Krise in Venezuela: «Verrückt wie eine Ziege»

Nr. 21 –

Die rechte Opposition will Präsident Nicolás Maduro mit einer Abstimmung absetzen. Der wehrt sich vehement. Das Land schlittert darüber in eine immer tiefere Krise.

Panzer rückten aus den Kasernen, Jagdbomber stiegen auf, die Kriegsmarine kreuzte vor der Küste. Nicht nur die reguläre Armee Venezuelas war am vergangenen Wochenende an diesem grössten Manöver seit Jahren beteiligt. Auch die bolivarischen Freiwilligenmilizen, vom im März 2013 verstorbenen linkspopulistischen Präsidenten Hugo Chávez aufgebaut, waren dabei. Mehr als eine halbe Million Männer und Frauen spielten Krieg. Das sei nötig geworden, hatte Präsident Nicolás Maduro gesagt, «um auf eine externe Aggression vorbereitet zu sein». Eine Volksabstimmung, mit der die rechte Opposition den von Chávez zu seinem Nachfolger bestimmten Maduro absetzen will, sei Teil eines Plans, den die Regierungsgegner gemeinsam mit den USA ausgeheckt hätten: «Diese Abstimmung soll für Unruhen auf den Strassen sorgen, die dann als Vorwand für einen Staatsstreich oder für eine ausländische Intervention dienen sollen.»

Maduro würde wohl verlieren

Seit Maduro Präsident ist, malt er immer wieder den Teufel einer Intervention an die Wand, um innenpolitisch mit den Muskeln zu spielen. Nun sind die guten Beziehungen zwischen der US-Botschaft in Caracas und der Opposition gegen den Chavismus kein Geheimnis. Konkrete Beweise für eine militärische Konspiration aber hat Maduro nie vorgelegt. Es blieb bei Anschuldigungen, die zum Teil absurde Züge annahmen. So hat Maduro zuletzt Luis Almagro, den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten und zuvor unter dem linken Präsidenten José Mujica Aussenminister von Uruguay, als «Verräter» und «Spion» des US-Geheimdienstes CIA denunziert. Mujica sagte dazu nur: «Maduro ist verrückt wie eine Ziege.»

Tatsächlich droht Maduro Gefahr weniger von aussen als von innen. Die Opposition hat zu einem in der Verfassung vorgesehenen Mittel gegriffen, mit dem der Präsident aus dem Amt gewählt werden kann: Wenn bei einem sogenannten Rückrufreferendum mehr Stimmen gegen ein Staatsoberhaupt abgegeben werden, als dieses bei der Wahl bekommen hat, muss es abtreten. Chávez hat so ein Referendum im August 2004 bequem überstanden; Maduro würde es heute wahrscheinlich verlieren.

Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Zunächst muss ein Prozent der Wählerschaft – das sind in Venezuela knapp 200 000 Menschen – ein solches Verfahren verlangen. Diese Hürde hat die Opposition Anfang Mai genommen. In einem zweiten Schritt müssen dann innerhalb von drei Tagen die Unterschriften von zwanzig Prozent der WählerInnen – also knapp vier Millionen – gesammelt werden. Nur dann kommt es zum Showdown an der Urne. Dazwischen muss der Wahlrat die Unterschriften prüfen. Und weil die Opposition beim ersten Schritt nicht 200 000, sondern fast zwei Millionen Unterschriften eingereicht hat, braucht das entsprechend Zeit.

Zeit spielt Maduro in die Hände: Sollte er noch in diesem Jahr eine Abstimmung über sein Verbleiben im Amt verlieren, gäbe es Neuwahlen, die wahrscheinlich von der Opposition gewonnen würden. Schafft es die Regierung, die Abstimmung ins nächste Jahr zu verschleppen, ist die Hälfte von Maduros sechsjähriger Amtszeit vorbei. In diesem Fall müsste er nach einer Niederlage laut Verfassung zwar trotzdem gehen, nicht aber die ChavistInnen: Es gäbe keine Neuwahl, Vizepräsident Aristóbulo Istúriz würde übernehmen.

Desolate Versorgungslage

Seit die Opposition Ende 2015 die Parlamentswahl haushoch gewonnen hat, besteht Politik in Venezuela aus solchen Machtspielen. Als hätte das Land nicht schwerwiegendere Probleme: eine desolate Versorgungslage, unter der vor allem die arme frühere Stammwählerschaft des Chávez-Lagers zu leiden hat. Sie kann sich Schwarzmarktpreise nicht leisten und ist auf subventionierte Lebensmittel angewiesen, von denen es immer weniger gibt. Sie braucht staatliche Krankenhäuser – in denen immer mehr PatientInnen sterben, weil selbst gängigste Medikamente fehlen. Was wegen staatlicher Korruption verschwindet und was von SpekulantInnen oder aus politischen Gründen vom Markt genommen wird, kann niemand sagen. Die Inflation soll bis zum Jahresende 700 Prozent überschritten haben. Gut leben kann nur, wer über Devisen verfügt.

Maduro wurstelt sich mit Notverordnungen durch die Krise. Auch die Opposition hat kein Konzept. «Eine wirtschaftliche Lösung wird es erst geben, wenn ein politischer Wechsel stattgefunden hat», heisst es in einer Erklärung der im «Tisch der demokratischen Einheit» zusammengeschlossenen wirtschaftsliberalen Oppositionsgruppen. Gegen diesen Wechsel wiederum stemmt sich Maduro, und so wird der Machtkampf weitergehen – auf Kosten der Bevölkerung.