Protestwelle in Ägypten: Nur ein kurzes Tolerieren

Nr. 18 –

Auf die regierungsfeindlichen Demonstrationen der letzten Wochen antwortet das Regime mit Massenverhaftungen und Einschüchterungsaktionen gegen die Presse. Doch der Stuhl von Präsident al-Sisi wankt.

Erstmals seit Verabschiedung des restriktiven Protestgesetzes 2013 ziehen die linke und die liberale Opposition wieder auf die Strasse. Auslöser des Unmuts im Land ist die Entscheidung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi, zwei Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien abzutreten – im Gegenzug für milliardenschwere Finanzhilfen. Während das Gros der am 15. April landesweit organisierten Proteste von Sicherheitskräften schon nach Minuten aufgelöst wurde, tolerierte die Staatsmacht rund 3000 vor dem Sitz des JournalistInnenverbands in Kairo versammelte DemonstrantInnen – zumindest zeitweilig. Erst nach Stunden gingen die Beamten gegen die Kundgebung vor und verhafteten Dutzende.

Bei den Protesten dominierte die grundsätzliche Kritik an der repressiven Politik des Regimes al-Sisis. Darüber hinaus waren aber auch dezidiert nationalistische Parolen zu hören. Damit wollten einige Gruppen offensichtlich auch jene Kräfte in der Bevölkerung ansprechen, die dem Regime bis anhin wohlgesinnt waren, aber nun den Ausverkauf des Landes befürchten. Angespornt vom Mobilisierungserfolg, riefen revolutionäre Gruppen wie die im Land verbotene linksliberale Bewegung des 6. April und die trotzkistischen Revolutionären Sozialisten auch für den 25. April zu landesweiten Protesten auf.

Presse im Visier

Doch diesmal setzte das Regime auf präventive Repression. Jeder Protestversuch wurde vom Sicherheitsapparat im Keim erstickt. Bereits im Vorfeld hatten Behörden rund 100 Menschen verhaften lassen – teils gezielt zu Hause, teils willkürlich in Cafés und auf der Strasse. Am Protesttag selbst gingen Sicherheitskräfte rigoros gegen die DemonstrantInnen vor. Die Bilanz der Woche: 1277 Verhaftungen und 577 Strafverfahren, so das Aktionsbündnis Front zur Verteidigung ägyptischer Demonstranten.

Ins Visier der Behörden geriet auch die Presse. Im Zuge der Proteste wurden 43 ReporterInnen zeitweilig festgenommen. Hunderte JournalistInnen protestierten daraufhin vor dem Obersten Gericht gegen die Übergriffe der Polizei. Doch die Staatsmacht setzte weiter auf Eskalation. Dutzende Beamte in Zivil stürmten am Sonntag den Sitz des JournalistInnenverbandes und verhafteten zwei weitere Reporter.

Derweil verschärfte die Justiz auch ihr Vorgehen gegen MenschenrechtlerInnen. In der Nacht vor dem 25. April wurde Ahmed Abdallah in Kairo verhaftet. Er ist der Vorstandsvorsitzende der Ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheit (ECRF). Angeklagt werden soll er nicht nur wegen angeblicher Aufrufe zum Sturz der Regierung und der Verbreitung von Falschnachrichten, sondern auch wegen Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung und der indirekten Förderung terroristischer Straftaten durch die Nutzung des Internets. Wird er dafür verurteilt, drohen ihm 15 bis 25 Jahre Gefängnis.

Fraglich bleibt, warum Abdallah terroristische Vergehen zur Last gelegt werden. Seine Verlobte, die Schweizerin Esraa Shalaan, vermutet eine Rufmordkampagne hinter der Anklage. Beweise für die Vorwürfe seien bisher nicht präsentiert worden, erzählt sie. Muhammad Lotfi, geschäftsführender Direktor der ECRF, bringt die Verhaftung in Verbindung mit einer Resolution, die am 8. März im EU-Parlament verabschiedet wurde. Darin wird Kairo kritisiert, es verletze die Menschenrechte. Insbesondere wird der ägyptische Staat auch für den Tod des Doktoranden Giulio Regeni mitverantwortlich gemacht, der im Januar in Kairo verschleppt worden war und schwere Folterungen über sich ergehen lassen musste (siehe WOZ Nr. 14/2016 ). Die Resolution, die in Kairo für grossen Unmut gesorgt hatte, stützt sich unter anderem auch auf Informationen der ECRF. Die Organisation dürfte seither auf der Abschussliste des Regimes stehen, zumal sie auch Regenis Familie in Ägypten unterstützt.

Gesucht: Ein Nachfolger

Über die Frage, weshalb das ägyptische Regime zu Beginn der Proteste einen Teil der DemonstrantInnen gewähren liess, wird derweil in Oppositionskreisen heftig debattiert: «Das Regime will den Sturz des Regimes», twitterte der Oppositionelle Wael Ghoneim. Er deutete damit an, dass das ambivalente Vorgehen der Polizei im Zuge der beiden Protestwellen Ausdruck regimeinterner Rivalitäten sein könnte. Die Proteste könnten gar gezielt instrumentalisiert worden sein, um al-Sisis Autorität zu untergraben. Anders sieht das ein führendes Mitglied des 6. April, das anonym bleiben will: «Ich glaube nicht, dass Teile des Regimes versuchen, al-Sisi zu stürzen. Man arbeitet gegeneinander, aber letzten Endes will niemand im Regime einem neuen Aufstand den Weg bereiten.» Fest steht jedoch: Al-Sisis Stern beginnt zu sinken. Fraglich ist nur, ob sich im Regime eine Mehrheit dafür findet, ihn durch eine weniger polarisierende Figur zu ersetzen.