radikale Linke zu chinahörig gewesen. «Wir müssen eigene Werte und Vorstellungen entwickeln, die dem gemeinschaftlichen Wohl und würdevollem Leben dienen», sagt José. «In gewissem Sinne inszeniert Duterte eine Revolte der Peripherie gegen das imperiale Zentrum Manila.»

Gegen das Vergessen

Später treffe ich eine Frau, die unbedingt verhindern will, dass am 9. Mai die Umfragefavoriten Duterte und Marcos jr. an die Macht kommen und alte Rezepte aus der Marcos-Ära hervorkramen können: Marie Hilao-Enriquez. Sie engagiert sich in der Campaign Against the Return of the Marcoses to Malacañang (Carmma). Diese Kampagne gegen die Rückkehr von VertreterInnen des Marcos-Clans in den Präsidentenpalast wurde am 4. Februar in Erinnerung an den Sturz des Despoten vor dreissig Jahren lanciert. Dahinter stehen frühere Folteropfer und Hinterbliebene politischer AktivistInnen, die von Schergen der Marcos-Diktatur ermordet wurden oder «verschwanden». Hilao-Enriquez sagt: «Wir sind in all jenen Jahren geschunden, verfolgt, vergewaltigt und anderweitig gedemütigt worden. Dennoch kämpften wir gegen Marcos und tun dies auch heute, da sich sein Sohn Bongbong anschickt, Vizepräsident zu werden.»

Während der Marcos-Herrschaft verdoppelte sich die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Menschen von 18 Millionen (1965) auf 35 Millionen (im Frühjahr 1986). Bei Marcos’ Amtsantritt betrug die Auslandsverschuldung gerade einmal umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar. Als er stürzte, war die Verschuldung gegenüber dem Ausland auf annähernd dreissig Milliarden Dollar angewachsen. «Heute stellt sich sein Sohn hin und verklärt jene Jahre als ‹goldene Ära der Filipinos›», empört sich die Aktivistin. «Er spekuliert darauf, dass die Alten vergessen haben und die junge Generation nichts weiss und kennt.»

Unruhiger Süden

Um zu verstehen, was auf den Philippinen derzeit wirklich los ist, muss man auch ganz in den Süden auf die Insel Mindanao fliegen, in die Heimat des wahrscheinlich nächsten Präsidenten Duterte.

Mindanao ist Schauplatz des längsten Konflikts in Südostasien. Streit um Land- und Bodenbesitz, Klassenantagonismen, religiöse und (inter-)ethnische Konflikte, schroffe Stadt-Land-Gegensätze, endemische Armut und Gewalt, lang währende und mitunter äusserst brutal ausgefochtene Familien- und Clanfehden, Widerstand gegen Grossgrundbesitzer und Minengesellschaften – all das findet sich seit langem auf Mindanao und in der südlich angrenzenden Sulusee als explosives Konfliktpotenzial. Es sind dies die Nachwirkungen einer Verkettung von externem Kolonialismus und etappenweiser interner Kolonisierung. Die muslimische Bevölkerung, die Moros, und die indigenen Völker, die Lumad, wurden über die Jahrhunderte marginalisiert und enteignet.

Als das Flugzeug zum Landeanflug auf Cotabato City ansetzt, zeigen sich weite Teile der Insel Mindanao wie von einem hellbraunen Laken überspannt. Es sind Auswirkungen von El Niño, einer seit November letzten Jahres anhaltenden Dürre, die Mensch und Tier immer mehr zu schaffen macht. In der Folge kam es in der nahe gelegenen Stadt Kidapawan Ende März zu Protesten aufgebrachter BäuerInnen und Indigenen, die von der Lokal- und Regionalregierung Lebensmittelhilfen forderten. Doch um die zwischenzeitlich von 6000 Menschen gebildete Strassenblockade aufzulösen, schoss die Polizei in die Menge und tötete drei Demonstranten. Über 100 Menschen wurden verletzt, 43 festgenommen, während Dutzende noch immer vermisst werden.

In Cotabato treffe ich Daniel «Danny» Ong. Der Politikwissenschaftler kam 1960 unweit von Cotabato zur Welt und ist seit Jahrzehnten in verschiedenen in- wie ausländischen NGOs engagiert. Als Organisator, Forscher und Politprofi mit vielfältigen Kontakten zu Personen aus Politik, Wirtschaft und den Kirchen ist er mit der Situation auf Mindanao bestens vertraut. Er hat die Wirren des Kriegs ebenso miterlebt wie die euphorische Aufbruchstimmung der letzten Jahre.

Der bewaffnete Widerstand seitens der Moros flammte insbesondere Ende der sechziger Jahre auf. Mit der Nationalen Befreiungsfront der Moros (MNLF) entstand eine Organisation, die ursprünglich für einen eigenen Staat – die unabhängige Republik Bangsamoro – eintrat. Nach Jahren erbitterten Bürgerkriegs, der etwa 150 000 Menschenleben forderte, besiegelte die MNLF in zwei 1976 und 1996 unterzeichneten Verträgen ihren Frieden mit Manila. Das wiederum bewog ehemalige MNLF-Kader, aus Protest gegen «Verrat und Kapitulation» die Islamische Befreiungsfront der Moros (MILF) zu gründen und am Ziel eines eigenen Staates festzuhalten.

«Die hiesige Zivilgesellschaft hat sich sehr für den Friedensprozess engagiert und sich mit allen Kräften für erfolgreiche Verhandlungen mit der MILF eingesetzt», sagt Ong. Dementsprechend hochgeschraubt seien die Erwartungen gewesen, dass der am 27. März 2014 ausgehandelte Friedensvertrag endlich einen Durchbruch darstellt. Doch auch dieser Prozess scheiterte. Ein Hauptgrund war der «Blutsonntag» des 25. Januar 2015 in Mamasapano. An jenem Tag endete eine Antiterroraktion von Spezialeinheiten der Polizei in einem Fiasko, bei dem laut offiziellen Angaben 44 Polizisten einer Eliteeinheit, 18 MILF-Kämpfer und 6 ZivilistInnen ums Leben kamen (siehe WOZ Nr. 9/2015 ). Hauptverantwortlich dafür war Präsident Aquino, der bis heute hartnäckig jede Schuld von sich weist.

Die aktuelle Stimmung, fasst Ong zusammen, schwanke zwischen Entrüstung, Wut, tiefer Frustration und gedämpftem Optimismus. Der Wahlkampf habe die Gegensätze weiter vergrösert und den Zynismus geschürt. Eigentlich müsste der Sieger, der ab Juli die Geschicke des Landes in den nächsten sechs Jahren lenkt, dem Dialog mit den Moros und dem Friedensprozess im Süden Priorität einräumen – doch das sei längst nicht sicher.

«Lost in negotiation»

Nun ist es ziemlich wahrscheinlich, dass der nächste Staatspräsident von Mindanao stammen wird. Rodrigo Duterte will ein föderalistisches politisches System schaffen. Aber auch dies erforderte die Einsetzung einer Verfassunggebenden Versammlung und ein aufwendiges juristisches Prozedere, was mindestens drei Jahre in Anspruch nähme. Das jedenfalls ist die Meinung von Datu Michael Mastura, der in den frühen siebziger Jahren selbst Mitglied einer solchen Versammlung war und auch Cotabato als Kongressabgeordneter vertrat. Mastura wirkte lange im Verhandlungsteam der MILF als Berater mit.

Die MILF-Führung ist in der misslichen Lage, seit 1997 viele aufreibende Gespräche und Verhandlungen über einen Waffenstillstand und dann über ein Friedensabkommen geführt zu haben – ohne vorzeigbares Ergebnis. Dabei hat die MILF-Führung unter Leitung von Al Haj Murad Ebrahim, Ghazali Jaafar, dem ersten Vizevorsitzenden und Verantwortlichen für politische Angelegenheiten, und dem Chefunterhändler Mohagher Iqbal auch bei Demütigungen durch die gegnerische Seite ein erstaunliches Mass an Contenance gewahrt. Es scheint, dass die führenden Kader wenigstens ein Vermächtnis des Friedens hinterlassen wollen, nachdem ihr bewaffneter Kampf um die Unabhängigkeit gescheitert ist.

Das scheint in den mehrstündigen Gesprächen mit Iqbal und Jaafar immer wieder durch. Gefragt, warum die MILF nach dem Mamasapano-Fiasko die Regierung nicht wegen krasser Verletzung von Abmachungen kritisiert habe, sagt Iqbal: «Was hätte das zu jenem Zeitpunkt genützt? Wir wollten unsererseits die Verhandlungen nicht gefährden.» Jaafar, der untersetzte Vizevorsitzende, fügt hinzu: «Der Vorsitzende Ebrahim hat erklärt, dass die MILF auch nach Präsident Aquinos Amtszeit den Friedensprozess fortzusetzen gedenke.»

Das inspiriert den Generalsekretär des Consortium of Bangsamoro Civil Society, Sammy P. Maulana, zu folgendem Bild: «Iqbal sitzt in einer von der Regierung gestellten Limousine. Anstatt Gas geben zu können, um schnell ans Ziel zu kommen, musste er erkennen, dass man sich auf einer abschüssigen Bahn befindet, wo es nur noch gilt, die Bremse zu bedienen.» Und während sich die alteingesessenen Befreiungsbewegungen um Frieden bemühen, machen sich DschihadistInnen breit. Seit Jahresbeginn haben radikale militante Gruppen auf Mindanao und den Inseln Basilan und Jolo ihre Operationen gegen Regierungstruppen verstärkt. Sie pflegen entweder Kontakte mit der in Indonesien und Malaysia operierenden Jemaah Islamiyah, die ihrerseits al-Kaida nahesteht, oder haben dem Islamischen Staat Treue geschworen.

Egal wie die Wahlen ausgehen: Die künftige Führungsriege in Manila und die politischen Verantwortlichen in den südlichen Regionen stehen vor grossen Herausforderungen, um die Philippinen zusammenzuhalten.

Die Philippinen. Karte: WOZ

Rainer Werning berichtet für die WOZ seit drei Jahrzehnten aus Südost- und Ostasien. Er hat das in fünfter Auflage im Horlemann-Verlag erschienene «Handbuch Philippinen» mit herausgegeben.

Die Wahlen

Für den 9. Mai sind auf den Philippinen allgemeine Wahlen angesetzt. Gut 50 000 BewerberInnen kandidieren für etwa 18 000 Posten – vom Gemeinderat bis zur Gouverneurin, von der Kongressabgeordneten bis zum Staatspräsidenten. Gleichzeitig wird die Hälfte des 24-köpfigen Senats neu besetzt. Fünf KandidatInnen bewerben sich um das höchste Staatsamt, wobei Rodrigo Duterte die besten Chancen auf den Wahlsieg hat.

Die Philippinen stehen vor grossen Herausforderungen: Verringerung der krassen sozialen Ungleichheit und Armut (ein Drittel der Bevölkerung lebt in absoluter Armut) sowie der hohen Arbeitslosigkeit; Verbesserung von Infrastruktur und öffentlichem Transportwesen (vor allem in der Metropole Manila); Friedenssicherung im Süden; Kampf gegen Korruption, Drogen und Kriminalität; Lösung der Territorialkonflikte mit China im Südchinesischen Meer.

Der nächste Präsident? : «Ich breche euch die Knochen»

Ist der 71-jährige Rodrigo Duterte, den seine Fangemeinde kurz «Rody» oder «Digong» nennt, ein «Monster»? So sieht es jedenfalls Leila de Lima, bis vor kurzem Justizministerin und jetzige Kandidatin für den Senat. Oder ist er ein «Soziopath», ein Mensch «mit ausgeprägt narzisstischen Zügen, unfähig, wirkliches Mitgefühl für andere zu empfinden» und «ein selbsterklärter Mörder»? So analysiert ihn die Psychologin und Psychiaterin June Pagaduan Lopez, eine auch international anerkannte Expertin für Traumabehandlung.

Seit nahezu drei Jahrzehnten lenkt Duterte – zeitweilig gemeinsam mit Tochter Sara und Sohn Paolo – als Bürgermeister die Geschicke von Davao City, der mit 1,5 Millionen EinwohnerInnen grössten Stadt der südphilippinischen Insel Mindanao. Sein Erfolgsrezept hat der Mann bereits vor Jahren selbst beschrieben: «In Wahlzeiten sage ich den Leuten immer wieder klipp und klar: Wenn ihr einen Bürgermeister wollt, der keine Kriminellen tötet, dann sucht euch gefälligst einen anderen.»

Vor allem Geschäftsleute schätzen Digongs Sinn für «Stadtverschönerung» und «Sicherheit». Bettelnde, Strassenkinder und Kleinkriminelle sind für den Bürgermeister ein «Gesindel», das es zu «beseitigen» gilt. Recherchen der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ergaben, dass er das Wirken von Todesschwadronen, vor allem der Davao Death Squad (DDS), zumindest gutgeheissen hat. Seit den neunziger Jahren hätten diese mehr als tausend Morde begangen, so Phelim Kine, stellvertretender Direktor der HRW-Asienabteilung. Die meisten Opfer seien Kinder und Jugendliche, deren «Verbrechen» darin bestand, auf belebten Marktplätzen oder vor beliebten Einkaufszentren herumzulungern.

Viele dieser Morde seien im Auftrag von Mitgliedern der Stadtverwaltung verübt worden. Ehemalige DDS-Mitglieder gaben gegenüber HRW zu Protokoll, Morde für 500 Peso (unter zehn Franken) verübt zu haben. «Ihre Aktionen waren mit der Polizei koordiniert, so dass diese nirgends zur Stelle war, wo die Todesschwadronen gerade operierten», heisst es im HRW-Report von 2009. «Die Mitglieder brauchen nichts zu befürchten, weil die Vollzugsbeamten gleichzeitig ihre Bosse sind, die sich umgehend um die Freilassung kümmern.»

Auch «Reisschieber, Drogendealer, Kidnapper, Autodiebe» oder «korrupte Polizisten» hat der Bürgermeister im Visier. Im Mai 2015 liess er sich im auflagenstarken «Philippine Daily Inquirer» so zitieren: «Ich breche euch die Knochen. Ich werde euch hinrichten. Ich werde euch töten.» Die meisten Davaoeñas und Davaoeños halten fest zu ihrem Bürgermeister, der sich vorzugsweise mit Kehrbesen, einer Pistole oder einem Maschinengewehr im Anschlag fotografieren lässt.

Seit Digong um die Jahreswende seine Präsidentschaftskandidatur öffentlich machte, gibt es kein Halten mehr. Der populistische Vertreter der eigentlich sozialdemokratischen Partei PDP-Laban kletterte in den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute rasch auf Platz eins. Wo immer er auftritt, wird er als Heil bringender Messias umjubelt. Ihm traut man zu, im imperialen Manila den «trapos» den Marsch zu blasen. Mit «Fetzen» oder «Putzlappen» sind die traditionellen PolitikerInnen gemeint, die meist Nachfahren steinreicher Familiendynastien sind.

Rainer Werning

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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