Kinky Friedman: «Halt dich fern vom Glück»

Nr. 21 –

Der exzentrische Cowboyphilosoph und Countrysänger Kinky Friedman gastierte letzte Woche für zwei Auftritte in Bern und Zürich. Ein Gespräch mit dem Alleskönner über Helden, Melancholie – und natürlich Jesus.

«Das Schöne am Älterwerden ist, dass ich nicht mehr den ganzen Scheiss höre, den mir das Publikum zuruft.» Multitalent Kinky Friedman.

Kinky Friedman ist ein Multi-, ja ein Omnitalent. Sänger, Songschreiber, Krimiautor, jüdischer Cowboyphilosoph, Friedenskorpsaktivist, Gouverneurskandidat in Texas, Zigarren- und Tequilaproduzent, und nebenbei betreibt er eine Auffangstation für Tiere. Und wenn Sie sich nun fragen, weswegen Sie noch nie von ihm gehört haben, dann liegt das nicht daran, dass Sie die siebziger Jahre auf ähnlich viel Drogen wie Kinky verbracht haben, sondern eher daran, dass Kinky zwar mit so ziemlich allem Erfolg hat, aber nicht genug, um damit Weltruhm zu erreichen. Immerhin hat ihm sein verquerer Humor schon einmal den «Male Chauvinist Pig of the Year»-Preis einer US-amerikanischen Frauenorganisation eingebracht. Aber das ist vierzig Jahre her.

«Ein guter jüdischer Junge»

Ich treffe Kinky Friedman an einem sonnigen Nachmittag auf der Terrasse vor dem Hotel Allegro in Bern: Das Alter und die Drogen haben ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, und manchmal, wenn er spricht, verliert er zwischendurch den Faden, doch seine Haare sind kaum angegraut. Er ist gut drauf, erzählt, er habe am Vorabend im Casino 3000 Franken an den Münzautomaten gewonnen, und plappert munter weiter, während er auf einer Zigarre herumkaut (die er sich erst für die Fotosession nach dem Gespräch anstecken wird). Zu Beginn prägt er sich meinen Namen ein, indem er ihn dreimal wiederholt, und fragt kurz – nicht unfreundlich, aber skeptisch –, was er denn davon habe, dass ich ein Interview mit ihm bekomme. Schliesslich werde es wohl kaum gedruckt, bevor die Shows vorbei seien. Er gibt sich zufrieden, als ich ihm verspreche, in den sozialen Medien noch etwas Werbung für die Konzerte zu machen, und erzählt gleich von seinen nächsten Projekten: Ein neues Album. Ein neuer Krimi. Ein Buch über Bob Dylan, zusammen mit dessen Jugendfreund Louis Kemp.

Schnell ist Kinky bei der Politik gelandet: der Marihuanalegalisierung (eine seiner zentralen Forderungen als Gouverneurskandidat). Bei Präsident Obama, den er nur «Forrest Gump» nennt – dieser hat seiner Meinung nach in den letzten Jahren nichts erreicht, insbesondere nicht den «change», das zentrale Diktum von Obamas Wahlkampf. Donald Trump – den er für den besseren Kandidaten hält, weil er ihn an Winston Churchill, sein persönliches Idol, erinnert: «Churchill war wie Trump, ein Mensch, den du und ich nicht gemocht hätten: ein dicklicher, reicher Country-Clubber. Das Amt veränderte ihn und brachte ihn zu wahrer Grösse.» Und natürlich Jesus – «ein guter jüdischer Junge, der sich Ärger mit der Regierung einhandelte». Und in diesem Zusammenhang die «Bruderschaft der guten Männer»: Jesus, Churchill, Martin Luther King, Nelson Mandela.

Kinky hat ein Faible für HeldInnen – eines seiner letzten Bücher (nicht einer der Krimis, sondern ein Sachbuch) hiess «Heroes of a Texas Childhood», darin tauchen natürlich Figuren wie der Countrymusiker Willie Nelson und der Politiker Davy Crockett auf, aber auch Barbara Jordan, Bürgerrechtlerin und erste schwarze Frau im US-Repräsentantenhaus. Wäre er Gouverneur geworden, hätte er das Buch zur Pflichtlektüre in den Primarschulen von Texas gemacht. Man kann sich nur vorstellen, mit welchem Stolz es Kinky erfüllte, als er einst erfuhr, dass Nelson Mandela im Gefängnis eine Kassette hörte, auf der auch ein Song von Kinky war – «Ride ’em Jewboy», ein Countrysong über die Opfer des Holocaust. Kein Wunder, hält er wenig von Obama, der sich erdreistete, an Mandelas Beerdigung ein Selfie mit der dänischen Ministerpräsidentin zu machen.

Der Erfolg kam mit den Krimis

Es muss eine späte Befriedigung in Kinkys musikalischem Schaffen gewesen sein, als ihm diese Geschichte in den achtziger Jahren zugetragen wurde. Nach seiner Tour mit Dylan versandete seine musikalische Karriere, und er selber war zu sehr damit beschäftigt, sich dem «peruanischen Marschpulver» (Koks) zu widmen, als dass er neue Songs zustande bekommen hätte. Der Erfolg kam erst, als er Krimis zu schreiben begann: «Greenwich Killing Time» erschien 1986 und legte den Grundstein für eine Serie von inzwischen achtzehn Romanen – die Hauptrollen darin spielen eine fiktive Version seiner selbst sowie der ebenso fiktionalisierte New Yorker Privatdetektiv Steven Rambam, ein enger Freund Friedmans. Die Serie entwickelte sich zum Hit, und auch wenn im letzten bisher erschienenen Roman, «Ten Little New Yorkers» (2005), die Hauptfigur ums Leben kommt – «Warum? Na aus demselben Grund, aus dem die Juden Jesus umgebracht haben: The motherfucker had it coming!» (Er hatte es nicht anders verdient) –, schreibt Kinky nun wieder an einer Fortsetzung. Auferstehung inklusive, ganz getreu dem Vorbild.

Kinky fing sich, hörte mit den Drogen auf und begann, sich in die Politik einzumischen. Als George W. Bushs Nachfolger als Gouverneur von Texas, der Republikaner Rick Perry, 2006 für eine Wiederwahl kandidierte, warf Kinky seinen Hut in den Ring. Mit Slogans wie «My governor is a jewish cowboy», «Kinky for governor – why the hell not?» und in Texas nicht gerade populären Positionen wie der erwähnten Legalisierung von Marihuana sowie der Ehe für Homosexuelle («Die haben das Recht, so unglücklich zu sein wie der Rest von uns») kam er zwar nicht über vierzehn Prozent der Stimmen hinaus, die Kampagne jedoch machte ihn weltbekannt. Wie Kinky es formuliert: «Wir haben die Wahl überall auf der Welt gewonnen – ausser in Texas.» Nach einem weiteren Wahlkampf um das Amt des Landwirtschaftssekretärs hatte er es aber gesehen mit der Politik. «Plötzlich standen die Leute auf und applaudierten, wenn ich in ein Restaurant kam. Ich kann verstehen, dass das gewisse Leute süchtig macht.»

Stattdessen wandte er sich wieder seiner ersten grossen Liebe zu – der Musik. Er nahm «The Loneliest Man I Ever Met» auf, seine erste Platte seit 35 Jahren, und begann wieder zu touren. «In einer Welt, in der das System Musik für Menschen wie Miley Cyrus und Justin Bieber gemacht ist», meint Kinky. «Aber wie sagt es Willie Nelson? ‹Scheitere mit etwas genügend lange, und du wirst zur Legende.›» Während Kinkys frühere Songs (die er immer noch spielt) zwischen Ironie und Gelächter oszillieren – Nummern wie «They Ain’t Makin’ Jews Like Jesus Anymore», die erzählt, wie er einem Rassisten in einer Bar eine reinhaut, anstatt die andere Wange hinzuhalten –, sind die Songs auf dem neuen Album dunkel, melancholisch und traurig. «Das hast jetzt du gesagt», meint Kinky. «Aber du hast ja recht. Wenn du jemals Künstler werden willst, gebe ich dir einen Tipp: Halt dich fern vom Glück.»

Von da an bleibt es still

Am Abend danach, im Bogen F in Zürich, zeigt sich, dass die Mischung funktioniert. Als Kinky die vielleicht schönste Nummer des Abends anstimmt, «Jesus in Pyjamas», lachen zumindest die jüngeren Hipster, die auch noch ein bisschen Country hören, weil sie irgendwann einmal eine Johnny-Cash-Platte geschenkt bekommen haben, bei den ersten paar Zeilen noch mit. Als etwa beim zweiten Refrain klar wird, dass das «nicht noch einer meiner Jesuswitze» ist, sondern dass es um Obdachlosigkeit und Armut in den USA geht, wird es totenstill. Und von da an bleibt es still. Während der «Ballad of Ira Hayes» von Peter La Farge oder der morbidesten Nummer des Abends, «My Shit’s Fucked up», des Covers eines Stücks von Warren Zevon, das dieser geschrieben hatte, kurz bevor er an Krebs starb.

Doch das Konzert ist bei weitem keine Abschiedsvorstellung eines alten Mannes, der seine Glatze unter einem Cowboyhut versteckt und nach dem dritten Glas Jameson-Whisky unsicher auf den Beinen steht. Ganz im Gegenteil – er witzelt noch darüber: «Das Schöne am Älterwerden ist, dass ich nicht mehr den ganzen Scheiss höre, den mir das Publikum zuruft», sagt er. Und geht dann zum CD-Stand, wo er, wie immer, «alles unterschreibt – ausser schlechten Gesetzesentwürfen».

Kinky Friedman: «The Loneliest Man I Ever Met». Avenue A Records 2015.

Musiker, Autor, Politiker …

Richard Samet «Kinky» Friedman wurde 1944 in Chicago geboren und zog in seiner Kindheit mit den Eltern nach Texas. Nach einem Abschluss in Psychologie und zwei Jahren im US-Friedenskorps nahm er erste Platten auf und tourte mit seiner Band The Texas Jewboys unter anderem mit Bob Dylan sowie mit Outlaw-Country-Legende Willie Nelson. In den achtziger Jahren wurde er als Krimiautor bekannt.

2006 kandidierte Friedman für das Amt des Gouverneurs von Texas und ist seither als «Cowboyphilosoph», Kolumnist und exzentrischer Talkgast präsent.

Im Oktober 2015 veröffentlichte er mit «The Loneliest Man I Ever Met» seine erste Platte seit über drei Jahrzehnten.