Proteste in Deutschland: 48 Stunden Kohlenkampf

Nr. 20 –

Im Lausitzer Braunkohlerevier legte die globale Antikohlebewegung über Pfingsten eine Produktionsstätte lahm. Die lokale Bevölkerung ist derweil gespalten.

«Lasst die Kohle im Boden»: AktivistInnen auf einer Kohleverladestation am Pfingstfreitag im Südosten von Brandenburg.

Das Camp liegt idyllisch zwischen Kiefernwäldern, Äckern und Wiesen. In einiger Entfernung ragen Windräder in den wolkenlosen Himmel. Es ist Donnerstag vor Pfingsten; das Lausitzer Camp ist der Ausgangspunkt für die Besetzung des nahe gelegenen Braunkohletagebaus Welzow-Süd im Südosten Brandenburgs. Dazu aufgerufen hat das Bündnis «Ende Gelände», das im August bereits die Besetzung einer Kohlegrube im Rheinland organisierte. Es vereint zahlreiche ökologische und antikapitalistische Gruppierungen hinter dem Ziel der Klimagerechtigkeit.

Bereits sind etwa tausend Menschen da, allein für heute sind noch über zwanzig Busse aus ganz Europa angekündigt. Sämtliche Altersgruppen und diverse Sprachen sind vertreten. Vieles ist noch zu tun: Im Akkord besprayen die CampteilnehmerInnen weisse Schutzanzüge mit dem Aktionslogo, füllen Sitzsäcke mit Stroh. In Aktionstrainings können sich Neulinge auf ihre erste Konfrontation mit der Polizei vorbereiten. «Von uns geht keine Gewalt aus» lautet der Grundsatz. Vorfreude und Anspannung liegen in der Luft.

«Partner der Region»?

Der Ausblick am Rand des Tagebaus ist überwältigend. Bis zum Horizont erstreckt sich eine unwirkliche Landschaft aus braunschwarzen Sanddünen und zerfurchtem Geröll. In weiter Ferne sind gigantische Bagger erkennbar. Um das Kohleflöz abzutragen, wurde seit 1959 eine Fläche von fast neunzig Quadratkilometern weggebaggert. Bereits siebzehn Ortschaften wurden dabei ausgelöscht. Darunter auch Wolkenberg, der Heimatort von Karl-Heinz Cewe.

Der Sechzigjährige war jahrelang als Maschinist im Bergbau tätig, heute betreibt er eine kleine Pension in der Kleinstadt Welzow. Dem geplanten Grubenausbau sieht er mit Sorge entgegen: Zwei weitere Dörfer würden verschwinden, und Welzow mit seinen 4000 EinwohnerInnen wäre dann auf drei Seiten von der toten Ödnis umgeben. Die Staubentwicklung sei ein grosses Problem: «Welzow steht ja voll im Dreck, und die Sprinkleranlagen laufen nur, wenn Kameras da sind.»

Cewes Unmut richtet sich gegen den Energiekonzern Vattenfall, den schwedischen Betreiber von Welzow-Süd. Mit 8000 Arbeitsplätzen in der Förderung, Veredelung und Verstromung der Braunkohle ist der Konzern der grösste Arbeitgeber in der Lausitz; auf riesigen Brückentafeln präsentiert er sich überall als «Partner der Region». Aber damit ist bald Schluss: Die Regierung in Stockholm will, dass das Staatsunternehmen aus dem Kohlegeschäft aussteigt. Im April einigte sich Vattenfall mit einem tschechischen Konsortium auf die Übernahme seiner deutschen Braunkohlesparte. Damit wird das Gelände nicht renaturiert, sondern für geschätzte zwei weitere Jahrzehnte zum Abbau freigegeben. Cewe steht voll hinter den Protesten: «Mit legalen Mitteln erreicht man ja auch nichts.»

«Burn borders, not coal!»

Am Pfingstfreitag startet die Besetzungsaktion. Es soll nicht nur die Kohleförderung in der Grube blockiert werden, sondern auch der Braunkohletransport zum Kraftwerk Schwarze Pumpe im nahe gelegenen Spremberg. Unter dem Applaus der Zurückbleibenden ziehen Hunderte in weissen Schutzanzügen los und bahnen sich ihren Weg durch Wälder, über Wiesen und Bäche, Strassen und Bahngleise. Es wird getrommelt, gesungen, skandiert: «Auf gehts, ab gehts, Ende Gelände!», oder auch: «Burn borders, not coal!»

Nach zwei Stunden stehen die AktivistInnen vor der Kohleverladestation, die sich leicht besetzen lässt: Die Maschinen stehen bereits still. Vor den Kameras einer Polizeieinheit und einigen Kohlearbeitern breiten sich die AktivistInnen auf den vier Gleisspuren aus. Wolken verdunkeln den Himmel, während Windböen immer wieder den feinen Kohlestaub, der hier zentimeterdick den Boden bedeckt, durch die Menschenmenge jagen. Irgendwann wagen sich einige auf die spinnenartige Verladevorrichtung und platzieren ihre Transparente. Wie im Bilderbuch gesellt sich ein satter Regenbogen zur Szenerie.

Samstagmorgen im Camp. Luc, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben will, krabbelt aus seinem Zelt. Der 22-jährige Student aus Montreux kam gestern in einer Gruppe aus der Schweiz hier an. Er besuchte ein Aktionstraining, erkundete die Gegend und deckte sich im Materialzelt ein. Heute ist er bereit: Der Schutzanzug sitzt, Staubmaske und Folienabdeckung gegen Tränengas sind griffbereit. «Ich habe gestern gesehen, wie die Besetzer mit Jubel verabschiedet wurden», sagt er. Mit Schalk in den Augen fügt er an: «Wir sind alles Helden.»

Als er sich auf dem Camp umhört, stellt Luc fest, dass er bei weitem nicht der einzige Besetzungsneuling ist. Manchmal sei es legitim, Illegales zu tun – so die Botschaft der OrganisatorInnen, und sie ist angekommen. Erneut ziehen Hunderte los, um die Gleisblockaden zu verstärken. Luc schliesst sich aber lieber einer Gruppe an, die Trinkwasser zu einer Baggerbesetzung in der Grube bringt.

Als sich die Zwölfergruppe an den Einstieg in den Tagebau machen will, wird sie von einem Geländewagen mit Vattenfall-Aufschrift bedrängt. Der grimmige Fahrer tritt plötzlich aufs Gas, nimmt einen Aktivisten auf die Motorhaube und schiebt ihn mehrere Meter vor sich her. Dieser kommt unbeschadet davon, aber das Unbehagen sitzt der Gruppe jetzt im Nacken. So schnell wie möglich gehts nun abwärts. «Wie eine Guerillatruppe», findet Luc, während er auf dem feinen Sand in Richtung Grubensohle rutscht.

Von dort ertönt Jubel. Rund sechzig BesetzerInnen stehen auf dem Dach eines riesigen Baggers, auf dem sie gestern die «Republik Welzow-Süd» ausgerufen haben, und winken den Ankömmlingen zu. Mit seiner Gruppe besteigt Luc den Bagger, wo gerade ein Plenum abgehalten wird. Als alle im Kreis sitzen und diskutieren, hat Luc das Gefühl, «ein bisschen die Rückkehr der Demokratie» mitzuerleben.

«Verpisst euch!»

Samstagabend. Auf einer Bahnbrücke in Spremberg haben sich Hunderte AktivistInnen für die zweite Nacht der Besetzung eingerichtet. Es wird Essen geschöpft, ein kleines Orchester spielt auf den Gleisen. Beim Eindunkeln wandert der stolze Blick hinüber zum Kraftwerk, wo aus einem der beiden Kühltürme nur noch ganz wenig Dampf aufsteigt: Der Betrieb ist aufgrund des blockierten Kohlenachschubs heruntergefahren worden.

Die Idylle wird getrübt, als sich auf der Strasse unter der Brücke eine andere Gruppierung einfindet: Viele tragen eingerollte Fahnen der Industriegewerkschaft bei sich, sie kommen von einer Gegendemonstration. «Verpisst euch!», ruft eine Frau hinauf. «Das Schlimme ist ja, dass die alle gar nicht aus der Lausitz kommen», sagt ein aufgebrachter Mann, «die haben ja keine Ahnung, was hier abgeht.» Die Kohlestromproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig der Region, fast alle BewohnerInnen hängen davon ab.

Die Stimmung ist angespannt, die Menschenmenge unter der Brücke wird immer grösser. Die Polizei fährt mit einem Grossaufgebot vor. Eingetaucht in das Blaulicht der Einsatzwagen, skandiert die Menge: «Räumen, räumen!» Ein Knall, jemand hat einen Böller auf die Brücke geworfen. Nur langsam löst sich die Ansammlung wieder auf.

Der Zwischenfall stimmt einige nachdenklich. Die vergangenen Tage waren von Erfolg geprägt, alles schien zu gelingen, die AktivistInnen hätten fast glauben dürfen, die ganze Welt stehe hinter ihnen.

Sonntagnachmittag. «Ende Gelände» beendet die Proteste nach 48 Stunden, einzelne Gruppen harren weiter aus. Die ikonografischen Bilder weiss gekleideter Menschenmassen auf Feldern, Bahngleisen und Kohlebaggern bleiben haften. Luc dürfte beim nächsten Mal wieder dabei sein. Als er in den Car steigt, um zurück in die Schweiz zu fahren, sagt er: «Ich bin zwar todmüde, aber voller Energie.»

Was weiter geschah: Nachtrag vom 7. Juli 2016 : Weiterbaggern in der Lausitz

Schwedens rot-grüne Regierung poliert die CO2-Bilanz des Landes auf, ohne das Klima zu entlasten: Sie hat dem staatlichen Energiekonzern Vattenfall erlaubt, seine Braunkohlesparte in der ostdeutschen Lausitz zu verkaufen. Schwedische und internationale Umweltorganisationen und AktivistInnen hatten vehement gefordert, dass Vattenfall seine Lausitzer Fördergebiete renaturiert und sich geordnet und sozialverträglich aus der Region zurückzieht. Stattdessen wandern die Tagebaue und Kraftwerke nun in den Besitz eines Konsortiums um den tschechischen Energieversorger EPH, der die Braunkohle noch während Jahrzehnten aus dem Boden zu holen gedenkt.

Kohlestromproduzenten stehen in Europa seit einiger Zeit unter wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Druck. Weil sich das Geschäft für die grossen Energiefirmen kaum mehr rechnet, suchen sie vermehrt nach Wegen, ihre Kohlesparten abzutreten. EPH stand schon mehrere Male als williger Käufer bereit: Der Konzern übernahm, wo die Rentabilität für andere zu niedrig war. EPH ist ein relativ neuer Player auf dem Strommarkt und wurde erst 2009 gegründet. Die Firma befindet sich in Privatbesitz – weder AktionärInnen noch der tschechische Staat haben Einfluss auf die Betriebsstrategie. Soziale und ökologische Aspekte dürften auf der Prioritätenliste relativ weit unten stehen. So müssen die etwa 8000 Vattenfall-Angestellten in der Lausitz befürchten, dass die EPH künftig auf ihre Kosten Profit macht.

Es liege in Deutschlands Verantwortung, seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren, liessen Schwedens SozialdemokratInnen verlauten. Die Bevölkerung sieht dies offenbar anders: Bei einer Umfrage von Umweltverbänden sprachen sich fast die Hälfte der Befragten gegen den Deal aus, bloss 27 Prozent waren dafür. Nun rechtfertigt die Regierungskoalition ihren Entscheid. Hätte man den Verkauf untersagt, würde Vattenfall die Braunkohle eben weiterhin selber fördern. Zudem habe es keine formalen Gründe gegeben, den Deal nicht zu bewilligen.

Raphael Albisser

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