Kommentar zur Energiepolitik: Mit viel Romantik in die Energiekrise

Nr. 22 –

Auf dem Strommarkt kündigt sich ein Irrsinn an. Wie vor einigen Jahren, als die Finanzmärkte liberalisiert wurden. Es herrschte Goldgräberstimmung. Es wurde viel Geld verdient. Doch eines Tages war das Fest zu Ende. Die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers kollabierte. Die UBS musste mit Milliarden gerettet werden. Und alle fragten verwundert: Warum hat niemand vorher eingegriffen?

Ähnliches bahnt sich nun im Strombusiness an. Der freie Markt wird angebetet, obwohl er offensichtlich gewaltige zerstörerische Kräfte freisetzt.

Die Kilowattstunde Strom ist auf dem europäischen Strommarkt noch 2 bis 3 Rappen wert. Es kostet jedoch mindestens 5 oder 6 Rappen, eine Kilowattstunde Strom in einem Kraftwerk bereitzustellen – ausser es handelt sich um alte, dreckige Kohlekraftwerke. Deshalb sind auch die Schweizer Wasserkraftwerke in Nöten. Sie sollen nun im Rahmen der «Energiestrategie 2050» Subventionen erhalten, damit sie nicht bankrottgehen.

Heute gehören die allermeisten Wasserkraftwerke den Kantonen oder Gemeinden. Was aber passiert, wenn sie verkauft werden? Zum Beispiel an ausländische Investoren?

SP-Ständerat Paul Rechsteiner wollte es wissen. In einer Interpellation fragte er den Bundesrat, welche Massnahmen dieser vorsehe, «um den Ausverkauf der grossen Wasserkraftwerke zu verhindern». Der Bundesrat schrieb in seiner Antwort: Er sei «nicht der Meinung, dass Infrastrukturen wie beispielsweise Wasserkraftwerke grundsätzlich in den Besitz der Allgemeinheit gehören». Für die Versorgungssicherheit sei es nicht relevant, wem sie gehörten. Falls eine kritische Lage vorliege, könne der Bund laut Wasserrechtsgesetz den Export von Wasserstrom wieder einer Bewilligungspflicht unterstellen: «Die Bewilligung kann verweigert werden, wenn das öffentliche Wohl durch die Ausfuhr beeinträchtigt wird oder der Strom im Inland angemessene Verwendung findet.»

Am Dienstag wurde die Interpellation im Rat behandelt. Doris Leuthard hielt ein Lobrede auf den Markt. Zu Paul Rechsteiner, dem Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, sagte sie, er habe eine «sehr romantische Vorstellung, wie Wirtschaft funktioniert». Was an wen verkauft werde, sei heute Sache der Marktkräfte und der Eigentümer, der Aktionäre. Und dann fügte sie an: «Wenn man zu viel Strom produziert, sinkt der Preis. So ist die europäische Situation. Das hat nichts mit der Marktöffnung zu tun.» Womit denn sonst, Frau Bundesrätin? Das nennt sich Verdrängungswettbewerb. Wenn man bei sinkenden Preisen im Markt überleben will, muss man mehr absetzen, um gleich viel wie vorher zu verdienen. Damit wächst das Angebot, die Preise sinken noch weiter. Bis die, die nicht mehr können, aufgeben. Überleben werden die Grossen, die über starke Reserven verfügen.

Ökologisch war das noch nie. Wenn dann noch Subventionen hinzukommen, schafft man ein Monstrum. Am Ende schöpfen internationale Konzerne Subventionen ab, die eigentlich für eine dezentral organisierte Energiewende gedacht waren. Die KleinproduzentInnen bekommen Brosamen. Der Strom wird dreckiger, die Versorgung unberechenbarer. Bezahlen müssen die KonsumentInnen.

In der Krise wird nicht einmal das Wassergesetz helfen. Da steht zwar drin, dass «die Abgabe der aus einem Gewässer erzeugten elektrischen Energie ins Ausland der Bewilligung des Departementes» bedarf und dass die Bewilligung «aus Gründen des öffentlichen Wohls» widerrufen werden kann. Da steht aber auch: «gegen Entschädigung». Davon sagt Doris Leuthard nichts.

Falls es jemals so weit kommen sollte, werden die ausländischen Konzerne klagen. So wie mehrere grosse Energieunternehmen gegen die deutsche Bundesregierung geklagt haben, weil diese vor fünf Jahren den Atomausstieg beschloss (das Urteil steht noch aus).

Die Schweizer Regierung war in solchen Fragen nie mutig. Sie wird sich vor solchen Klagen derart fürchten, dass sie sie nie provozieren wird. Das ist das Einzige, was in diesem absehbaren Desaster sicher ist.